Heimliches Abziehen eines Kondoms ist strafbar

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Das heimliche Abziehen eines Kondoms ist strafbar! Zieht ein Mann während des Geschlechtsverkehrs heimlich das Kondom ab, sog. Stealthing, so verwirklicht er den Tatbestand des sexuellen Übergriffs gem. § 177 Abs. 1 StGB. Dies entschied neben dem BayObLG nun auch der BGH.

Zugrunde lag dem Urteil ein One-Night-Stand. Der Mann und die Frau hatten sich erst am Tatabend kennengelernt. Nachdem der Frau dem Mann in ihrer Wohnung erklärt hatte, für sie komme Geschlechtsverkehr nur mit Kondom in Frage, hatten beide einvernehmlichen Sex unter Verwendung eines solchen, wobei es zum Samenerguss kam. Unmittelbar danach zog er jedoch das Kondom ab und versuchte mit dem noch erigierten Penis ohne Kondom vaginal in sie einzudringen. Nachdem die Geschädigte das Verhalten bemerkte, forderte sie den Mann unverzüglich auf, das zu unterlassen. Dieser versuchte aber weiterhin, sie zu penetrieren. Nach einiger Zeit gab die Frau nach und sagte “Ok”. Der darauffolgende vaginale Geschlechtsverkehr wurde nach einigen Sekunden ohne Samenerguss abgebrochen.

Das BAyObLG führte aus, dass lediglich das Geschehen im Zeitraum zwischen dem Unbemerkten Abstreifen des Kondoms und dem “Ok” der Frau eine Strafbarkeit begründen kann. Vor dem Abstreifen lag ein einverständlich geschützter Vaginalverkehr vor. Nach dem “Ok” lag einverständlicher ungeschützter Verkehr vor, wobei das BayObLG feststellte, das keine Willensbeeinträchtigungen im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB vorlagen. Allein das Bedrängen der Frau durch den Mann steht “der Bildung ihres freien Willens nicht erkennbar entgegen”.

Nein-heißt-Nein-Lösung

§ 177 Abs. 1 StGB in der seit dem 10. November 2016 geltenden Fassung, mit der die sog. “Nein-heißt-Nein-Lösung” umgesetzt wurde, schützt das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung umfassend, ohne dass die Strafbarkeit wie in der zuvor geltenden Gesetzesfassung von einem Nötigungselement in Form von Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer schutzlos ausgeliefert ist, abhängt. Jegliche sexuelle Handlung im Sinne der Begriffsbestimmung des § 184h Nr. 1 StGB gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person ist unter Strafe gestellt. Die sexuelle Selbstbestimmung umfasst die Freiheit, über Partner, Zeitpunkt, Form und Art sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden.

Ob nun aber auch das heimliche Abziehen des Kondoms von der Norm umfasst ist, ist in der Literatur und der Rechtsprechung umstritten. Das BayObLG schließt sich der wohl herrschenden Meinung an und bejaht die Strafbarkeit des sogenannten Stealthing.

Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine sexuelle Handlung dann strafbar, wenn sie dem erkennbaren Willen der anderen Person widerspricht. Insoweit greift bei einem einverständlichen Geschlechtsverkehr ein tatbestandsausschließendes Einverständnis ein. Dieses kann aber nur dann vorliegen, wenn die Grenze des Einverständnisses respektiert und nicht überschritten wird.

Andere Qualität des Geschlechtsverkehrs

Um die sexuelle Selbstbestimmung umfänglich zu schützen, wie es der Sinn und Zweck des § 177 Abs. 1 StGB verlangt, muss der Geschlechtsverkehr unter eine Bedingung gestellt werden können (JURios berichtet zum “absprachwdirigen vaginalen Samenerguss”). Das BayObLG misst dem Geschlechtsverkehr ohne Kondom gegenüber dem Geschlechtsverkehr mit Kondom dabei eine andere, eigene Qualität bei. Vor allem der in der Öffentlichkeit gefestigte Ausdruck “Safer Sex” wird als Argumentationsgrundlage genutzt.

