Anekdoten zum Medienrecht

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In meinem Studium gab es noch keine Vorlesungen zum Medienrecht. Allenfalls wurden medienrechtliche Teilaspekte in den anderen Vorlesungen gestreift. Das Medienrecht wurde damals noch nicht als zusammenhängende Rechtsmaterie gesehen. In meiner Assistentenzeit, Anfang der 80er Jahre, führte mein akademischer Lehrer Thomas Oppermann eine Vorlesung zum Medienrecht an der Universität Tübingen ein. Das war damals etwas Exotisches. Ab und an durfte ich ihn in dieser Vorlesung vertreten, da ich für das von ihm begründete Kulturverwaltungsrecht an seinem Lehrstuhl verantwortlich war. Er erkannte früh das Potential von Rechtsgebieten außerhalb des gewohnten Kanons. Zu den exotischen Rechtsgebieten zählte damals noch – so verwunderlich das heute klingen mag – das Europarecht. Ein weiteres Rechtsgebiet war der Kulturgüterschutz, mit dem ich damals in Berührung kam. Auch dieses Gebiet hat sich seither vom belächelten Randgebiet zu einer anerkannten Materie entwickelt. Indes bei weitem nicht mit der gleichen Dynamik wie das Medienrecht.

Seminararbeiten auf der Schreibmaschine getippt

Vorreiter der Entwicklung war die Technik. In der Assistentenzeit hatten wir das Privileg, im Wege einer Versuchskooperation mit dem Hersteller die PCs der ersten Generation nutzen zu können. Die Vorteile dieser Geräte waren uns sofort ersichtlich, nachdem man seine Hausarbeiten bis dahin noch mit der Schreibmaschine getippt hatte. Jeder Fehler musste mit weißer Farbe getilgt werden, Umarbeitungen hatten langwierige Prozeduren mit Schere, Klebstoff und am Kopierer zur Folge. Seminararbeiten wurden auf Matrize getippt, die keine Fehler erlaubte, und dann Seite für Seite mit einem Gerät mit Handkurbel „abgezogen“.

Eine erste Schreibmaschine mit 2 1/2 Seitenspeicher war in der Referendarzeit demgegenüber eine große Hilfe. Doch auch mit den PCs gab es noch Probleme. Die mir zur Verfügung gestellte Maschine verweigerte das Booten, wenn das Zimmer ausgekühlt war – bis ich auf die Idee kam, das Gerät auf den Kopf zu stellen, damit auf die Festplatte zugegriffen werden konnte – nun gab es keine Probleme mehr. Meine Dissertation habe ich noch mit einem Nadeldrucker ausgedruckt – eine große Erleichterung – was indes eine ganze Nacht dauerte (es war eilig, weil mein Doktorvater die Arbeit im Winterurlaub lesen wollte – es wurden dann aber doch die Sommerferien). Als bei der Kaffeerunde der Assistenten ein Kollege meinte, er habe im Internet die Seite des Weißen Hauses ausfindig gemacht, gab es nur staunendes Kopfschütteln.

Medien machen dynamische Entwicklung durch

Diese kleinen Anekdoten mögen veranschaulichen, welche dynamische Entwicklung die Medien in wenigen Jahrzehnten durchlaufen haben. Das Medienrecht konnte der Entwicklung nur nachfolgen. Die klare Trennung zwischen Individual- und Massenkommunikation, die dem Art. 5 Abs. 1 GG zugrunde liegt, ebenso wie die klassische Trias von „Presse, Rundfunk und Film“, wurden bald durcheinandergewürfelt und es begann die „Konvergenz der Medien“.

Ab etwa dem Jahr 2000 hatte ich dann die Gelegenheit, mich auf das Medienrecht zu konzentrieren, da an der TU Ilmenau das Medienrecht ausgebaut werden sollte. Es waren die Jahre einer Goldgräberstimmung bezüglich der damals „Neuen Medien“. Die tollsten Ideen wurden entwickelt, um schnelles Geld zu verdienen. Weder eine Produktionsstätte noch teure Maschinen waren dafür mehr erforderlich. Das Recht hinderte nicht die Entwicklung, vielmehr fehlten verbindliche Rechtsregeln, um die Unsicherheit für Investitionen zu nehmen.

Die Studierenden der verschiedenen Medienstudiengänge benötigten Kenntnisse des für die Praxis zunehmend bedeutungsvoller werdenden Medienrechts. Schon in Tübingen war die Vorlesung vielfach von Nichtjuristen besucht worden, neben Studierenden der Germanistik auch von angehenden Journalistinnen und Journalisten. Rechtsvorlesungen vor Nichtjuristen machen eine Vereinfachung der Materie erforderlich, die klärend wirkt. Juristisch korrekt und doch verständlich zu sein, gleicht oftmals der Quadratur des Kreises.

Medienrecht als Querschnittsmaterie

Während andere arrivierte Universitäten noch einen medienrechtlichen Dornröschenschlaf pflegten, wurden an der TU Ilmenau nicht nur eine Einführungsvorlesung geschaffen, sondern auch Vertiefungen, die gefüllt werden konnten, vor allem mit medienrechtlichem Rechtsschutz, Urheberrecht, Jugendschutz, medienrechtlichen Aspekten des Wettbewerbsrechts und des Datenschutzes. Hinzu kamen in jedem Semester stattfindende Seminarveranstaltungen und Abschlussarbeiten. Das Medienrecht konnte hier als eine Querschnittsmaterie aller Disziplinen des Rechts angegangen werden. Ausgangspunkt der Einführung in das Medienrecht sind bis heute die Grundrechte, denn sie ermöglichen es, Sachverhalte rasch zu beurteilen, auch wenn man die einzelnen Gesetze noch nicht so genau kennt. In den Vertiefungen kann man sich dann den einfachgesetzlichen Regelungen widmen.

