„Das Gesetz nach Lidia Poët“: Netflix-Serie über erste Anwältin Italiens

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Lidia wer? Lidia Poët! Die erste zugelassene Anwältin Italiens! Und das schon im Jahr 1883! Zum Vergleich: In Deutschland wurden Frauen erst 1922 zu den juristischen Berufen zugelassen. Doch auch Lidia Poët hatte Pech: Ihre Anwaltszulassung wurde kurz darauf zurückgezogen. Und so war die kluge Juristin gezwungen, in der Kanzlei ihres Bruders als einfachere Rechtsgehilfin zu arbeiten. Der bekanntesten Juristin Italiens und Frauenrechtsikone widmet sich jetzt eine Netflix-Serie. Unter dem Titel „Das Gesetz nach Lidia Poët“ erschien das italienische Kriminaldrama im Februar 2023 – und sorgt genauso wie das berühmte Vorbild für einige Kontroversen.

Im Turin des späten 19. Jahrhunderts studiert die aus gutem Hause stammende Lidia Poët als jüngstes von sieben Kindern Rechtswissenschaften. 1881 promoviert sie mit einer Arbeit über die Rolle der Frau in der Gesellschaft und zu Fragen des Frauenwahlrechts. In den darauffolgenden Jahren absolviert sie ein Praktikum im Büro von Rechtsanwalt Senator Cesare Bertea. Und schließlich wird sie 1883 als Rechtsanwältin zugelassen.

Lidia Poët: Strafverteidigerin!

Die Netflix-Serie beginnt damit, dass Lidia Poët (Matilda De Angelis) beschwingt von ihrer Eintragung in die Rechtsanwaltskammer ihren ersten Mordfall als Strafverteidigerin übernimmt. Als eine Ballerina tot aufgefunden wird, beschuldigt man ihren angeblichen Stalker des Mordes. In ihrer Verzweiflung wendet sich die Mutter des Verdächtigen an die erste Anwältin Italiens, um Hilfe zu erhalten. Doch Lidia Poët muss schnell feststellen, dass sie von ihren männlichen Kollegen und auch der restlichen Justiz nicht sonderlich ernst genommen wird. So kontrolliert der Gefängnis-Bedienstete ihre Papiere gleich doppelt, weil er nicht glauben kann, dass eine Frau einen mutmaßlichen Mörder im Gefängnis besuchen und ihn sogar verteidigen möchte.

Doch genauso wie in der Realität, ist das Glück der neu zugelassenen Anwältin nur von kurzer Dauer. Die Justiz fühlt sich durch eine junge Anwältin in ihrem Ansehen beschädigt. Man ist der Meinung, dass Frauen den Haushalt führen und Kinder bekommen sollten. Für den Anwaltsberuf sei eine Frau viel zu emotional und einfach nicht geeignet. So die Kritiker. Der Protest der Anwaltschaft geht so weit, dass Lidia Poët schließlich ihre Zulassung wieder entzogen wird. Die italienische Justiz verbietet ihr, jemals wieder als Anwältin zu arbeiten.

Arbeit als einfache Anwaltsgehilfin

Lidia Poët ist am Boden zerstört. Hat sie doch hart für ihr Jurastudium gelernt und sich auch in der Praxis bewährt. In der Netflix-Serie bittet Lidia Poët ihren Bruder um Hilfe. Denn der ist ebenfalls Anwalt – im Gegensatz zu seiner jüngeren Schwester hatte er jedoch überhaupt keine Probleme, eine Anwaltszulassung zu erhalten. Schließlich ist er ein Mann. Widerwillig stellt Enrico Poët (Pier Luigi Pasino) seine Schwester als Anwaltsgehilfin ein. Sie darf Schriftsätze verfassen und einfache Recherchetätigkeiten ausführen. Das Auftreten vor Gericht ist jedoch ihrem Bruder vorbehalten. Während Enrico Poët am liebsten einfache, kleine Fälle übernimmt und sich dabei sklavisch an die Gesetze hält, wird schnell klar, dass sich seine Schwester der Gerechtigkeit verschrieben hat. Gegen den Protest ihres Bruders nimmt sie ausschließlich besonders aussichtslose Mordfälle an. Und löst diese mit viel Geschick und Bravour. Und das nicht nur kriminalistisch, sondern auch vor Gericht.

Hilfe erhält sie dabei von ihrem Schwager Jacopo Barberis (Eduardo Scarpetta), der als Journalist leicht an Informationen über die Gesellschaft von Turin herankommt. Und auch im Privatleben der jungen Juristin geht es hoch her. Denn Lidia Poët denkt überhaupt nicht daran, zu heiraten. Stattdessen hat sie eine Affäre mit Andrea Caracciolo (Dario Aita). Dieser akzeptiert Lidia von Anfang an als das, was sie ist und versteht ihre beruflichen Ambitionen. Deswegen versucht er sie auch dazu zu überreden, mit ihm nach Amerika auszuwandern, wo Frauen bereits als Anwältinnen tätig sein können. Doch Lidia zögert, denn sie fühlt sich gleichzeitig auch zu ihrem Schwager Jacopo hingezogen.

