Der Werwolf und die alic – macht sich ein Werwolf wegen seiner Taten strafbar?

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Ein Liebling der Fantasy-Literatur ist neben Vampiren, Hexen und Elfen der Werwolf. In vielen Geschichten treten Charaktere auf, die sich in Vollmondnächten zu blutrünstigen Bestien verwandeln. Doch inwiefern müssen sich Werwölfe für ihre Taten strafrechtlich verantworten? Schließlich handeln sie in Wolfsgestalt im Rahmen ihrer tierischen Instinkte. Und in vielen Welten können sich die Menschen hinter den Werwölfen überhaupt nicht daran erinnern, was sie in Wolfsgestalt verbrochen haben. Wir gehen diesem Mysterium aus der Fantasy-Welt strafrechtlich auf den Grund.

Reddit-Post mit Diskussion

Der Werwolf in Buch und Film

Bereits in Höhlenmalereien tauchen Menschen in Wolfsgestalt auf. Der Mythos des Werwolfes reicht also sehr weit zurück. Aus der griechischen Literatur ist beispielsweise der König Lykaon bekannt, der von Zeus in einen Wolf verwandelt wurde. Auch in der isländischen Völsungasaga kommen Vater und Sohn vor, die sich zeitweise in Wölfe verwandeln. Was Viele nicht wissen: Im Zuge der Hexenverfolgung wurden manchmal auch Männer hingerichtet, denen vorgeworfen wurde, sich in Werwölfe zu verwandeln.

Heute sind Werwölfe aus Buch und Film nicht mehr wegzudenken. Das Werk „Wolf Blood: A Tale of the Forest“ von 1925 gilt als der älteste erhaltene Werwolffilm. In der Filmkomödie Teenwolf von 1985 spielt Michael J. Fox einen Jugendlichen, der als Werwolf Superkräfte entwickelt. Unter dem Hashtag #TeamJacob drücken Fans der Twilight-Saga der Autorin Stephanie Meyer ihre Sympathien für den Werwolf Jacob Black und Konkurrent des Vampirs Edward Cullen aus. In den Harry-Potter-Romanen kommen hingegen sowohl „gute“ als auch „böse“ Werwölfe vor. Während der Lehrer Remus Lupin alles tut, um seine Werwolfseigenschaft geheim zu halten und mit Hilfe eines Zaubertrankes wie ein „normaler“ Mensch zu leben, beißt der Werwolf Greyback, der ein Anhänger Lord Voldemorts ist, am liebsten kleine Kinder, um sie gezielt mit der Werwolfskrankheit, der Lykanthropie, anzustecken.

Nehmen wir also an, einer dieser Werwölfe verletzt in einer Vollmondnacht in seiner Werwolfsgestalt einen Menschen oder tötet ihn sogar? Muss sich am nächsten Tag dann der hinter dem Werwolf steckende Mensch strafrechtlich verantworten? Die Beantwortung dieser Frage ist gar nicht so einfach und erfordert die Betrachtung verschiedener Aspekte.

Zur Strafbarkeit des Werwolfs

Man könnte zunächst auf die Idee kommen, den Werwolf getrennt vom dazugehörigen Menschen zu betrachten. Dieser Werwolf hat einen Menschen getötet. Der Tatbestand des Totschlags nach § 212 StGB (oder, wenn ein Mordmerkmal verwirklicht ist, des Mordes gem. § 211 StGB) erscheint zunächst erfüllt. Doch Moment, das Strafgesetzbuch ist natürlich nur auf Menschen anwendbar. Handelt es sich bei der Fantasy-Gestalt des Werwolfs um einen Menschen? Davon könnte man zumindest solange ausgehen, wie der Werwolf seine Menschengestalt beibehält. Zudem ist ein Werwolf die längste Zeit seines Lebens ein Mensch. In einen Werwolf verwandelt er sich lediglich in Vollmondnächten. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn zur Beurteilung der Strafbarkeit kommt es gem. § 2 Abs. 1 StGB immer auf den Zeitpunkt der Tat an. Zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung bzw. Tötung hatte sich der Mensch jedoch in seine Werwolfsgestalt verwandelt. Die Tötungshandlung wurde also vom Werwolf (und nicht dem dahinterstehenden Menschen) vorgenommen.

