Jurastudium: Baden-Württemberg streicht Ruhetage im ersten Examen

Die juristischen Staatsexamina gehören mit ihren vielen mehrstündigen Klausuren zu einer der anstrengendsten Prüfungsphasen unter allen Studiengängen. Die Tortur ist gefürchtet. Das Landesjustizprüfungsamt Baden-Württemberg hat jetzt beschlossen, die zwei Ruhetage, die bisher pro Examenskampagne vorgesehen waren, zu streichen. Das stößt bei Jurastudierenden sowie Interessenvertretungen auf großes Unverständnis.

Die Erste Juristische Staatsprüfung umfasst in Baden-Württemberg sechs jeweils fünfstündige Klausuren, die unmittelbar aufeinanderfolgend geschrieben werden. Bereits dieses Vorgehen unterscheidet die Juristenausbildung von vielen anderen Studiengängen. Die Examenskampagnen begannen an den baden-württembergischen Universitäten bislang traditionell dienstags, die letzte der sechs Klausur wurde am darauffolgenden Donnerstag geschrieben. Jede Klausur dauert fünf Stunden. Die bisherige Tortur stößt bereits seit Jahrzehnten auf Kritik. Viele Jurastudierende klagen nach dem Examen über eine Sehnenscheidenentzündung. Oder müssen das Examen sogar nach nur wenigen Klausuren deswegen abbrechen. Eine vollkommen unnötige Belastung, die sich einfach dadurch vermeiden ließe, dass man die Klausuren wie in anderen Studiengängen auch über mehrere Monate verteilt schreibt – oder zumindest endlich das E-Examen am PC einführt.

Zwei Ruhetage werden gestrichen

Baden-Württemberg geht jetzt einen anderen Weg. Die Examenskampagne soll nicht mehr zehn Tage dauern, sondern verkürzt werden. Die bisher vorgesehenen Ruhetage werden gestrichen. Ab Herbst 2023 wird die Examenskampagne verkürzt, zunächst auf neun, im Frühjahr 2024 sogar nur noch auf acht Tage. Somit werden Mittwoch bis Freitag und Montag bis Mittwoch Klausuren geschrieben. Die Ruhetage beschränken sich nur noch auf das dazwischenliegende Wochenende.

Die Begründung des Landesjustizprüfungsamtes ist ein Schlag ins Gesicht für alle Examenskandidat:innen. Man wolle die Kampagne kürzen, um leichter Räumlichkeiten dafür zu finden. Wie bitte? Laut der Pressesprecherin des Justizministeriums, Anna Härle, soll die Verkürzung die „Bereitstellung von adäquaten Prüfungsräumlichkeiten erleichtern“. Denn für die Examensdurchgänge werden jeweils private Räumlichkeiten angemietet.

Bereits diese Praxis ist äußerst zweifelshaft, verfügt jede Universität doch über ausreichen große eigene Räumlichkeiten. Die auch gerade für die Unterbringung vieler schreibender Menschen konzipiert sind. In den angemieteten Räumlichkeiten kam es stattdessen in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen. So waren die Räume beispielsweise teilweise nicht klimatisiert und so gelegen, dass im Sommer Temperaturen von über 30 Grad herrschten. Auch zu kleine Tische und harte Holzstühle ohne Polsterung machten den Kandidat:innen das Leben schwer. Aus dem zweiten Examen in Stuttgart ist außerdem bekannt, dass die Prüflinge die Klausuren teils unter einem raumhohen Holzkreuz schreiben müssen – Zustände, die man so sonst nur aus Bayern kennt. In diesem Raum brach außerdem bereits während einer Examenskampagne ein Beleuchtungselement von der Decke und schlug auf einem der darunterstehenden Tische auf.

Gesundheit der Prüflinge zweitrangig

Trotzdem sprach sich der Ständige Ausschuss, der gem. § 6 Abs. 4 S. 2 JAPrO das LJPA in “Ausbildungs- und Prüfungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung” berät, für eine Verkürzung der Kampagne aus. Negative Auswirkungen auf die körperliche und mentale Gesundheit der Kandidat:innen seien angeblich nicht zu erwarten.

Auf die Idee, dass eine verkürzte Kampagne bei den Kandidat:innen zu weiterem Stress und Druck führt, scheint das LJPA Baden-Württemberg nicht gekommen zu sein. Kandidat:innen mit psychischen Erkrankungen waren bisher dankbar für die Ruhetage. Und auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen (und sei es nur die Anfälligkeit für eine Sehnenscheidenentzündung, Blasenentzündung oder Spannungskopfschmerzen) profitierten in der Vergangenheit davon, kurz durchschnaufen und sich erholen zu können.

