In der Vahlen-Reihe Academia Iuris Examenstraining sind jene Lehrbücher zu finden, welche sich allesamt durch eine kompakte Darstellung prüfungsrelevanter Probleme auf Staatsexamensniveau und durch eine umfassende Wissensvermittlung auszeichnen. Hier reiht sich auch das Werk “Öffentliches Recht. Eine nach Anspruchszielen geordnete Darstellung zur Examensvorbereitung“ von Prof. Dr. jur. Walter Frenz ein.
Das Buch erscheint 2022 bereits in der 9. Auflage und gilt bei vielen Studierenden längst als geschätzter Helfer für die Examensvorbereitung im Öffentlichen Recht. Vor allem der Untertitel könnte einigen Examenskandidaten bereits von einem der Lehrbuchklassiker schlechthin bekannt vorkommen – dem “Medicus/Petersen“. Das unangefochten führende Meisterwerk zum Bürgerlichen Recht zeichnet sich dadurch aus, dass dieses nach Anspruchsgrundlagen geordnet in seiner gesamten Komplexität komprimiert dargestellt wird. Nach diesem Muster geht auch Frenz in seinem Werk zum Öffentlichen Recht vor – und zwar mithilfe des altbekannten Obersatzes “Wer will was von wem woraus?“. Dies mag zunächst verwundern, handelt es sich dabei schließlich um eine im Zivilrecht übliche Einstiegsfrage. Frenz möchte diese jedoch auch für das Öffentliche Recht fruchtbar machen, um den Studierenden so einen Anspruchsaufbau an die Hand zu geben, mit welchem sie strukturiert und systematisch auch unbekannte Fälle lösen können. Ob Frenz‘ Werk “Öffentliches Recht“ damit ebenfalls das Zeug zum Klassiker der juristischen Ausbildungsliteratur hat wie sein zivilrechtliches Pendant? Das beantwortet dieser Beitrag.
Durch untypischen Aufbau Stofffülle komprimieren
Auf etwa 500 Seiten verschreibt sich das Werk dem gesamten prüfungsrelevanten Stoff aus allen Gebieten des Öffentlichen Rechts für das 1. Staatsexamen. Zum Vergleich: das 2025 erscheinende Werk “Das gesamte examensrelevante Öffentliche Recht“ von Christoph Brüning und Martin Nolte aus dem Springer-Verlag soll ganze 1.000 Seiten umfassen (sein zivilrechtliches Gegenstück von Jürgen Plate und Anton Geier umfasst sogar 2.000 Seiten). Auch bei anderen Lehrbüchern, die sich nur mit einzelnen Rechtsgebieten, wie Europarecht oder Verwaltungsrecht beschäftigen, beläuft sich die Seitenzahl auf durchschnittlich 400 Seiten. Wie also schafft es Frenz, das gesamte Examenswissen im Öffentlichen Recht auf “nur“ 500 Seiten zu vermitteln?
Von anderen Lehrbüchern unterscheidet sich Frenz‘ Werk insbesondere durch seinen für das Öffentliche Recht eher untypischen Aufbau. Statt der üblichen separierten Darstellung nach einzelnen Rechtsgebieten, ordnet Frenz das examensrelevante Wissen nach den Anspruchszielen. Innerhalb des Obersatzes “Wer will was von wem woraus?“ gilt es hier, nach dem “Was“ zu fragen, also das Anspruchsbegehren der Anspruchssteller:innen zu definieren. Danach ist zwischen Abwehr-, Leistungs- und Feststellungsbegehren zu unterscheiden. Auf Basis dieser Überlegungen teilt Frenz sein Werk in drei große Bereiche ein:
1. die Abwehr von Maßnahmen,
2. der Erlass von Maßnahmen und
3. die Feststellung der Rechtswidrigkeit.
Basiswissen und examensträchtige Probleme der jeweilige Rechtsgebiete werden innerhalb dieser Gliederungspunkte an der Stelle platziert, wo sie auch in der Prüfung anzubringen wären. Einen eigenen Bereich für das Polizeirecht oder für das Baurecht wird man daher in Frenz‘ Werk nicht finden. Stattdessen wird beispielsweise die Befugnis für polizeiliche Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb der Begründetheit der Anfechtungsklage und damit im Gliederungspunkt “Abwehr von Maßnahmen“ behandelt, während der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten im Gliederungspunkt “Erlass von Maßnahmen“ verortet wird. Durch diesen untypischen Aufbau sollen für die Leser:innen Zusammenhänge hervortreten, die bei einer getrennten Behandlung der Einzelgebiete nicht deutlich werden würden. Gleichzeitig fallen so die sonst üblichen langen Themenhinführungen weg, sodass die erdrückende Stofffülle des Öffentlichen Rechts komprimiert wird und letztlich auch auf 500 Seiten passt.