Geht man von einer strengen Trennung der beiden Formen aus, kommt also nur eine „Bestrafung“ des Werwolfs als Tier in Betracht. Man könnte also auf die Idee kommen, eine Parallele zur Verantwortlichkeit von Tieren zu ziehen. Also beispielsweise Fälle, in denen Hunde Kinder totbeißen oder Kühe Menschen tottrampeln. Gefährliche Tiere werden in Deutschland meistens eingeschläfert. Dies ist in den verschiedenen Bundesländern in unterschiedlichen Verordnungen geregelt. In Hessen kann beispielsweise gemäß der Gefahrenabwehrverordnung über das Halten und Führen von Hunden (HundeVO Hessen) die Tötung von gefährlichen Hunden der Rasselisten angeordnete werden. Voraussetzung ist, dass der Hund bereits einen Menschen oder ein anderes Tier verletzt hat.

Stuft man den Werwolf als „Tier“ ein, kommt also eine Tötung des Werwolfs in Betracht, weil er eine Gefahr für Menschen darstellt und bereits mindestens einmal einen Menschen verletzt bzw. getötet hat. Aber auch dieses Ergebnis ist nicht befriedigend. Denn der Werwolf ist eben nicht nur irgendein Tier, sondern ein verwandelter Mensch. Spätestens am nächsten Tag, wenn man den Werwolf für seine Tat zur Verantwortung ziehen will, steht einem also ein Mensch gegenüber, den man dann töten müsste. Auch darauf zu warten, bis sich der Mensch das nächste Mal in einen Werwolf verwandelt, um ihn dann zu töten, ändert nichts an diesem ethischen Problem.

Das gleiche Problem ergäbe sich übrigens auch, wenn man den Werwolf wie einen Menschen behandelt und ihn wegen Totschlags oder Mordes zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Sperrt man den Werwolf dann nur in Vollmondnächten in den Knast und lässt ihn in Menschengestalt wieder frei? Oder muss er die Haftstrafe auch in seiner Menschengestalt absitzen, weil beide Wesen ähnlich einer „Schicksalsgemeinschaft“ unzertrennbar miteinander verbunden sind und der eine für die Taten des anderen geradestehen muss?

Grundsätze der alic anwendbar

Oben genannte Punkte zeigen deutlich das Problem auf, das man bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Werwolfs hat. Doch es gibt auch abseits der Fantasy-Welten eine Konstellation, die diesem Problem sehr nahekommt. Das Rechtskonstrukt der sog. Actio libera in causa (kurz: alic). Dabei geht es um Täter:innen, die während der Begehung der Tat (z.B. wegen übermäßigem Alkoholkonsum) schuldunfähig sind. Wer zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig iSd. § 20 StGB ist, wird wegen der begangenen Tat nicht bestraft. Dies kann zu ungerechten Ergebnissen führen. Beispielsweise, wenn sich Täter:innen vor der geplanten Tat absichtlich stark betrinken, um die Straftat im Zustand des Vollrausches zu begehen und so von der Regelung des § 20 StGB zu profitieren.

Die „Actio libera in causa“ hat also folgende Voraussetzungen:

  1. Ein Sichversetzen in die Schuldunfähigkeit.
  2. Begehung einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit.
  3. Der Täter muss Vorsatz bezüglich 1. und 2. gehabt haben (sogenannter Doppelvorsatz). Der Vorsatz muss schon im Zustand der Schuldfähigkeit gegeben gewesen sein.

Dieses Rechtskonstrukt ist dem Fall gleichzusetzen, in dem ein Menschen weiß, dass er sich an Vollmond in einen gefährlichen Werwolf verwandelt und sich deswegen gezielt in die Nähe eines vorher angepeilten Opfers begibt, um dieses in Werwolfsgestalt zu töten. Der Vergleich macht klar, dass es auch bei der Bestrafung von Werwölfen nicht die eine richtige Lösung geben kann. Vielmehr kommt es für eine gerechte Bestrafung auf die Umstände des Einzelfalles an.

Ähnlich sieht es auch ein Reddit-Nutzer, der entscheidend darauf abstellt, ob der Täter wusste, dass er sich in einen gefährlichen Werwolf verwandeln wird: “Did you know ahead of time that you were a werewolf, something that turns into an uncontrollable murderer every full moon? If you did not, then you may be able to claim a version of temporary insanity, and then request help to keep yourself from hurting anyone else. If you did know, then you may be charged with manslaughter or murder via your own negligence. If you knew about this condition, then the weight of responsibility is upon you to make sure that you are somehow locked up or otherwise unable to harm anyone at every full moon until your condition changes or you die.”

