Wer war eigentlich Gustav Radbruch und wieso ist er für Jura so wichtig?

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Ob in der Vorlesung zur Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie oder der Strafrechtsvorlesung, bereits ab dem ersten Semester hören alle Jurastudent:innen den Begriff der Radbruchschen Formel fallen. Doch wer steckt hinter dieser Rechtslehre, welche die gesamte Jurisprudenz bis heute prägt und wieso beschäftigen wir uns eigentlich heute noch mit Gustav Radbruch?

Leben und Werk

Gustav Radbruch wurde am 21. November 1878 in Lübeck geboren, er studierte Rechtswissenschaften in München, Leipzig und Berlin. Radbruch arbeitete als Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Heidelberg und später als außerordentlicher Professor an der Universität Königsberg.

Während des Ersten Weltkriegs war Radbruch freiwilliger Krankenpfleger und diente später im Landwehr-Infanterie Regiment. Maßgeblich vom Krieg beeinflusst, setzte sich Radbruch nach Kriegsende für die Idee einer demokratischen Republik ein. Er trat daher der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei und wurde zum starker Befürworter der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Ab 1920 war er Reichstagsabgeordneter und setzte sich für eine Erneuerung der sozialistischen Idee ein. Er veröffentlicht seine „Rechtsphilosophische Parteienlehre“, in der er die Demokratie als einzig zulässige Staatsform anpreist.

1923 war er für wenige Monate unter Gustav Stresemann Justizminister. In dieser Funktion setzte er Teile einer Strafrechtsreform durch. Seine weitergehenden Ziele wie die Abschaffung der Todesstrafe und eine mildere Jugendgerichtsbarkeit konnte er aufgrund des Rücktritts der Regierung Stresemann jedoch nicht mehr umsetzen. Heute wissen wir, dass sich seine Ideen jedoch durchgesetzt haben. Radbruch entwarf in „Kulturlehre des Sozialismus“ ein „sozialdemokratisches Kulturideal“. Für die Justiz forderte er darin, dass Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit als höchste Werte festgeschrieben werden. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Radbruch als erster deutscher Professor 1933 aus dem Lehramt entlassen. Während des Zweiten Weltkriegs lebte er zurückgezogen und distanzierte sich in seinen Tagebüchern vom NS-Regime. Nach dem Krieg wurde er von den Alliierten wieder in Heidelberg als Professor eingesetzt.

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Am 23. November 1949 starb Gustav Radbruch in Heidelberg. Seit 1949 wurden Radbruchs Werke zu Standardlehrbücher für Universitäten in Deutschland.

Mehr über ihn und sein Werk erfahrt Ihr z.B. in “Gustav Radbruch Rechtsphilosophie”, 2. Aufl., C.F. Müller

Die Radbruchsche Formel

In der sogenannten Radbruchschen Formel konkretisiert Radbruch aufgrund seiner Erfahrung mit nationalsozialistischen Verbrechen seine rechtphilosophische Position. „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat…Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges‘ Recht, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinne nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“ (Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, SJZ 1946, 105 (107).

Grundsätzlich befasst sich die von Radbruch aufgestellte These mit der Ungerechtigkeit der Rechtsprechung und damit mit der Ungerechtigkeit des NS-Regime. Demnach muss die Rechtssicherheit der Gerechtigkeit weichen, wenn das Gesetz in unerträglichem Maße zu dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden in Widerspruch steht. In diesem Fall soll an die Stelle des gesetzlichen Unrechts das übergesetzliche Recht treten. Wo Gleichheit, d. h. Menschengleichheit und Gleichheit an menschlicher Würde nicht einmal angestrebt oder geleugnet wird, kann man somit nicht mehr von Gerechtigkeit und Recht sprechen.

Radbruchs Einfluss auf die Geschichte und unser Jurastudium:

Die höchstrichterliche Rechtsprechung verwendete seine Thesen nach dem Krieg des Öfteren. Mit der zitierten Formel hatte Radbruch großen Einfluss auf die NS-Prozesse. Die Täter:innen stellten auf das geltende Recht unter der Nazidiktatur ab, nach der Radbruchschen Formel war das Nazirecht jedoch eben kein Recht und die Täter:innen konnten sich zur Rechtfertigung nicht mehr darauf berufen.

Zudem ist man sich auch in der Rechtsphilosophie darüber einig, dass der Aufsatz Radbruchs „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ ein wegweisender Kommentar in der Rechtsgeschichte ist, der uns bis heute im Jurastudium beschäftigt und den wir anhand verschiedener geschichtlicher Beispiele auslegen und diskutieren. So z.B. auch bei den Mauerschützenfällen. Denn nach der Wende wurde in Deutschland die Radbruchsche Formel wieder aufgegriffen, um das DDR-Grenzregime, konkret die Mauerschützenprozesse strafrechtlich aufzuarbeiten. Seine rechtsphilosophischen Postulate verloren nie an Relevanz für aktuelle Geschehnisse und finden darüber hinaus bis heute auch in der juristischen Bewältigung der nationalsozialistischen Verbrechen Anwendung.

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Jana Borochowitsch
Jana Borochowitsch
Autorin, Studentin der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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