Strafen im Mittelalter am Beispiel der Ermordung von König Philipp von Schwaben: Verfestung, Ächtung, Oberacht und Friedlosigkeit

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“Dieses Mal wird es kein Spiel für dich sein.”

Pfalzgraf Otto VIII. von Wittelsbach (übersetzt)[1]

Dieser markante Spruch[2] wird dem Pfalzgrafen Otto VIII. von Wittelsbach zugesagt, als jener am 21. Juli 1208 den damaligen römisch-deutschen König Philipp von Schwaben mit einem Schwerthieb ermordete. Philipp, den man als Mittelalterfan vor allem durch die strittige Doppelwahl aus dem Jahre 1198[3] kennt, war zu diesem Zeitpunkt in einem privaten Gemach in Bamberg zur Ruhe gekommen.[4] Die Beweggründe hinter dieser Tat und die genaue Anzahl an Beihilfeleistenden ist seitjeher in der Literatur umstritten. In älteren Forschungen ging man davon aus, dass Otto als Einzeltäter agierte, in neueren Betrachtungen wiederum sieht man umfassendere Verstrickungen, die sogar staatsstreich-ähnlichen Charakter aufweisen sollen.

Was es nun letztendlich war, kann aber für diesen Beitrag dahinstehen. Viel wichtiger ist es, welche Bestrafung für ein solches Verbrechen vorgesehen war, denn das lässt tief in die Exekutivlosigkeit des Mittelalters blicken. Diese festigte[5] nämlich verschiedene Rechtsfiguren, die dem Recht insoweit dienten, dass sie die Angeklagten „physisch“ zu Gericht führen sollten. Diese Figuren sind namentlich die Verfestung, die (Reichs-)Acht und Oberacht und die Friedlosigkeit, die als Folge der Oberacht gesehen werden kann.

Verfestung, Ächtung, Oberacht und Friedlosigkeit

Die oben erwähnten Ächtungen wurden immer dann ausgesprochen, wenn u.a. eine gerichtliche Ladung bei schwerwiegenden Verfehlungen missachtet wurde. Dabei gab es unter den oben aufgeführten Rechtsfiguren erhebliche Unterschiede. Die Verfestung, als niedrigste Stufe derer, war örtlich begrenzt und nur für den einverleibten Sektor des für die Verfestung ausgesprochenen Gerichts relevant. Die (Reichs-)Acht war schon eine weitere Stufe darüber. Jene, welche bspw. vom König ausgeht, erstreckte sich nicht nur auf einen kleinen Bereich, sondern auf das gesamte Reichsgebiet[6], was alle Bewohner:innen des Reichsgebietes dazu aufrief, die Betroffenen zu fassen. Für die weiteren genannten Rechtsfiguren rekurrieren wir erneut auf die oben angerissene Geschichte aus Bamberg:

Gut drei Monate nach der Tat, im November 1208, wurde Otto und zwei angebliche Beihilfeleistende, im Detail Bischof Ekbert von Bamberg und Eckberts Bruder, für friedlos erklärt, was eine beinahe „unumkehrbare Vogelfreiheit“ nach sich zog. Die Friedlosigkeit als Folge der Oberacht wird im historischen Kontext oftmals als schwerwiegender als die (Reichs-)Acht selbst betrachtet, da es – jedenfalls zu Zeiten Ottos – noch keine Ablöseregelung gab, die einen Ausweg aus dieser aussichtlosen Lage versprach.

Durch das Erscheinen vor Gericht, was oftmals auch eine Art Zwangsgebühr in Form von Geld (der sog. Achtschatz) verlangte, konnte sich der Geächtete aus der (Reichs-)Acht lösen. Dies war aber nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich. Wer beispielsweise von einem Hofgericht mit der Reichsacht belegt wurde, hatte lediglich ein Jahr Zeit (die sog. Jahr und Tag – Frist), um sich nun freiwillig dem Gericht und seiner Strafe zu stellen.[7]

In dieser Zeit konnte der Geächtete in der Regel von jedermann gesetzestreu ermordet oder ausgeliefert werden. Hatte der Angeklagte diese Zeit unbeschadet, sprich ohne Gefangennahme oder einer legitimen Tötung überstanden, wandelte sich die Reichsacht zur Oberacht, die als direkte Strafe die oben genannte Friedlosigkeit mit sich führte. Von nun an, war der Geächtete völlig entkoppelt von der Rechtsgemeinschaft, was nicht nur eine absolute Ehrlosigkeit nach sich zog, sondern auch eine automatische Lehns- und Besitzentziehung. Die Oberacht hatte weiterhin das Todesurteil implizit bestätigt, denn nun war eine Ablöse nicht mehr möglich.

Im Jahre 1220 wurde die Rechtsfigur der Reichsacht auch direkt in das mittelalterliche Kirchenrecht miteingebunden. So war fortan ein von der obersten Kirche ausgestellter Kirchenbann mit einer (weltlichen) Reichsacht einhergehend, wenn eine Frist von sechs aufeinanderfolgenden Monaten nach dem Bann abgelaufen war. Dies war insoweit herrschaftsrechtlich interessant, da die Reichsacht selbst keine formelle Aussprache mehr brauchte, sondern automatisch im Kirchenbann erwuchs. Ein solcher Ausschluss aus der Kirchengemeinde stellte insoweit eine beträchtliche Mehrstrafe da, da man auch nach einer Liquidierung, die bei Ächtung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eintrat, kein lebenswertes Dasein nach dem Tode erwarten konnte.

Warum gab es diese Rechtsfiguren?