Übersichtlichkeit durch vertraute Grundmuster
Damit das Werk seine Übersichtlichkeit trotz der vielen Verknüpfungen und fehlender Einleitungen nicht verliert, wird das examensrelevante Wissen in das den Studierenden bereits bekannte Prüfungsschema eingebettet: Vorab werden die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen sowie prozessuale Fragen behandelt und erst im Anschluss materiell-rechtliche Probleme innerhalb der Begründetheit erörtert. Außerdem ist das Buch durchzogen von hilfreichen Schaubildern und Kurzschemata zu den einzelnen Rechtsbehelfen. Durch diese Stütze wird den Lesenden immer wieder das Wesentliche vor Augen gehalten, sodass die einschlägigen Voraussetzungen einfacher überblickt werden oder bereits erlerntes Wissen im Anschluss noch einmal wiederholen werden kann.
Aufgrund der zahlreichen Beispiele, Fälle und Querverweise wirkt das Buch zu Anfang etwas “überfüllt“. Beim Lesen merkt man jedoch schnell, dass das theoretische Wissen so nicht nur besonders gut veranschaulicht wird, sondern auch gleichzeitig absolute Standardfälle für das Examen sowie höchstaktuelle Rechtsprechung “nebenher“ wiederholt werden. Aufgrund des komprimierenden Aufbaus werden viele dieser Fälle zwar vollständig, aber deutlich verkürzt dargestellt. Dies hat neben der Übersichtlichkeit jedoch einen weiteren positiven Effekt: durch die verkürzte Darstellung wird die Eigeninitiative der Studierenden angeregt, den Fall selbstständig noch einmal in einer anderen Quelle nachzulesen. Dies gelingt aufgrund der einfach gehaltenen Fußnoten auch besonders gut. Aufgrund des untypischen Aufbaus werden viele Rechtsgebiete sowie prozessuale und materielle Probleme auf eine dem Studierenden unbekannte Weise verflochten. Um die Übersichtlichkeit beim Lesen nicht zu verlieren, empfiehlt sich besonders die Arbeit mit dem umfassenden Sachverzeichnis, mit dessen Hilfe sämtliche Schlagworte des Öffentlichen Rechtes schnell im Lehrbuch gefunden und einzelne Themenbereiche nach Belieben vertieft werden können.
Basiswissen, examensrelevante Probleme und aktuelle Entscheidungen
Inhaltlich wird im ersten Teil des Buches die Abwehr von Maßnahmen behandelt. Diese Maßnahmen unterteilt Frenz wiederrum in die Kapitel:
1. Abwehr von Normen,
2. Aufhebung von Verwaltungsakten und
3. Abwehr sonstiger Maßnahmen.
Damit folgt das Buch der altbekannten Hierarchie des Öffentlichen Rechts. Das Basiswissen über europarechtliche Normen, die Vereinbarkeit deutscher Gesetze mit dem Unionsrecht und dem Grundgesetz, die Grundrechte und die Abwehr untergesetzlicher Normen wird dabei in die jeweiligen Verfahrensarten integriert und anhand derer Voraussetzungen bearbeitet.
Besonders hervorzuheben ist die umfassende Darstellung der Grundrechte, eingebettet in der Verfassungsbeschwerde, welche mit zahlreichen examensrelevanten Beispielen unterlegt wird. Dazu zählen die gesetzgeberischen Regelungen zur Triage während der Corona-Pandemie oder die weiterhin sehr aktuellen Entscheidungen über die Studienplatzvergabe.
Gleiches gilt für das 2. Kapitel: die Aufhebung von Verwaltungsakten. Anhand der klassischen Rechtsbehelfe der Anfechtungsklage und des einstweiligen Rechtschutzes nach §§ 80, 80a VwGO werden Basiswissen über die Merkmale von Verwaltungsakten oder allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen vermittelt und an passender Stelle unions-, bau- oder polizeirechtliche Standardfälle erörtert. Nach dem gleichen Muster wird im 3. Kapitel die Abwehr sonstiger Maßnahmen durch die Leistungsunterlassungsklage oder den einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO thematisiert.
