Ausschluss vom Studium wegen HIV-Infektion

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Phillips-Universität in Marburg: Ein Student der Zahnmedizin wird vor dem klinischen Studienabschnitt im Uniklinikum Marburg-Gießen von seinem Studium ausgeschlossen – weil er HIV-positiv ist. Die Universität sieht in dem Studenten eine Gefahr für seine Kommilitonen und damit auch für spätere Patienten. Gegen diese Einschätzung klagte der Student und verlor letztendlich vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Eine Entscheidung, die sein Studium faktisch beendete.

,,Ein schlechter Scherz“ – Betriebsärztin kann Weiterstudieren nicht garantieren

Kam die Diagnose “HIV-positiv” Anfang der 1990er-Jahre noch einem Todesurteil gleich, führen HIV-positive Personen in Deutschland heute ein nahezu normales Leben. Gut wirksame Medikamente erhöhen die Lebenserwartung Infizierter auf ein Normalmaß und drücken zudem die sogenannte Viruslast, die Menge der Viren im Blut. Wenn diese unterhalb von 200 Viruskopien pro Milliliter Blut liegt, ist eine Weitergabe des Erregers auf sexuellem Weg fast unmöglich. Wenn die Viruslast unter 20 bis 50 Viruskopien pro Milliliter Blut sinkt, gilt das HI-Virus als nicht mehr nachweisbar. Dennoch werden HIV-positive Menschen auch heutzutage aufgrund ihrer Diagnose stigmatisiert und diskriminiert.

Diese Erfahrung musste auch der mittlerweile 34-jährige Student der Universität Marburg machen. Dieser weiß seit 2012, dass er HIV-positiv ist. Seitdem ist er medikamentös eingestellt und führt ein normales Leben, inklusive einem Studium der Zahnmedizin. Die beiden theoretischen Studienabschnitte hat er erfolgreich absolviert. Im Wintersemester 2020/2021 steht der noch fehlende dritte Teil seiner Ausbildung am Uniklinikum Marburg-Gießen aus. Dafür muss der Student den “Kurs der kieferorthopädischen Technik” sowie den “Phantomkurs der Parodontalpropädeutik” absolvieren.

Im Vorfeld dieses praktischen Studienabschnitts müssen sich alle Studierenden einer arbeitsmedizinischen Untersuchung bei der Betriebsärztin unterziehen. Auf die Frage, ob eine HIV-Infektion bekannt ist, antwortete der Student nicht wahrheitsgemäß mit “Nein”. Die Frage, ob er mit einem HIV-Test einverstanden ist, lässt er unbeantwortet. Da die untersuchende Betriebsärztin nicht locker lässt, willigt er in einen Test ein. Als sich der Befund als positiv herausstellt, macht ihm die Ärztin klar, dass sie kein Weiterstudieren garantieren könne. Der Student hält eine solche Aussage “nach 40 Jahren Forschung zum Thema HIV für einen schlechten Scherz”. Doch die Ärztin ruft eine Expertenkommission ein und lässt sich die Laborwerte des Studenten von dessen Hausarzt schicken. Diese belegen, dass er zweimal über der Nachweisgrenze lag.

Die Kommission kommt deshalb in einem Bescheid vom August 2020 zu folgendem Ergebnis: Ein Jahr lang wird der Student von seinem Studium ausgeschlossen. In diesem Jahr soll er monatlich durch eine Laboruntersuchung nachweisen, dass seine Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. Da solche HIV-Tests im Rahmen einer HIV-Therapie nur alle drei Monate vorgenommen werden, muss er acht dieser Tests aus eigener Tasche zahlen – für 145 Euro pro Stück. Um sein Studium nicht zu gefährden, lenkt der Student ein und legt zunächst monatlich HIV-Teste vor. In dieser Zeit liegt er zweimal über der Nachweisgrenze. Nach neun Monaten lässt er sich nicht mehr testen. Die Universität stellt ihm daher für den nächsten Durchgang der praktischen Studienleistungen keine Eignungsbescheinigung aus. Gegen diesen Ausschluss ging der Student nun gerichtlich vor.

VG Gießen: Ausschluss des Studenten war nicht verhältnismäßig  

Vor dem VG Gießen (VG Gießen, Beschl. v. 29.11.2021, Az.: 3 L 3333/21 G.I.) begehrte der Student im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zulassung zu den praktischen Kursen für das Wintersemester 2021/2022. Diesem Begehren gab das Gericht auch statt und verpflichtete die Universität Marburg im Wege der einstweiligen Anordnung dazu, dem Studenten die Teilnahme an den Kursen uneingeschränkt zu ermöglichen. Zur Begründung wurde aufgeführt, dass der Student einen Anspruch auf die Teilnahme an den praktischen Kursen hätte. Dieser ergebe sich aus dem Mitgliedschaftsstatus des bei der Universität eingeschriebenen Studenten und beruhe insbesondere auf seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht würde auch die Teilhabe an universitären Ausbildungsleistung beinhalten. Die Voraussetzung für die Teilnahme am praktischen Studienabschnitt sei hier lediglich der erfolgreiche Abschluss der theoretischen Vorprüfungen. Diese habe der Student bestanden.