Wenn man sich die weiteren Elemente dieser Rechtsfiguren ansieht, wird zunächst klar, welche psychologische Wirkung diese bei Menschen auslösen musste. Mit der Ächtung war man „vogelfrei“ und von der Gesellschaft gänzlich ausgeschlossen. Man konnte nicht zu seinen eigentlichen Besitztümern zurück, man konnte nicht bewirtet oder gastfreundlich unterstützt werden und man lebte permanent in der Gefahr, im Zeichen des Rechts ermordet zu werden. Hierbei bekommt man heute leichte John Wick III – Flashbacks, wenn diese Analogie an der Stelle gestattet ist.

Mit der Oberacht wurde man sogar als bereits tot angesehen, da die Ehefrau des (Ober-)Geächteten als Witwe tituliert wurde. Ein seltsames Vorgehen, wenn man es im Rahmen eines Werturteils historisch analysiert. Neben der psychologischen Wirkung gibt es aber noch einen anderen Grund: die oben angeführte Exekutivlosigkeit. Im Mittelalter gab es keinen steten Polizeiapparat. Daher war die Justiz auch lange Zeit privater Natur in Form von kleiner Reitereien (als sog. Fehden bekannt). Die Chancen, dass Personen, die schwerwiegende Missetaten begangen, zu einem (königlichen) Gericht kamen, lagen bei einem unbeachtlichen Prozentsatz. Daher wurde – vor allem mit der Reichsacht – die gesamte Bevölkerung dazu aufgerufen, mitzuhelfen und Privatpolizei zu spielen. Der § 127 StPO wäre bei einem humoristischen Vergleich mit jenem mittelalterlichen Rechtsinstitut der Ächtung „a Dreck dageg’n“.

Wie ging es für Otto VIII. von Wittelsbach aus?

Da man Geschichten, die man anfängt, auch zu Ende bringen sollte, fragt sich, wie es denn nun mit dem friedlos erklärten Otto weiterging?

Seine ebenfalls als friedlos erklärten Kumpanen entgingen jedenfalls einer privaten Sühne. Eckbert und sein Bruder flohen erfolgreich nach Ungarn, wurden aber 1211 von der „Friedlosigkeit“ befreit.[8] Für Otto war eine Rehabilitierung dieser Form – schon aus der festen Überzeugung, dass er den König ermordete – nicht möglich. Der königliche Marschall Heinrich von Kalden spürte Otto im Frühjahr des Jahres 1209 in Oberndorf auf und rächte den Tod seines Königs, für den er zu Lebzeiten eine Beratungsposition ausfüllte. Nach den vorhandenen Quellen schlug dieser den Kopf Ottos mit einem Schwert ab und warf ihn in den Fluss.

Der Körper des ehemaligen Pfalzgrafen wurde lange bis zu einem gutherzigen Begräbnis von Mönchen in einem Holzfass aufbewahrt. Dieses Prozedere war nichts Ungewöhnliches, da Geächtete im mittelalterlichen Verständnis grundsätzlich keiner Bestattung würdig waren.

Man merkt also eines: Im herrschaftlich geprägten Hochmittelalter war ein Königsmord keine Lappalie, sondern ein Akt des absoluten Friedensbruches. Dass dies ein solches strafrechtliches Handeln nach sich zog, ist mit diesem Hintergrund – jedenfalls aus der Sicht eines Sachurteils[9] – nicht verwunderlich. Im Rahmen eines Werturteils ist dieses Vorgehen natürlich zu verurteilen, da es im Recht egal sein muss, ob es sich nun um Würdenträger:innen handelt oder nicht. Ein Mensch bleibt ein Mensch und ein Leben ist nicht in einer nachvollziehbaren Bewertung zu skalieren.


[1] In der Quelle: „Non erit hic tibi ludus.“
[2] Der im Original in latinisierter Form vorzufinden ist, wird auch in einer anderen lateinischen Fassung überliefert.
[3] Dieser als Deutscher Thronstreit titulierte Herrschaftszwist zwischen den Staufern und Welfen ist ein wichtiges Forschungsfeld für das ausgehende 12. und das folgende 13. Jahrhundert.
[4] Vgl. Keupp, Jan: Philipp von Schwaben, Ein Staufer im Kampf um die Königsherrschaft, in: Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 27, S. 122: In der Geschichtswissenschaft wird hier in diesem Fall von Arglosigkeit gesprochen, da Philipp seinen Mörder als treuen Berater sah, der ihn oftmals auch mit Kunststücken mit Hilfe seines Schwertes erfreute. Die Tatsache, dass Otto ein Schwert in den privaten Gemächern des Königs mitführte, war für Philipp kein Warnzeichen, sondern ein Zeichen von freundschaftlichem Entertainment. Nach modernem Verständnis wäre der § 211 StGB mit dem Mordmerkmal Heimtücke subsumierbar.
[5] Hier ist bewusst die Festigung genannt, da die Wurzeln dieser Rechtsfiguren bereits aus germanischen Rechtstraditionen stammen.
[6] In diesem Fall das Heilige Römische Reich (später noch dt. Nationen).
[7] Außergerichtliche Bestrebungen in Bezug auf einen Opferausgleich waren in der Regel auch möglich, wobei dies natürlich nur in bestimmten Situationen möglich war.
[8] Was – wie oben beschrieben wurde – kein generelles Prozedere darstellte.
[9] Bei einem Sachurteil werden die Rahmenbedingungen jener Zeit kontextual miteinbezogen. Bei einem Werturteil wird in der Geschichtswissenschaft die heutige Zeit und insbesondere das Verständnis von Demokratie, Menschenrechten etc. in die Rechnung mitaufgenommen und gegenübergestellt.

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