Lebenslange Freiheitsstrafe – wirklich ein Leben lang?

Die Todesstrafe ist in Deutschland 1949 (bzw. in der DDR 1987) abgeschafft worden. Somit ist nun die lebenslange Freiheitsstrafe das härteste Strafmaß, welches das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) vorsieht. Aber bedeutet denn „lebenslange Freiheitsstrafe“ auch, dass man ein Leben lang im Gefängnis sitzt?

Um die lebenslange Freiheitsstrafe in Deutschland ranken sich viele Vorurteile. Von „nach 15 Jahren ist die Person eh wieder draußen“ bis hin zu „bei besonderer Schwere der Schuld bleibt die Person für immer weggesperrt“, hört man verschiedene Laien-Meinungen. Mit diesen Vorurteilen soll in diesem Beitrag aufgeräumt werden.

Nicht nur bei Mord

Die bekannteste Strafnorm, bei der die lebenslange Freiheitsstrafe angeordnet ist, ist der Mord in § 211 Abs. 1 StGB. Daneben ist eine solche aber auch bei einem besonders schweren Fall des Totschlags gem. § 212 Abs. 2 StGB, Hochverrat gegen den Bund gem. § 81 StGB, sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge gem. § 176d StGB und anderen Qualifikationsdelikten mit Todesfolge (z.B. bei der Brandstiftung mit Todesfolge, § 306c StGB) möglich.

Außerdem sind auch im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) verschiedene Delikte, wie bspw. der Völkermord gem. § 6 Abs. 1 VStGB, mit der lebenslangen Freiheitsstrafe bedroht.

Länglich oder lang?

Umgangssprachlich wird immer wieder von der „lebenslänglichen“ Freiheitsstrafe gesprochen. Das StGB kennt jedoch nur die „lebenslange“ Freiheitsstrafe z.B. in § 211 Abs. 1 StGB. Inhaltlich macht es wohl kaum einen Unterschied, wobei jeder Germanist sicher anbringen würde, dass die Strafe ein Zeitraum ist und damit keine im Verhältnis zur Breite größere Länge aufweist und somit nicht länglich ist, sondern nur mit dem Adjektiv lang beschrieben werden kann. Gesellschaftlich wird aber meist das Gleiche gemeint sein, ob nun lebenslänglich oder lebenslang.

Oder doch kurz?

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist im deutschen Strafrecht aber keinesfalls die Regel, sondern die Ausnahme. Grundsätzlich gibt es im allgemeinen Strafrecht drei Strafarten: die Freiheitstrafe, die Geldstrafe und als Nebenstrafe das Fahrverbot gem. § 44 StGB. Die Freiheitsstrafe gliedert sich in eine lebenslange und eine zeitige Freiheitsstrafe. Was ist denn nun eine zeitige Freiheitsstrafe?

Gem. § 38 Abs. 1 StGB ist die Freiheitsstrafe zeitig, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht. Eine zeitige Freiheitsstrafe ist also jede Strafe, die eine genaue Dauer anordnet. § 38 Abs. 2 StGB wiederum bestimmt, dass das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe 15 Jahre und das Mindestmaß einen Monat bemisst. Das bedeutet also, zwischen 15 Jahren und lebenslanger Freiheitsstrafe gibt es nichts.

Schon als Jugendlicher lebenslang eingesperrt?

Abgesehen davon, dass es im Jugendstrafrecht nicht die gleichen Strafarten wie im Erwachsenenstrafrecht gibt, sondern Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe, gelten für die Jugendstrafe nicht die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts, vgl. § 18 Abs. 2 JGG. Speziell für die lebenslange Freiheitsstrafe ist in § 105 Abs. 3 S. 1 JGG geregelt, dass das Höchstmaß der Jugendstrafe zehn Jahre beträgt. Nur für den Fall, dass ein Mord begangen wurde und zehn Jahre aufgrund der besonderen Schwere der Schuld nicht ausreichen, beträgt das Höchstmaß 15 Jahre. Diese Beschränkung folgt aus dem Sinn und Zweck des Jugendstrafrechts. Das Erwachsenenstrafrecht dient der Vergeltung, der Abschreckung der Gesellschaft und der Besserung der Täter:innen, sog. Vereinigungstheorie. Das Jugendstrafrecht hingegen soll aber vor allem erneuten Straftaten eines:r Jugendlichen oder Heranwachsenden vorbeugen, weshalb hier aber der Erziehungsgedanke und nicht die Bestrafung an sich im Vordergrund steht.