Auch im zweiten Teil des Buches, dem Erlass von Maßnahmen, werden die Kapitel wie folgt unterteilt:
4. Erlass von Normen,
5. Erlass von Verwaltungsakten und
6. Sonstiges Verwaltungshandeln und Geldzahlungen.
In diesem Teil werden unter anderem die Verpflichtungsklage anhand zahlreicher spezialrechtlicher Probleme wie zum Beispiel dem Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung oder dem Benutzen kommunaler Einrichtungen sowie das Staatshaftungsrecht erklärt.
Schließlich gelangt man im dritten Teil des Buches zur Feststellung der Rechtswidrigkeit. Hier werden in Kapitel 7 “Verfassungsrechtliches Feststellungsbegehren” und Kapitel 8 “Feststellungsbegehren für Verwaltungshandeln” die Klassiker des Organstreitverfahrens und des Bund-Länder-Streits sowie die kommunalverfassungsrechtliche Klage und die (Fortsetzungs-)Feststellungsklage behandelt. Aufgrund des verflochtenen Aufbaus wird auch in diesem Teil Grundwissen zum Staatsorganisations-, Polizei-, Kommunal- oder Grundrecht vermittelt.
In der 9. Auflage werden inhaltlich zahlreiche Neuerungen aus dem Verfassungs- und Europarecht bedacht, so beispielsweise der Streit um “ultra vires“. Auf nationaler Ebene sind neben den weiterhin aktuellen Standardfällen vor allem die Coronabeschränkungen (z.B.: Triage, Bundesnotbremse) oder die Verhältnismäßigkeit von Klimaschutzmaßnahmen neu hinzugekommen. Neuste Rechtsprechung und Entwicklungen erwähnt Frenz nicht nur in den Fußnoten, sondern stellt sie sogar oftmals als kurzen Beispielsfall dar. Aktuelle und zukünftige Examensfälle können einem so kaum entgehen.
Fazit: Nicht für Anfänger, wohl aber für fortgeschrittene Studierende geeignet
Frenz‘ Lehrbuch kommt mit einer im Öffentlichen Recht einzigartigen Methode zur Wissensvermittlung daher, in die sich auch Fortgeschrittene zunächst hineinlesen müssen. Durch den untypischen Aufbau wirkt das Werk zunächst etwas unübersichtlich und unvollständig. Erst beim Lesen ergeben sich die Vorteile dieser Art der Darstellung. Durch die Verortung der einzelnen Probleme in den passenden Prüfungsstellen wird ein Verständnis für wiederkehrende Strukturen vermittelt. Gleichzeitig kann man sich so eine systematische Arbeitsweise aneignen, die in der Prüfungssituation erlaubt, auch unbekannte Probleme bestmöglich zu lösen.
Frenz‘ “Öffentliches Recht“ überzeugt weiterhin durch eine klare Sprache und hilfreiche Übersichten. Keinesfalls eignet sich das Buch jedoch für den Einstieg in das Öffentliche Recht. Wie der Titel verrät, ist dies auch nicht sein Anspruch. Stattdessen richtet sich das Buch an Examenskandidat:innen oder zumindest fortgeschrittene Studierende, da viele Thematiken in den einzelnen Rechtsgebieten nur angeschnitten werden. Dadurch wird ein erhebliches Vorwissen vorausgesetzt. Das Werk ist daher nicht für die Erschließung gänzlich neuer Rechtsgebiete, wohl aber für die Wiederholung während der Examensvorbereitung geeignet. Daher gehört Frenz‘ “Öffentliches Recht“ verdienterweise zu den Standardwerken in der Examensvorbereitung.
Abschließend jedoch noch ein Hinweis für jene Studierende, welche weder in NRW noch in Bayern oder Baden-Württemberg studieren: Bei der Bearbeitung von landesrechtlichen Problemen, beispielsweise im Kommunalrecht, beschränkt sich das Werk auf die landesrechtlichen Normen dieser Bundesländer. Damit auch Studierende außerhalb dieser Länder vollständig von den Ausführungen profitieren, könnten die Normen der übrigen Bundesländer in der nächsten Auflage auch in den Fußnoten aufgeführt werden. Der dadurch erwachsende Vorteil für die bundesweite Leserschaft würde den minimalen Verlust der Übersichtlichkeit sicherlich wett machen.
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