Das Interesse an der Benutzung eines Kondoms liegt nicht nur in der Verhinderung einer Schwangerschaft, sondern auch in der Prävention von Infektionen mit übertragbaren Krankheiten. “Die Bedingung der Verwendung eines Kondoms ist vor diesem Hintergrund konstitutiver Bestandteil des Einverständnisses mit der sexuellen Aktivität”, so das BayObLG.

Vollendung trotz Versuch

Indem die Frau erklärte, den Geschlechtsverkehr nur unter Benutzung eines Kondoms vollziehen zu wollen und sich der Mann eigenmächtig darüber hinwegsetzte, war seine Vorgehensweiße nicht mehr vom tatbestandsausschließenden Einverständnis der Frau gedeckt. Zwar versuchte der Mann lediglich in die Vagina ohne Kondom einzudringen, was nicht gelang. Jedoch sah das BayObLG trotz dessen den Tatbestand als vollendet an. So lege der natürliche Wortsinn des Begriffs ‘Geschlechtsverkehr’ nahe, dass sie jedenfalls einem Eindringen mit dem Glied in ihren Körper nur bei Benutzung eines Kondoms zustimmen wollte. Nachdem die Frau aber bemerkte, dass ein Anstoßen mit dem ungeschützten Penis an ihren äußeren Genitalbereich stattfand, widersprach sie diesem. Die Äußerung bezog sich nach dem Kontext klar ersichtlich nicht nur darauf, eine Penetration ohne Kondom zu unterlassen, sondern bereits auf die von ihm mit diesem Ziel unternommenen Versuche als solche.

BGH bestätigt Rechtsprechung in anderer Sache

Am 13. Dezember 2022 bestätigte nun auch der Bundesgerichtshof (BGH) diese Rechtsprechung. Zugrunde lag ein ähnlicher Sachverhalt, bei dem die Frau nicht bemerkte, dass der Mann entgegen der Absprache kein Kondom nutzte. Er nahm ein Kondom aus der Verpackung gab aber nur vor, es zu benutzen. Nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Landgerichts (LG) Düsseldorf kam es dem Mann gerade darauf an, dass die Frau davon ausging, er würde ein Kondom verwenden.

Nach dem BGH hat das LG den Mann zu Recht wegen sexuellen Übergriffs gem. § 177 Abs. 1 StGB verurteilt. Ein BGH-Sprecher äußerte sich sogar dahingehend, dass auch eine Verurteilung wegen Vergewaltigung gem. § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB in Betracht käme. Eine Erörterung im Rahmen der Revision erfolgte aber nicht, da der Angeklagte, dadurch dass das LG eine Vergewaltigung nicht annahm, nicht beschwert war.

Der BGH führte wie auch schon das BayObLG an, dass der Gebrauch eines Präservativs die Art und Weise des Sexualvollzugs betrifft und zu einer anderen qualitativen Bewertung führt. „Hierfür spricht insbesondere die generelle Eignung, eine unerwünschte Schwangerschaft oder die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Dass hierdurch die Beurteilung eines sexuellen Kontakts mitgeprägt wird, zeigt sich etwa daran, dass bei Sexualdelikten der Vollzug des Geschlechtsverkehrs ohne Verwendung eines Kondoms bereits nach früherer Rechtslage straferschwerend berücksichtigt werden konnte.“


BayObLG München, Beschl. v. 20.08.2021, Az. 206 StRR 87/21
LG Düsseldorf, Urt. v. 01.04.2022, Az. 8 KLs 71 Js 325/21 8/21
BGH, Beschl. v. 13.12.2022, Az. 3 StR 372/22

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Florentine Scheffel
Florentine Scheffel
Rechtsreferendarin in Thüringen.

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