Rechtsstaatlichkeit fordert Möglichkeit der Freilassung

Der Wortlaut „lebenslange“ Freiheitsstrafe lässt zunächst einmal vermuten, dass die verurteilte Person auch bis zu ihrem Tod inhaftiert wird. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21. Juni1977 (Az. 1 BvL 14/76) muss aber die grundsätzliche und auch gesetzlich festgeschriebene Möglichkeit eingeräumt werden, irgendwann wieder die Freiheit zu erlangen. Allein das Begnadigungsrecht reicht dafür nicht aus. Dass es diese Möglichkeit geben muss, stützt das BVerfG auf das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG und die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG

  • Entlassung nur bei Einwilligung

Damit die Strafandrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe nun aber nicht gegen die Verfassung verstößt, bedarf es einer Regelung, die die vorzeitige Entlassung vorsieht. Diese ist mit § 57a StGB eingeführt worden. Diese Norm sieht vor, dass eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes unter folgenden Voraussetzungen möglich ist:

  1. 15 Jahre der Strafe sind verbüßt,
  2. die besondere Schwere der Schuld gebietet nicht die weitere Vollstreckung,
  3. die Aussetzung kann unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden und
  4. die verurteilte Person willigt ein.

Über die vorzeitige Entlassung entscheidet die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts nach Antrag der verurteilten Person. Lehnt sie den Antrag ab, kann sie gem. § 57a Abs. 4 StGB eine Art Sperrfrist von max. zwei Jahren bestimmen, nach deren Ablauf erst ein neuer Antrag gestellt werden kann.

Das bedeutet aber auch, wer nicht vorzeitig entlassen werden will, muss das auch nicht. Wird nun die besondere Schwere der Schuld festgestellt, heißt das wiederum, dass es eine Reststrafenaussetzung nach 15 Jahren für die Person wahrscheinlich nicht geben wird. Offen ist aber, wie lange sie mindestens verbüßen muss. Einen verbindlichen Endzeitpunkt der Verbüßungsdauer gibt es nicht.

  • Seit 1962 in Haft

Im Jahr 2021 hatten laut einer Studie der Kriminologischen Zentralstelle KRIMZ Personen, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, bei ihrer Entlassung 19,8 Jahre verbüßt. Im Vergleich zu den Vorjahren ist dieser Wert relativ stabil. Dass das aber nicht die Regel und schon gar nicht die Obergrenze sein muss, zeigen aktuelle Höchstbeispiele. So sitzt Klaus Bräunig seit 52 Jahren hinter Gittern. Allerdings ist das nicht die längste Dauer in Deutschland. Derzeit ist Hans-Georg Neumann, der in Deutschland am längsten Inhaftierte, nachdem er seit dem 20. Januar 1962 in Haft sitzt. Begründet werden die abgelehnten Anträge auf Strafaussetzung mit einer negativen Sozialprognose, sodass es an Nr. 3 der oben genannten Voraussetzungen scheitert. Das BVerfG stellte ausdrücklich klar, dass bei einer solch lang verbüßten Strafdauer, allein die damalige Anordnung der besonderen Schwere der Schuld, die Ablehnung des Antrags nicht rechtfertigen kann.

  • Keine doppelt lebenslange Freiheitsstrafe

Wie oben bereits festgestellt, gibt es in Deutschland nur zeitige Freiheitsstrafen bis 15 Jahre und lebenslange Freiheitsstrafen. Daran ändert auch die sog. Gesamtstrafenbildung gem. §§ 53, 54 StGB nichts. Diese Gesamtstrafe wird immer dann gebildet, wenn der oder die Täter:in mehrere Straftaten begangen hat und theoretisch für jede Straftat gesondert verurteilt werden müsste. § 54 Abs. 2 StGB bestimmt dabei, dass die Gesamtsumme die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf. Bei zeitigen Freiheitsstrafen ist das Höchstmaß der Gesamtstrafe nach Satz 2 ebenfalls auf 15 Jahre begrenzt. Würden die Einzelstrafen also eine Summe von 25 Jahren erreichen, ist trotzdem nur eine Verurteilung auf max. 15 Jahre möglich. Ist hingegen eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe wird auch nur auf eine Gesamtstrafe als lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Eine doppelt lebenslange Freiheitsstrafe gibt es also in Deutschland nicht.