Einzellfallentscheidung erforderlich

Folgende Konstellationen sind dabei zu unterscheiden:

1. Der Werwolf behält auch in Werwolfsgestalt seine menschliche Intelligenz bei und kann kontrolliert handeln


Jacob Black by Asha47110 (DeviantArt)

In diesem Fall spricht nichts dagegen, auch den Werwolf in Werwolfsgestalt als „Mensch“ anzusehen und ihn nach unseren menschlichen Strafgesetzen zu bestrafen. Denn er hat sich lediglich äußerlich verwandelt. Die Kontrolle über die Wolfsgestalt hat jedoch der Mensch. Er ist in der Lage, die Handlungen des Werwolfs zu steuern und sucht sich gezielt seine Opfer aus. Hierfür muss er dann auch nach dem StGB verantwortlich gemacht werden.

2. Der Mensch kann sich an seine Taten in Werwolfsgestalt nicht erinnern. Er verliert komplett die Kontrolle über sein Leben. Es ist, als ob ein fremdes Wesen „übernehmen“ würde. Der Werwolf folgt seinen tierischen Instinkten und ist außerhalb jeglicher menschlicher Kontrolle.

In diesem Fall ist der Mensch für das, was er in Werwolfsgestalt tut, nicht verantwortlich. Er ist nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Deswegen ist es angemessen, § 20 StGB anzuwenden. Die Taten werden im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. Der Mensch ist für sie nicht verantwortlich.

So sieht das auch einer der Reddit-Nutzer für das US-Recht: “This is an open and shut insanity defense. You’re in a state where you are not capable of determining right or wrong, controlling your actions or acknowledging the law. It’s so textbook, actual insanity isn’t as textbook an example of the insanity defense as this.”

Übrig bleibt nur die Frage, inwiefern man dem Menschen bestimmte Vorsichtsmaßnahmen auferlegen kann, um zu verhindern, dass er in seiner Werwolfsgestalt anderen Schaden zufügt. So verpflichtet sich Remus Lupin in den Harry-Potter-Büchern beispielsweise dazu, regelmäßig den Wolfsbanntrank einzunehmen. Dies führt dazu, dass er sich zwar äußerlich in einen Werwolf verwandelt, er bleibt jedoch bei vollem menschlichen Verstand und so ist es ihm möglich, zu kontrollieren, was er in der Vollmondnacht tut. Auch in Welten, in denen ein solcher Zaubertrank nicht existiert, könnte man Werwölfe aber beispielsweise dazu verpflichten, sich in Vollmondnächten zu Hause in einem verschlossenen Raum am Bett festzuketten. So kann verhindert werden, dass der verwandelte Werwolf Schaden anrichtet. Kommt man dem nicht nach, steht zumindest eine Fahrlässigkeitsstrafbakeit im Raum.

3. Der Mensch weiß, dass er sich in Werwolfsgestalt in ein unkontrollierbares Monster verwandelt. Trotzdem tut er nichts dagegen, die Verwandlung aufzuhalten oder zumindest Sicherheitsvorrichtungen zu ergreifen, um Angriffe auf andere Menschen zu verhindern oder der Mensch begibt sich sogar in Vollmondnächten gezielt in die Nähe eines vorher angepeilten Opfers, um dieses in Werwolfsgestalt zu töten.

Alic-Theorien

Diese dritte Fallabwandlung ähnelt dem Konstrukt der oben erwähnten Actio libera in causa. Ob die alic mit geltendem Recht vereinbar ist und für welche Konstellationen sie in welchem Umfang Anwendung findet, ist jedoch stark umstritten.

  • Ausnahmemodell

Die sog. Ausnahmetheorie will eine Ausnahme zu § 20 StGB bilden. Täter:innen, die rechtsmissbräuchlich handeln, sich also vor der Tat absichtlich in den Zustand des § 20 StGB versetzen, um nicht bestraft zu werden, sollen von § 20 StGB nicht erfasst werden, indem die Norm teleologisch (zu Lasten der Täter:innen) reduziert wird. Unser Werwolf, der die Tat in Menschengestalt plant und sich dann dem Opfer in der Vollmondnacht aussetzt, würde sich also trotz Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat ausnahmsweise strafbar machen. Kritiker:innen sehen darin einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot in Art. 103 Abs. 2 GG.

