Gefordert: Schöffenamt 2.0! Meine Erfahrungen als Schöffe

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Was weiß eigentlich “das Volk”, in dessen Namen geurteilt wird, von der Rechtsprechung und worauf gründet sich dieses Bild? Spricht “das Volk”, wenn im Rahmen von Sexualstraftaten wieder einmal “drastische Strafen” gefordert werden, die in Deutschland aus gutem Grund verboten sind? Soll etwa dieses Volk im Schöffenamt mit auf der Richterbank sitzen? Sind Barbara Salesch und Richter Hold die durchschnittlichen Repräsentanten der Judikative, an denen sich die Öffentlichkeit in ihrem Rechtsverständnis orientiert? Oder ist es gar der Schöffe, die Automechanikerin und der Amazon-Serienheld Charlie Menzinger als “Der Beischläfer”?

Nicht hilfreich ist auch, dass nicht wenige Redaktionen, ja sogar Juristinnen und Juristen,  ausgerechnet den US-amerikanischen Gerichtshammer regelmäßig als mediales Symbolbild bemühen. Im Namen des Volkes zum Ersten, zum Zweiten und – zum Dritten.

Wo zwischen diesen Zerrbildern ist Platz für das Schöffenamt? Das mutmaßlich unbeliebteste, gleichsam verantwortungsvollste und wohl unbekannteste Ehrenamt der Republik taumelt gefühlt zwischen zwei Polen: der Beliebtheit einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt einerseits und dem Charme eines nicht enden wollenden Elternabend andererseits. Juristinnen und Juristen nutzen bei Twitter übrigens gern den Hashtag #teamresopal.

Auf die Frage, warum er Schöffe geworden sei, antwortete Jan Böhmermann dem SPIEGEL 2013: “Ich war der Meinung, das müssen auch Menschen aus dem Berufsleben machen und nicht immer nur frustrierte Hausfrauen und alte Nazis.” Was lustig klingt, mag  – wenigstens gefühlt – das Image des Schöffenamts treffend beschreiben. Das Schöffenamt ist sicher nicht attraktiv für junge Menschen. Ob es das sein muss oder kann, ist allerdings die Frage.

Vom Vermeidenswerten zum Erstrebten

Mehrfach war ich selbst bei Gericht geladen – als Zeuge, als Kläger, auch als Beklagter. Fast immer im Rahmen meiner selbstständigen Tätigkeit schienen mir Aspekte der Zivilgerichtsbarkeit grundsätzlich vermeidenswert und gleichsam unvermeidbar zu sein. Bei Gericht sprachen hauptsächlich die Anwältinnen und Anwälte sowie die Vorsitzenden. Das Gefühl des gewissen Unbeteiligtseins und Reduziertwerdens auf einen “Fall” störte erheblich. Jahre später wollte ich es genauer wissen – und aktiv teilnehmen.

Nicht wenige Schöffinnen und Schöffen sind gleich mehrfach ehrenamtlich engagiert. Das legt die Vermutung nahe, das Schöffenamt könne als Königsdisziplin der Ehrenämter gelten. In meinem fünften Amtsjahr als Schöffe am Landgericht kann ich dies bestätigen. Wohl kein anderes Ehrenamt ist mit soviel (Eigen-)Verantwortung verbunden – und leider mit sowenig Unterstützung – wie das Schöffenamt.

Will ich Schöffe werden? Diese Frage auf der Suche nach einem anspruchsvollen Ehrenamt traf sich mit der Gelegenheit, dass 2018 die letzte Schöffenwahlperiode dem Ende entgegenging. Illusionen über den formalen Rahmen des Schöffenamtes, seine zeitliche Unkalkulierbarkeit, die hohe Verantwortung und die zu erwartenden auch unangenehmen Sachverhalte machte ich mir nicht. Das Standardwerk “FIT FÜR’S SCHÖFFENAMT”(Lieber/Sens) half mir dabei vorab. Die Bewerbung gab ich persönlich im Rathaus ab – und wurde gewählt. Die schriftliche Berufung durch die damalige Präsidentin des Landgerichts läutete im Ton des Ernennungsschreibens eine andere Zeitrechnung ein. Von alltagsüblicher Höflichkeit keine Spur. Die gewisse justizeigene Überheblichkeit sollte mich noch des Öfteren ärgern. Der Rechtsstaat macht sich so keine Freu(n)de.