Über 1000 Jahre im Gefängnis

In den Vereinigten Staaten gibt es eine Gesamtstrafe hingegen nicht. Deshalb kommt es in den USA regelmäßig zu Verurteilungen von mehreren hundert bis zu über 1000 Jahren.  Aber auch im Common Law gibt es die Möglichkeit auf eine zweite Chance. Dazu wird meist schon im Urteil die lebenslange Freiheitsstrafe mit einer Mindestverbüßungszeit verknüpft, z.B. 20 Jahre bis lebenslang. Die langen Verbüßungszeiten sind hauptsächlich dadurch zu erklären, dass in vielen US-Bundesstaaten die Inhaftierung von Schwerstverbrechern bis zu ihrem Tod als einzige annehmbare Alternative zur Todesstrafe angesehen wird.

Lebenslange Freiheitsstrafe nur für Männer

Genauso wie es Länder mit Haftstrafen von mehr als dreimal lebenslänglich gibt, gibt es auch Staaten, die gar keine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen. Das ist auch gar nicht mal so selten. Allein in Europa haben sieben Staaten keine entsprechende Regelung. Dafür kann aber bspw. in Kroatien eine Höchststrafe von 50 Jahren verhängt werden. Aber auch Brasilien oder die Mongolei haben eine lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft.

Russland, Weißrussland, Aserbaidschan, Usbekistan, Kasachstan und Albanien hingegen haben zwar die lebenslange Freiheitsstrafe, diese darf aber nur gegen Männer verhängt werden und in Russland sogar nur gegen Männer unter 65 Jahren. Der EGMR stellte 2017 sogar fest, dass dies keine unzulässige Diskriminierung entgegen der europäischen Menschenrechtskonvention ist. Sieben der 17 urteilenden Richter:innen gaben aber ein Minderheitsvotum ab. Einstimmig sieht anders aus.

Grönland ganz ohne Gefängnis

Während in manchen Staaten Personen ihr halbes Leben in einem Gefängnis verbringen, kam bis 2019 ein Land ganz ohne Gefängnis mit Mauern und Stacheldraht aus. Der autonome Bestandteil des Königreichs Dänemark Grönland. Wer nun aber denkt, dass es auf Grönland keine Straftäter:innen gibt, irrt. Grönland hat sogar eine relativ hohe Kriminalitätsrate. Bis 2019 gab es auf Grönland jedoch nur offenen oder halboffenen Vollzug. Wegen Mordes oder anderer schwerer Straftaten Verurteilte wurden in die etwa 4000 Kilometer entfernte Justizvollzugsanstalt in Kopenhagen geschickt. Bis 1976 gab es sogar gar kein Gefängnis auf Grönland. Seit 2019 bietet das Hochsicherheitsgefängnis, mit dem kreativen Name „Anstalten“, in der Hauptstadt Nuuk Platz für bis zu 76 Insassen, davon 40 im geschlossenen Vollzug.

141.078 Jahre Haft

Es geht aber noch absurder. In Thailand wurde 1989 Chamoy Thipyaso wegen Betruges in 23.519 Fällen zu insgesamt 141.078 Jahren Haft verurteilt.

Die kürzeste Haftstrafe musste 2012 der pakistanische Premierminister Yousuf Raza Gilani verbüßen. Zu ganzen drei Minuten verdonnerte ihn der oberste Gerichtshof in Pakistan.

Der derzeit jüngste Inhaftierte, aber nicht Verurteilte, ist wohl der Fötus der 24-jährigen Natalis Harell, die im Miami-Dade County Gefängnis in Florida in Haft sitzt. Der Fötus hat seit kurzem sogar einen eigenen Anwalt (JURios berichtet).

In Indien wiederum ist 2011 wohl der bis heute älteste Inhaftierte im Alter von 108 Jahren, aus gesundheitlichen Gründen, entlassen worden.

Reformvorschläge?

Über die Frage, ob die lebenslange Freiheitsstrafe sinnvoll ist oder nicht und ob sie reformiert werden sollte, kann man sicherlich unterschiedlicher Ansicht sein. In der Bundestagsdebatte von 2014 bzgl. der Reform der Tötungsdelikte, ging es außerdem auch um die Frage der Beibehaltung oder Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe als Sanktion für vorsätzliche Tötungen bzw. höchststrafwürdige Tötungen. Die Beibehaltung jener wurde aber weitgehend übereinstimmend befürwortet. Aktuelle Reformvorschläge bestehen nicht.

Zusammengefasst müssen in Deutschland zu lebenslanger Haft Verurteilte mindestens 15 Jahre absitzen. Eine Garantie für eine sofortige Freilassung nach diesem Zeitraum gibt es aber nicht. Wie so oft heißt es also wieder: Es ist einzelfallabhängig.

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Florentine Scheffel
Florentine Scheffel
Rechtsreferendarin in Thüringen.

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