  • Ausdehnungsmodell und Vorverlagerungstheorie

Vertreter:innen des Ausdehnungsmodells hingegen wollen den Begriff der Tat iSd. § 20 StGB extensiv auslegen und den Zeitraum von Beginn des Sich-Betrinkens bis hin zur Vollendung der tatbestandsmäßigen Handlung mit einbeziehen. Übertragen auf unseren Werwolf würde das bedeuten, dass der Zeitpunkt der Tat auf den Zeitpunkt vor der Verwandlung ausgedehnt wird, damit man den die Tat planenden Menschen bestrafen kann.

Den gleichen Kniff wendet auch die herrschende Vorverlagerungstheorie an. Demnach wird der Beginn der Tat auf den Zeitpunkt des Sich-Berauschens bzw. der Verwandlung in den Werwolf vorverlagert. Zu diesem Zeitpunkt war die Person noch schuldfähig, sodass eine Strafbarkeit angenommen werden kann.

  • Werkzeugtheorie

Mitunter wird auch der Versuch unternommen, eine Parallele zur Figur der mittelbaren Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zu ziehen. Betroffene machen sich durch das „Sich-Betrinken“ zu ihren eigenen schuldlosen Werkzeugen, die den Tatbestand unmittelbar verwirklichen. Diese Einwirkung stelle daher die tatbestandliche Handlung dar. Diese Theorie setzt jedoch voraus, dass der Mensch einen gewissen Einfluss darauf hat, ob er sich zum Werwolf verwandelt oder nicht. Wenn die Verwandlung zwingend ist, fällt es schwer, bereits darin eine tatbestandliche Handlung zu sehen. Anders sieht es aber in Welten aus, in denen die Verwandlung zum Werwolf durch die Einnahme eines Zaubertrankes verhindert werden kann.

  • Unvereinbarkeitstheorie

Ein Teil der deutschen Rechtswissenschaft hält die Rechtsfigur der alic für unvereinbar mit dem Grundsatz Nullum crimen sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz). Die Ausdehnung der Strafbarkeit über den Wortlaut des § 20 StGB hinaus sei verfassungsrechtlich nicht möglich. Eine Bestrafung kommt dann im Fall des Sichbetrinkens nur wegen Vollrausches gemäß § 323a StGB in Betracht. Ein derartiger Paragraph existiert für Werwolfsangriffe nicht, sodass unser Werwolf – selbst wenn er die Tat noch in seiner Menschengestalt geplant hat und sich seinem Opfer bewusst in der Vollmondnacht näherte – hinsichtlich eines vorsätzlichen Tötungsdelikts straffrei bliebe.

Fahrlässigkeits-Strafbarkeit

Diskutiert werden muss jedoch noch eine eventuell bestehende Fahrlässigkeitstat, also z.B. eine fahrlässige Körperverletzung oder eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB). In diesen Fällen bedarf es dem Konstrukt der alic überhaupt nicht. Voraussetzung ist insbesondere eine Sorgfaltspflichtverletzung. Darunter ist das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu verstehen. Die h.M. verweist im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte darauf, dass jedes objektiv pflichtwidrige Verhalten in Betracht kommen kann, so es denn in objektiv zurechenbarer Weise zum Tatbestandserfolg geführt hat. Folglich kann bereits das Sich-Betrinken trotz Kenntnis aggressiver Tendenzen im Zustand des § 20 StGB als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit dienen. Dies lässt sich auch auf unseren Werwolf übertragen, der weiß, dass er im verwandelten Zustand für seine Mitmenschen gefährlich ist und trotzdem nichts tut, um diese Gefahr zu unterbinden.

“Lycanthropy would be the textbook example of temporary insanity with the caveat that since it’s a concrete condition with predictable outcomes at predictable times, an individual with this condition could be charged if the prosecution could make the case that the defendant knew of their condition and either willfully did not self-isolate to avoid harming others or worse, went out among people during the full moon knowing full well the likely result would be deaths. The fact there is no specific legislation to cover lycanthropy doesn’t make things any easier for the accused, as existing precedent on willful endangerment and negligence cover the general situation”, schreibt ein Reddit-Nutzer.

Alles sinnlose Spekulation, weil es überhaupt keine Werwölfe gibt. Naja, das nicht. Aber es gibt zumindest Fälle, in denen an Schizophrenie und anderen psychischen Erkrankungen leidende Personen denken, sie seien ein Werwolf. Und in diesem Zustand Menschen verletzen oder töten. So z.B. im Fall People v. Andrews aus Kalifornien. Hier musste letzendlich eine Jury entscheiden, ob der Täter zum Zeitpunkt der Tat schuldfähig war oder nicht.

Trotz allem ein nettes Gedankenexperiment.

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