Anders als im Fernsehen

Fallmässig war und ist vieles zu verhandeln: von mehreren Einweisungen in psychiatrische Kliniken über schwere Körperverletzung bis hin zur Urkundenfälschung in besonders schwerem Fall. “Berufskriminalität” habe ich nicht erlebt, eher ausschliesslich tragische Fälle. Wer mich als Schöffe am Landgericht jedoch nach meinen “spektakulärsten Fällen” fragt, bekommt die Antwort “Falsche Frage!”. Als Entertainment sehe ich das Schöffenamt nicht, hoffentlich auch nicht als ethische Veredelung meines Bürgerseins.

Zu Berufungen vor der kleinen Strafkammer erschienen Berufungskläger regelmäßig nicht – ein Ärgernis für alle Prozessbeteiligten. So warteten auch wir Schöffinnen und Schöffen zwischen mehreren Verhandlungen stundenlang vergeblich, meist war ein ganzer Tag weg. Ganz sicher sind Verhandlungen auch abhängig vom Gerichtsort. Das Verstehen multikultureller Zusammenhänge bis hin zum Verstehen der Angeklagten selbst waren und sind jedenfalls konkrete Anforderungen in Hanau.

Kollegialität und Routine

Berufsbedingt haben Berufsrichterinnen und -richter eine ausgeprägte Menschenkenntnis – durchaus auch von Schöffinnen und Schöffen. Mir war es vom ersten Moment an wichtig, durch gezielte Fragen deutlich zu machen, dass Prozessökonomie meine Sache nicht ist. Nicht selten schrieb ich mit. Immer wollte ich Konsequenzen meines Urteils früh verstehen. Es ist beeindruckend, wenn gestandene Berufsrichterinnen und -richter mir als Schöffe auf meine Fragen hin Rechtspositionen verständlich erläutern (müssen). So kann wenigstens die Idee von Kollegialität entstehen.

Unbefriedigend hingegen ist die vielfache zwangsläufige Ahnungslosigkeit, nicht nur im Hinblick auf Strafrahmen, Strafzumessung und Gesamtstrafenbildung. Dass wir Schöffinnen und Schöffen ein gesetzlich garantiertes Fragerecht haben und uns eine Landgerichtspräsidentin rät, unsere Fragen auf einen Zettel zu schreiben, der von den Vorsitzenden dann verlesen wird, ist eine weit verbreitete Absurdität. Das Fragerecht der Schöffinnen und Schöffen wird regelmässig nicht ausgeübt, weil gerichtliche Fragetechnik aufgrund von fehlender Fortbildung gar nicht trainiert werden kann. So wird Unsicherheit zur Regel.

Von September 2021 bis September 2022 stand gar keine Verhandlung an. Es ist nicht selten, dass die Mehrzahl der für ein Jahr im Voraus zugelosten circa zwölf Verhandlungstermine nicht zu einer Verhandlung führt. Eine Routine im Schöffenamt kann so nicht entstehen. Eine dementsprechend tiefe Identifikation mit dem richterlichen Ehrenamt auch nicht.

Unfähige Schöffen

“Schöffe eingeschlafen, Prozess geplatzt” ist die Headline, die diejenigen Schöffinnen und Schöffen ärgert, die ihr Amt ernst nehmen und es pflichtbewusst ausüben. Gleichzeitig ist es der peinliche Beleg dafür, dass immer wieder ungeeignete Personen berufen werden. Wie haben es jene zum Schöffenamt unfähigen “Einschläfer” überhaupt auf die Schöffenvorschlagslisten geschafft? Wenn Gemeinden hier nicht genau hinschauen, handeln sie unverantwortlich, bremsen Rechtsprechung aus und verursachen unnötige Kosten.

Keine Selbstwirksamkeit ohne Selbstorganisation

Als Schöffe die Wirksamkeit des eigenen Handelns zu erleben setzt eine immens eigenständige Organisation der Amtsausübung voraus, die nicht mit Verlassen des Gerichts endet. Mit 30 Jahren Erfahrung aus beruflicher Selbstständigkeit gelingt dies spürbar gut. Auf dem Silbertablett bekommen Schöffinnen und Schöffen rein gar nichts serviert. Dies wird von unterschiedlichen Schöffinnen und Schöffen unterschiedlich beantwortet. Drei Schöffentypen erlebe ich: die Wichtigtuer, die Unsicheren und – natürlich – die Idealschöffen.