Noch gut entsinne ich mich der Frage des Studenten in einer der vorderen Reihen: „Was können Sie uns denn für Literatur empfehlen?“. Damals gab es einige überblicksartige Darstellungen, die aber veraltet waren und ansonsten nur eine Fülle Spezialliteratur. Diese Frage war der Ausgangspunkt meines kleinen Lehrbuchs zum Medienrecht, das inzwischen über zwanzig Jahre im Einsatz ist und gerade in 22. Auflage erschienen ist. Der Inhalt entspricht im Wesentlichen dem Gang der Vorlesungen. Hinzu kamen bald eine Vorschriftensammlung, eine Entscheidungssammlung und verschiedene Fallbücher, die sich zu einem „Lernpaket“ gruppierten. Viele Fragen und Anregungen wurden seither berücksichtigt und die Medienlandschaft hat sich gewandelt, was in jedem Jahr mit gravierenden Änderungen einherging. In der Vorlesung merkt man, ob eine Erklärung auch verstanden wird oder ob sie noch verbessert werden kann, Fragen technisch interessierter „digital Natives“ lassen Probleme erkennen, die dann wieder im Lehrbuch und in Aufsätzen berücksichtigt werden können – das ist die Einheit von Forschung und Lehre.

Einheit von Forschung und Lehre in einem Buch

Die Dynamik des Medienrechts ist in den letzten Jahren nicht mehr so offenkundig, wie sie es Anfang der 2000er Jahre war. Doch ständig werden neue medienrechtliche Normen erlassen oder verändert, die europäischen Rechtsvorgaben wirken immer intensiver in das nationale Recht hinein. Andere Fragestellungen treten in den Vordergrund. Die direkte Beeinflussung der Medienfreiheit durch den Staat ist subtileren Methoden gewichen; sie ist heutzutage keineswegs weniger bedroht. Zudem befinden sich die Medien in einer Glaubwürdigkeitskrise, die nur mit qualitativ hochwertiger Medienarbeit überwunden werden kann. Aufgabe des Rechts ist es, freie Medienarbeit zu ermöglichen. Erstaunlich ist, wenn Medienschaffende sich der Bedeutung der ihnen verliehenen Rechte nicht bewusst sind und sich dieser aus Unkenntnis nicht bedienen. Die Beschäftigung mit dem Medienrecht ist daher für alle Studierenden des Rechts bedeutungsvoll, aber auch für alle Medienschaffenden. Ich bin daher mehr denn je motiviert, den Studierenden die Bedeutung des Medienrechts für die Demokratie nahezubringen.

Noch eine kleine, ganz unpolitische Überlegung zur „Wahrheit“ am Schluss zum Nachdenken. In dem von Schubert vertonten Lied „Der Wanderer an den Mond“ vergleicht der Wanderer seine traurige Existenz mit der glücklichen des Mondes. Während er über Berge und Täler und durch Wälder zieht und nirgendwo zu Hause ist, geht der Mond überall heimatlich „auf und ab“ und zwar, wie es dann im ursprünglichen Text heißt: „Aus Westens Wieg´ in Ostens Grab“. Schlaue „Experten“ vermerken nun, nicht ohne Häme, dass hier Dichter und Komponist falsch liegen, denn der Mond, wie die anderen Himmelskörper auch, wandern doch aufgrund der Erddrehung nach ihrem Aufgang am Osthorizont im Laufe der Nacht nach Westen. Aufgrund dieser Feststellung wird heute meist „aus Ostens Wieg´ in Westens Grab“ gesungen, denn auch Dichter und Komponisten könnten schließlich nicht den Lauf der Gestirne ändern. Diese Interpretation macht nicht nur die Alliteration zunichte, sie verkennt auch, dass der Dichter offensichtlich den Wanderer wie den Mond nicht nur eine Nacht lang begleitet. Betrachtet man die Bewegung des Mondes über mehrere Nächte, so wird man beobachten, dass er aufgrund seiner Eigenbewegung von Nacht zu Nacht immer weiter im Westen auf- und untergeht, dass er tatsächlich von Westen nach Osten „wandert“.

Was ist nun „die Wahrheit“? Eine Wahrheitspflicht, wie sie manche Gesetzgeber aufstellen, ist eine Illusion. Verlangt werden muss hingegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Aufgaben der Medien ist es, alles zu hinterfragen, um Missstände in Politik und Gesellschaft aufzudecken. Wer das verstanden hat, der wird sich im Medienrecht bald heimisch fühlen.

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Aufgrund der sich ständig und grundlegend ändernden Medienlandschaft und des sich wandelnden Medienrechts hat Frank Fechner in den letzten 20 Jahren sein Lehrbuch jedes Jahr überarbeitet und Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und die entsprechende Literatur jeweils auf den aktuellen Stand gebracht.

In der vorliegenden Neuauflage werden die neuesten Entwicklungen des Medienrechts einbezogen. Berücksichtigt wurden Gesetzesänderungen, vor allem die im TKG, im UWG und die neu hinzugekommenen Gesetze TTDSG und das UrhDaG sowie neue Literatur und Rechtsprechung.


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Prof. Dr. Frank Fechner
Prof. Dr. Frank Fechner
Prof. Dr. Frank Fechner ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere öffentlich-rechtliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der TU Ilmenau.

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