Ist das wirklich so passiert?

Bei so viel Mord, Sex und Intrigen stellt sich natürlich dir Frage, inwiefern die Serie ein realistisches Bild von Lidia Poët zeichnet. Wer auf eine historisch akkurate Darstellung oder gar eine Biografie gehofft hat, wird enttäuscht sein. In „Das Gesetz nach Lidia Poët“ steht ganz eindeutig die Unterhaltung im Vordergrund – und die Auflösung von spannenden Mordfällen mit einer großen Portion sex appeal. Als Krimi und Anwaltsserie funktioniert die Netflix-Produktion jedoch hervorragend. Es macht großen Spaß, die historischen Kostüme und das italienische Setting zu genießen, während Lidia Poët aufmüpfig ihre männlichen Kollegen vorführt. Bildlich steht hierfür eine Szene, in der Lidia Poët einem Richter und einem Staatsanwalt eine neue Ermittlungsmethode vorstellt – das Sammeln von Fingerabdrücken. Später tauscht sie dann ein wertvolles Geschenk ihres Liebhabers in einem Pfandhaus gegen ein altes, klappriges Fahrrad ein – um endlich mehr Fortbewegungsfreiheit zu haben und nicht mehr auf Kutschen und die dazugehörigen Männer angewiesen zu sein.

Was wurde aber aus der echten Lidia Poët? Hat sie ihre Anwaltszulassung irgendwann doch wieder zurückerhalten?

Bevor sie sich für ein Jurastudium in Italien einschrieb, studierte die “echte” Lidia Poët zunächst Lehramt in der Schweiz. Ihr Abschluss hätte ihr ermöglicht, Englisch, Deutsch und Französisch zu unterrichten. Doch das reichte der ehrgeizigen jungen Frau nicht aus. Stattdessen schloss sie in Italien auch noch ein Studium der Rechtswissenschaften ab und wurde sogar Doktorin der Rechte.

Bei ihrem ersten Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltskammer von Turin hatten sich immerhin acht von zehn Räten (natürlich alle männlich) für eine Aufnahme von Lidia Poët ausgesprochen. Das dürfte unter anderem der Unterstützung des Vorsitzenden geschuldet gewesen sein. Francesco Saverio Vegezzi erklärte, dass nach italienischem Zivilrecht Frauen Bürger wie Männer seien und sprach sich deswegen für die Zulassung aus. Daraufhin traten aus Protest zwei Anwälte aus der Rechtsanwaltskammer aus. Unter ihnen der Abgeordnete Federico Spantigati, der gerufen haben soll: „Kein Gesetz hat jemals daran gedacht, Frauen von ihren normalen Hausaufgaben abzulenken.“

Was wurde aus Lidia Poët?

Der Fall landete vor Gericht. Der Generalstaatsanwalt des Königs beim Berufungsgericht von Turin, Vincenzo Calenda di Tavani, behauptete, bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt hätte Lidia Poët niemals zur Anwaltschaft zugelassen werden dürfen. Er begründete dies damit: “Titel und Rechtsanwaltspraxis können von Frauen nicht gesetzlich übernommen werden“ (offensichtlich waren Calenda di Tavani keine besseren Argumente eingefallen). Das Berufungsgericht nahm den Antrag des Generalstaatsanwalts daraufhin an und hob am 11. November 1883 die Zulassung zur Rechtsanwaltskammer auf. Lidia Poët legte dagegen am 28. November 1883 beim Kassationsgericht von Turin Berufung ein. Zur Begründung führte sie andere erfolgreiche Anwältinnen an, wie z.B. Clara Shortridge Foltz in den Vereinigten Staaten. Doch ohne Erfolg. Am 18. April 1884 bestätigte das Kassationsgericht die Entscheidung. Das bittere: Es gab in Italien damals schlicht kein Gesetz, das Frauen den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf verwehrte.

Doch Lidia Poët ließ sich nicht unterkriegen und beschloss, sich der Verteidigung der Rechte von Frauen, Minderheiten, Minderjährigen und Gefangenen zu widmen. Genauso wie in der Netflix-Serie arbeitete Lidia Poët in der Kanzlei ihres Bruder und soll dort selbstständig Rechtsfälle bearbeitet haben. Zwar konnte sie die anwaltlichen Schriftsätze nicht selbst unterschreiben und auch nicht vor Gericht plädieren, doch ansonsten übernahm sie alle Arbeiten, die in der Kanzlei anfielen.

Im Ersten Weltkrieg arbeitete Lidia Poët als Krankenschwester des Italienischen Roten Kreuzes. Und 1920 war es endlich so weit! Im Alter von 65 Jahren, wurde ihr anstandslos die Zulassung als Rechtsanwältin vor Gericht erteilt. Lidia Poët wurde 94 Jahre alt. Sie war nie verheiratet.

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