Karneval vor Gericht: Bonbon-Treffer sind kein Grund zur Klage!

Wir alle kennen sie: Die rechteckigen Kamellen* mit Kirsch, Zitrone, Orange und Waldmeistergeschmack, deren Namen aber niemand zu kennen scheint. Die klebrig-süßen Bonbons werden zu Karneval gerne ins Publikum geworfen und erfreuen Kinderherzen. Doch was passiert, wenn man an Fasching von einem Bonbon oder Schokolade getroffen wird? Ist das ein Grund zu klagen?

Darüber musste schon 1994 das Landgericht Trier entscheiden (Urt. v.07.02.1995, Az. 1 S 150/94). Dabei wurde der Zuschauer eines Karnevalsumzugs von einem geworfenen Bonbon am Zahn getroffen und verletzt. Das Gericht urteilte jedoch, dass das Werfen von kleineren Gegenständen während eines Karnevalsumzuges vom Umzugswagen aus sozial üblich, allgemein anerkannt, von allen Zuschauern erwartbar und insgesamt erlaubt sei. Dieses Verhalten entspräche langjährigen Traditionen und wird allgemein begrüßt, es dürfte für viele Zuschauer:innen einen ganz wesentlichen Teil des Vergnügens der Teilnahme an einem Karnevalsumzug ausmachen. Und so ging der Karnevalsbesucher leer aus.

Verletzungen durch Schokolade?

Ähnlich entschied auch das Amtsgericht Aachen (Urt. v. 10.11.2005, Az. 13 C 250/05). Im betreffenden Fall wurde eine Umzugsbesucherin von einer Pralinenschachtel am Kopf getroffen, woraufhin sie zur Versorgung der dadurch erlittenen Platzwunde in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Durch den Besuch willigte sie laut Gericht aber schon in ein Verletzungsrisiko ein. Sie hat daher kein Recht auf Schadensersatz.

Dem schloss sich auch das Amtsgericht Köln (Urt. v. 07.01.2011, Az. 123 C 254/10) an. Eine Frau begehrt vor Gericht Schadensersatz wegen einer Verletzung, die sie durch den Wurf eines Schokoladenriegels am Rosenmontagszug 2010 am Auge erlitten habe. Bis zum Gerichtsverfahren habe sie lediglich 40% der Sehfähigkeit auf dem linken Auge wiedererlangt. Doch trotz dieser gravierenden Verletzung lehnte das Gericht einen Schadensersatzanspruch aus den gleichen Grünen wie oben genannt ab. Zur Frage nach weiteren Sicherheitsvorkehrungen führte das Gericht aus:

„Wenn man das Werfen von kleineren Süßigkeiten und anderen Gegenständen als erwünscht ansieht- hieran besteht für das Gericht kein Zweifel- dann lassen sich Verletzungen einzelner der äußerst zahlreichen Zuschauer nicht völlig ausschließen. Die Herabsetzung der Größe der geworfenen Gegenstände kann nicht verlangt werden, da auch ein einzelnes Bonbon oder wie vorliegend eine 17 Gramm leichte Schokoladenwaffel im ungünstigen Einzelfall Verletzungen hervorrufen kann. Angesichts der bekannten großen Höhe der Umzugswagen ergibt sich unweigerlich auch eine gewisse Geschwindigkeit der Gegenstände. Da die Klägerin selbst nicht behauptet, vorsätzlich beworfen worden zu sein, ergibt sich die beschriebene große Wucht bereits aus der Fallhöhe. Eine Vermeidung des Werfens in Richtung von Personen erscheint angesichts der Enge des Zugweges unmöglich und ist traditionell auch nicht beabsichtigt, da das Fangen der geworfenen Gegenstände allgemein erwünscht ist.“

Auf Bierlache ausgerutscht? Pech gehabt!

Etwas Ähnliches gilt übrigens bezüglich der Verkehrssicherungspflichten rund um eine Bierlache. Das Oberlandesgericht Köln (Urt. v. 28.06.2002, Az. 19 U 7/02) kam im Jahr 2002 zu dem Schluss, dass der Veranstalter nicht seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, wenn tausende Menschen gleichzeitig zum Ausgang strömen und dabei Bier verschüttet wird. Das begründete das Gericht auch mit einem besonderen Karnevalsbrauch in Köln:

„Gerichtsbekannt nimmt ein großer Teil der Besucher der Veranstaltung ‘Lachende Kölnarena’ seine eigenen Bierfässer und Getränke mit; dementsprechend hat auch der Kläger auf Bl. 2 seiner Klageschrift noch vorgebracht, daß bei dieser Veranstaltung erstmals auch Fässer Bier an die Besucher zur Selbstbedienung verkauft worden seien. Nimmt jedoch ein Großteil der Besucher seine eigenen Bierfässer und Getränke mit, dann kann die Beklagte nicht verhindern – wie das Landgericht zutreffend ausführt -, daß die Besucher ihre eigenen, mitgebrachten und ebenfalls nicht immer ganz leeren Bierfässer auf dem selben Wege mit nach draußen nehmen, auf dem sie den Veranstaltungsort verlassen.“

Etwas härtere Geschütze wurden bei einem Umzug in Trier aufgezogen, mit dem sich später das Landgericht Trier (Urt. v. 5.6.2011, Az. 1 S 18/01) beschäftigen musste. Im Leitsatz der NJW-Redaktion heißt es dazu: „Wenn eine sich langsam bewegende Fußgruppe bei einem Karnevalsumzug zwei Weinbergskanonen (unterschiedlicher Größe) mit sich führt und daraus in regelmäßigen Abständen Böller- bzw. Konfettischüsse abfeuert, steht einem Zuschauer am Straßenrand, der durch einen (lauten) Kanonenknall einen Hörschaden erleidet, gegen den Veranstalter des Karnevalsumzugs kein Schadenersatzanspruch zu.“

Die Rechtsfragen rund um Karneval sind dabei so interessant, dass sich sogar mehrere Aufsätze mit ihnen beschäftigen. Beispielsweise unter dem Titel „Gefährliche Kamelle – Karneval und Schadensrecht“ (Andreas Herzog, in: ZfS 2012, 603) sowie „Karneval, Volksfeste und ihr rechtliches Umfeld: Haftung und Verkehrssicherung bei Festveranstaltungen“ (Jürgen Jahntke, in: NZV 2019, 57).


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* Offiziell heißen die Bonbons ürbigens “Böhmer Fruchtkamellen” und werden kiloweise verkauft.

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