Zu Recht kritisieren deswegen auch der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen Freiburg und die Kritischen Jurist*innen Heidelberg die Verkürzung in einer gemeinsamen Pressemitteilung. „Die vom LJPA vorgenommene Verkürzung der Prüfungskampagne auf acht anstelle von zehn Tagen erhöht den Druck auf die Kandidat*innen noch weiter. Auf der körperlichen Seite führen die Examensklausuren häufig zu Sehnenscheidenentzündungen und ählichen Erkrankungen, die durch Entspannung der Schreibhand an Ruhetagen gelindert werden können. Auch psychisch eignen sich die Pausentage zur Wiederherstellung der geistigen Kräfte und zur Umstellung zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten“, heißt es darin.

Und weiter: „Dass keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Kandidat*innen zu erwarten seien, ist realitätsfern und widerspricht der Erfahrung von früheren Kandidat*innen, die die vier Erholungstage dringend benötigten.“

Argument der erleichterten Anmietung ist Farce

Und auch das vorgeschobene Argument, der einfacheren Anmietung von Räumlichkeiten ist absurd. Die Prüfungskampagnen sind Monate im Voraus bekannt und finden seit Jahren in den gleichen Räumlichkeiten statt. In der Vergangenheit ließ sich das problemlos organisieren. Was auch daran liegt, dass jede Kampagne gleich abläuft. Das LJPA hat also nicht nur jahrelange Routine in der Organisation, sondern auch jedes Jahr aufs Neue einen monatelangen Vorlauf.

Das Ganze wird noch abstruser, wenn man sich überlegt, dass es bisher lediglich zwei Ruhetage gab. Also einen „freien“ Tag pro Woche. Es ist vollkommen lebensfern anzunehmen, dass ein Raum eher verfügbar sei, wenn man auf einen einzigen Tag in der Mitte der Woche verzichtet. Denn welche konkurrierende Veranstaltung mietet den Raum exakt einen einzigen Tag an, ist an den drumherumliegenden Tagen aber nicht interessiert? „Vielmehr drängt sich die Vermutung auf, dass das LJPA durch das Einsparen von zwei Tagen die Mietdauer der Räume verkürzen und hierdurch finanzielle Einsparungen erzielen möchte. Hierfür darf die Gesundheit der Studierenden nicht aufs Spiel gesetzt werden“, heißt es auch in der Pressemitteilung.

Der akj Freiburg und die Kritischen Jurist*innen Heidelberg kritisieren außerdem, dass Studierende in Baden-Württemberg grundsätzlich nicht am Ständigen Ausschuss nach § 6 JAPrO beteiligt werden. Dies sei „im Vergleich zu anderen Studiengängen unzeitgemäß und reiht sich ein in die grundsätzliche Verweigerung jeglicher Reformen des Jurastudiums trotz lauter Rufe aus der Studierendenschaft.“

Update: 20. Januar 2023

Der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen Freiburg und die Kritische Jurist*innen Heidelberg haben inzwischen auch eine Petition zum Erhalt der Ruhetage gestartet. Diese kann man hier unterschreiben: https://www.change.org/jurastudiumstex

Der Bundesvorstand sowie der Landesverband Baden-Württemberg der Neuen Richtervereinigung e.V. schließen sich dem Protest des akj Freiburg und der Kritischen Jurist*innen Heidelberg gegen eine Streichung der Ruhezeiten in der schriftlichen Prüfung zum ersten Staatsexamen an.

In einer entsprechenden Pressemitteilung heißt es: “Die Stoffbreite, die Komplexität der Prüfung und die physische und psychische Belastung von sechs fünfstündigen Klausuren fordert dem juristischen Nachwuchs körperliche und geistige Höchstleistungen – oft oberhalb der Schmerzgrenze – ab.” Deswegen kommen auch die Praktiker*innen zu dem Ergebnis: “Eine Verkürzung der Prüfungszeit und Erhöhung des Prüfungsdrucks, um Schwierigkeiten bei der Akquise und Bewirtschaftung der Prüfungsräume zu begegnen, ist aberwitzig. Das schon jetzt katastrophale Prüfungssystem wird damit aus bloßen Fiskalinteressen zu Lasten der Studierenden weiter verschärft. Dem muss entschieden entgegengetreten werden!”

Dinge, die schiefgehen können….


Pressemitteilung Arbeitskeise: https://akj-freiburg.de/
Pressemitteilung Neue Richtervereinigung: https://www.neuerichter.de/

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