Der Eingriff in die Berufsfreiheit durch den Ausschluss des Studenten von den praktischen Kursen halte einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Zwar liege dem Ausschluss ein legitimer Zweck, nämlich der Gesundheitsschutz der anderen Studierenden sowie der Patienten, zugrunde. Allerdings bestünden Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme. Dem Gebot der Erforderlichkeit würde nur dann genügt, wenn das mildeste unter den gleich wirksamen Mitteln gewählt wird.

Der Ausschluss wäre hier nur dann erforderlich, wenn der Student in den fraglichen Kursen eine verletzungsträchtige Tätigkeit überhaupt ausführen müsse und dadurch andere Studierende und Patienten gefährdet werden würden. Unter verletzungsträchtige Tätigkeiten würden beispielsweise das Operieren in räumlicher Enge, die gleichzeitige Anwesenheit von Fingern und scharfen Instrumenten im OP-Gebiet, das Führen von Nadelspitzen oder das Arbeiten ohne Handschuhe bei gleichzeitiger Verletzung an den Händen fallen. In beiden fraglichen Kursen käme es lediglich zu nicht-invasiven Eingriffen, wie gegenseitiger Abdrucknahme. Weitere praktische Übungen würden an einem sogenannten “Phantomkopf” und nicht an echten Personen vollzogen. Es wäre daher nicht ersichtlich, wie die Tätigkeit in den Kursen zu blutenden Verletzungen und damit zu einer Infektionsgefahr für andere führen sollte. Der Ausschluss des Studenten war daher unverhältnismäßig.

VGH Kassel: Teilnahme eines HIV-positiven Studenten benötigt ärztliche Kontrolle

Trotz des Beschlusses hielt die Universität das Teilnahmeverbot aufrecht und legte Beschwerde vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof ein (VGH Kassel, Beschl. v. 01.02.2022, Az.: 10 B 2508/21). Dieser gab der Universität schließlich recht und hob die vorangegangene Entscheidung auf. Bei den streitgegenständlichen Kursen käme es sehr wohl zum Einsatz von scharfen Instrumenten, wobei es regelmäßig auch zu blutenden Verletzungen kommen würde. Trotz der Bezeichnung “Phantomkurs” würden die gefährlichen Übungen auch nicht an einem “Phantomkopf” durchgeführt, sondern an den Studierenden selbst oder an Übungspatienten. Die verletzungsträchtigen Tätigkeiten würden daher zu einer Gefährdung anderer Teilnehmer führen. Ein in der vorherigen Entscheidung beachtetes Gutachten von Jürgen Rockstroh (einem führenden HIV-Wissenschaftler) bezog der VGH nicht in seine Entscheidung zur Infektionsgefahr des Studenten ein – Rockstrohs Gutachten würde sich schließlich auf die Humanmedizin beziehen, auf dem Gebiet der hier einschlägigen Zahnmedizin hätte er jedoch keine ausreichende Expertise.

Die Richter hielten es stattdessen für gegeben, dass der Student die uneingeschränkte Teilnahme an den Lehrveranstaltungen trotz seiner HIV-Infektion ohne jegliche Kontrolle hinsichtlich einer von ihm ausgehenden Infektionsgefahr für andere wünsche. Sein Begehren scheine darauf gerichtet zu sein, völlig unkontrolliert am Studienbetrieb teilnehmen zu dürfen ohne verpflichtet zu sein, seine aktuelle Virenlast nachzuweisen. Zu einer schützenden Maßnahme wie dem Verlangen der monatlichen Tests wäre die Universität jedoch zur Sicherstellung ihres geordneten Studienbetriebs befugt.

Auf die Tatsache, dass der Student diese Tests teilweise selbst zahlen muss, ging der VGH nicht ein. Da der Student den Auflagen der Universität durch das frühzeitige Abbrechen der HIV-Tests nicht mehr nachkam, wäre die Verweigerung der Eignungsbescheinigung für die Teilnahme an den Kursen im Wintersemester 2021/2022 nicht zu beanstanden. Der Ausschluss sei demnach rechtmäßig.


Klausurrelevanz: Insbesondere die Entscheidung des VG Gießen eignet sich hervorragend um die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten und die Abgrenzung von § 80 VwGO und § 123 VwGO abzufragen. Vor der Examensprüfung sollte sich der Beschluss also dringend durchgelesen werden!

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