Jura – ein Studium für Akademikerkinder? (Teil 3)

-Werbung-spot_imgspot_img

Von hundert Grundschüler:innen aus Nichtakademiker-Familien machen gerade acht einen Masterabschluss. Bei derselben Gruppe aus Akademiker-Familien sind es 45 Masterabsolvent:innen. Diese Zahlen gehen aus dem Hochschulbildungsreport 2020 hervor. Aber wie ist das eigentlich im Jurastudium? Ist das als „Arbeiterkind“ zu schaffen?

Meine Erfahrungen als “Erstakademikerin”

Meine Mama füllt im Supermarkt Regale auf, mein Papa ist Klempner. Reich waren wir nie, aber immer glücklich. Ich war gut in der Schule und auch gern dort – doch auf das Gymnasium wollten mich meine Eltern trotz Empfehlung der Lehrerin lieber nicht schicken. Ich kam auf die Realschule, mit 16 machte ich eine Ausbildung zur Industriekauffrau, nebenbei Abitur in der Abendschule und dann war es soweit: Uni-Bewerbung, Umzug in die große Stadt (in meinem Fall Berlin). Raus aus der häuslichen Geborgenheit, raus aus dem Dorf, dem Sportverein und aus der Welt, in der man noch ab und zu die Chance hatte, mit seinen Leistungen zu glänzen. Dass ich “Arbeiterkind” war, war bislang ganz normal, machte keinen Unterschied. Doch im Studium waren die Unterschiede plötzlich da und teilweise gewaltig.

Den Studienplatz in München schlug ich aus, nicht zuletzt aus Geldgründen. Hätte ich in der Ausbildung nicht gespart, hätte ich mir allein den Umzug und die ersten Monate in der Stadt schwerlich leisten können. Trotz Erstausbildung bekam ich nur elternabhängige Förderung. Den halben Regelsatz, weil von meinen Eltern erwartet wurde, rund 300 Euro im Monat für meine Ausbildung zuzuschießen. Sie hätten das sicher getan, aber ich fand es nicht in Ordnung, ihnen wegen meiner Lebensentscheidungen einen Teil des ohnehin knappen Einkommens wegzunehmen. 

Geld ist wohl der elementarste Unterschied. Viele andere im Jurastudium kennen keine Geldprobleme diesen Ausmaßes. Sie müssen arbeiten, um die Flugreise in den Semesterferien zu bezahlen. Ich musste arbeiten, um zu wohnen und zu essen und reiste während des ganzen Studiums nur zu meinen Eltern nach Bayern. Auch auf die Freundschaften hatte das Geldthema Einfluss. Gemeinsame Abendessen, Kinobesuche, Sportkurse oder gar Reisen kann man sich entweder leisten oder eben nicht. Es kann belastend sein, deswegen in Erklärungsnot zu kommen.

Neben dem leidigen Geldthema, gibt es noch unzählige Kleinigkeiten, die einem nach und nach bewusst werden: Dass die Eltern nicht verstehen, dass man keine „Hausaufgaben“ mehr hat und was „Klausurenphase“ bedeutet oder was „Kommiliton:innen“ sind. Dass man nicht mal eben die Hausarbeit zum Korrekturlesen schicken kann. Dass man allein ist, mit der Angst vor dem Examen, mit dem Druck im Repetitorium. Dass die Verwandtschaft permanent fragt, wann man „endlich fertig“ ist. Dass die Freundinnen aus der Schule lachen, wenn man sich neuerdings so merkwürdig „hochgestochen“ ausdrückt. Und schließlich, dass eben diese Freundinnen heiraten, Kinder kriegen und Häuser bauen, während man selbst noch nicht einmal das Studium abgeschlossen hat.

Das Schöne am Studieren als “Arbeiterkind”

Gerade der Kontakt mit Kommiliton:innen aus Akademikerfamilien hat mir gezeigt, dass das auch nicht in jeder Hinsicht ein Privileg sein muss. Der familiäre Erfolgsdruck, die Einmischung bei Studienwahl und -gestaltung und der eigene Anspruch sind bei ihnen größer. Als “Arbeiterkind” ist man etwas Besonderes, so überheblich das klingt. Unsere Eltern, Geschwister und Freund:innen sind schon unglaublich stolz, dass wir auf der Uni sind – ohne Notendruck, ohne Erwartungen. Auch gesellschaftlich genießt man viel Anerkennung und Rückhalt, weil das „hocharbeiten“ einfach ein gutes Image hat. Als “Arbeiterkind” hat man die Erwartungen schon damit übertroffen, dass man es bis zur Uni geschafft hat. Der Rest ist Kür.

Außerdem kenne ich kein Akademikerkind, das annähernd so glücklich war, zur Uni gehen zu dürfen, wie ich. Ich habe es geliebt. Es war Ausdruck meiner Willenskraft, es hierher geschafft zu haben. In die hübschen Gebäude mit den schlauen Professor:innen und den reich gefüllten Bibliotheken. Und ich, die dort eigentlich nichts verloren hatte, mittendrin. Ganz selbstverständlich. Diese Dankbarkeit hat mir sehr viel Druck erspart, den ich mir sonst womöglich gemacht hätte.

Was ich anderen “Erstakademiker:innen” raten würde

Für ein erfolgreiches Jurastudium als Student:in aus einer weniger wohlhabenden Familie ist es wichtig, den finanziellen Aspekt abzusichern. Dazu sollte man sich bewusst sein, wie lange zehn Semester sind. Es gibt Fragen, die im Voraus beantwortet sein sollten, beispielsweise welche Förderungen für einen in Frage kommen, wovon sie abhängen, wie lange man noch mit Kindergeld rechnen kann und ab wann man aus der Familienversicherung fällt oder ob man eventuell noch große Ausgaben erwartet, wie einen Führerschein oder ein Auto.

Dazu: “Jurastudium für Alle? – Was kostet das Jurastudium und wie kann ich es finanzieren?”
Und: “Im Jurastudium BAföG erhalten – bin ich berechtigt?”

Um sich abzusichern, ist eine Erstausbildung eine gute Idee. Nicht nur, weil sie mittlerweile einen Anspruch auf elternunabhängige Förderung auslöst, sondern auch, um im Studium besser bezahlte Nebenjobs ausüben zu können. Und gerade beim langwierigen Jurastudium, das auf den letzten Metern immer noch schiefgehen kann, ist die zusätzliche Sicherheit, schon einen Abschluss in der Tasche zu haben, Gold wert.

Mit Freunden über die eigene Lebenssituation zu sprechen, kann helfen, die Gesamtsituation realistischer wahrzunehmen. Je mehr man sich mit Kommiliton:innen darüber unterhält, desto klarer wird, dass es tausend verschiedene Hintergründe gibt, die das Studium erleichtern oder erschweren. Nicht jedes Akademikerkind hat die besten Voraussetzungen und nicht alle “Erstakademiker:innen” werden sich in meinen Erzählungen wiederfinden.

Für mich hat es übrigens funktioniert. Mein erstes Examen habe ich in Regelstudienzeit geschafft – sogar (gerade so) mit Prädikat. Und ich habe es höchstens in der Examensvorbereitung ab und zu ein bisschen bereut.


Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Beitrag aus unserer Serie “Arbeiterkind”. Teil 1 und 2 findet Ihr hier:

-Werbung-

Ähnliche Artikel

Social Media

6,795FollowerFolgen
2,166FollowerFolgen
Download on the App Store
Jetzt bei Google Play
-Werbung-spot_img
-Werbung-

Letzte Artikel