“Die Wichtigtuer”, oft ältere Männer, wissen alles besser. Sie versuchen sich im verbalen Armdrücken mit gestandenen Juristinnen und Juristen und machen sich dementsprechend schnell beliebt. Wichtigtuer, keine Domäne des Schöffenamts und besonders gern in Verbänden zu finden, vermuten insgeheim, das Schöffenamt sei ein Orden, der ihnen für besondere Verdienste verliehen wurde. Peinlich. Selbstreflexion und Selbstkritik sind wohl auch in Schöffenkreisen nicht weiter verbreitet als in anderen Kreisen der Gesellschaft.

“Die Unsicheren” zeichnen sich nach meiner Beobachtung dadurch aus, dass sie eine bei Amtsbeginn völlig natürliche Unsicherheit im Laufe der Amtsperiode leider nicht durch Wissen und Kompetenz ersetzen. Ob sie nicht wollen oder nicht können oder gar beides – wer weiss? So entstehen Abnicker:innen. Wer Juristinnen und Juristen grundsätzlich zustimmt, wird die fünf Jahre im Schöffenamt zwar bequem herumkriegen. Mit einer ernsthaften Amtsausübung hat das jedoch nichts zu tun.

“Die Idealen” sind – zugegeben – eine Zielvorstellung. Aus anfänglicher Unsicherheit im Amt – woher soll Sicherheit auch kommen, ohne Schulungen? – kann in der Amtszeit durch persönliche Weiterentwicklung ein homo democraticus heranreifen. Jahr eins bis zwei sind Praktikum. Die aufgeklärte Persönlichkeit entwickelt ihr Selbstbewusstsein im Schöffenamt aus Wissen und Können heraus, nicht aus einem unreifen “So-tun-als-ob”.

Gegen Ende meiner ersten Amtszeit als Schöffe am Landgericht hoffe ich inständig, den dritten Zustand wenigstens immer mal wieder erreicht zu haben. Routine konnte sich bei mir nicht einstellen – dafür boten die bisher circa 17 Verhandlungen in viereinhalb Jahren zuwenig Gelegenheit. Jedenfalls: ich bin gerne Schöffe. Das Schöffenamt kann ich allen empfehlen, die ein höchst anspruchsvolles Ehrenamt suchen – und für die der einfachste Weg nicht automatisch der richtige ist. Ferner ist eine hohe Frustrationstoleranz Grundbedingung für das Schöffenamt, denn der Rechtsstaat lässt Schöffinnen und Schöffen weitgehend allein. Freude am Amt sollte vorsichtshalber niemand erwarten – sie ist abhängig vom jeweiligen örtlichen Gericht selbst. An “meinem” Gericht ist diesbezüglich noch Luft, siehe oben.

Forderungen an Rechtspolitik und Gesellschaft

Aus den Erfahrungen meiner Amtszeit heraus stelle ich folgende Forderungen:

  1. Fortbildung, Fortbildung, Fortbildung!
  2. Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Supervision im Rahmen belastender Verfahren wie Mord, Totschlag, Missbrauch
  3. Verkürzung der Amtszeit auf drei Jahre
  4. Wählbare Schöffen-Interessenvertretungen an den Gerichten wie in Berlin, Brandenburg, Thüringen
  5. Digitalisierung der Kommunikation (Ladungen, Abladungen, Korrespondenz)
  6. Angemessene Entschädigungen

Ich bitte hier ausdrücklich alle Mandatsträger:innen, auf übliche Allgemeinsätze wie “Schöffinnen und Schöffen sind wichtig” zu verzichten und stattdessen amtierenden Schöffinnen und Schöffen zuzuhören – sie kennen sich mit drängenden Mängeln des Amtes aus. Wer nie Schöffin oder Schöffe war, kann und sollte zu Anforderungen und Bedarfen im Schöffenamt lieber nichts sagen.

Im Namen des Volkes: es ist Zeit für einen Wandel im Schöffenamt. Wir brauchen das Schöffenamt 2.0.

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Jörg Schmitz
Jörg Schmitz
Jörg Schmitz (53) ist in der Schöffenwahlperiode 2019-2023 Schöffe am Landgericht Hanau. Er hat den YouTube-Kanal www.schoeffen.tv gegründet. Mit Unterstützung der Hessischen Staatskanzlei laufen dort derzeit Infovideos zum Schöffenamt und zur Schöffenwahl.

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