Praktikum im Jurastudium: Kleine Kanzlei, große Chance?

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Die meisten Jurastudent:innen kennen die kleinen Existenzkrisen während des Studiums. Meine erste hatte ich bereits am Ende des ersten Semesters. Die Noten waren nicht so gut wie erhofft, die Vorlesungen zäher, zu den meisten Kommiliton:innen fand ich keinen Zugang und ich wusste nicht, wofür ich das eigentlich alles mache.

Als ich einer Bekannten, die als Rechtsanwaltsfachangestellte arbeitete, mein Leid geklagte hatte, versicherte sie mir, das wäre normal und schlug mir ein Praktikum vor. Sie würde mal mit ihrem Chef, einem Rechtsanwalt in einer sehr kleinen Kanzlei sprechen, es gäbe einen spannenden Fall. Ein persönliches Gespräch später war vereinbart, dass ich die Semesterferien in der Kanzlei verbringen würde – und, wie sich zeigte, nicht nur einmal.

Tipps fürs Jurastudium

Aktenlesen und Gerichtstermine

Beim ersten Mal bekam ich einen riesigen Stoß Ordner und einige Gerichtstermine. All das gehörte zu einem sehr spannenden, großen Tötungsdelikt, bei dem der Anwalt eine Angehörige als Nebenklägerin vertrat. Zwischen verschiedenen Beratungsterminen, bei denen ich zuhören durfte, hatte ich Zeit, die sechs dicken Ordner zu lesen, die mich mehr fesselten als ich vermutet hätte.

Am spannendsten waren allerdings die Gerichtstermine. Eine Mischung aus furchtbarer Langeweile und absoluter Höchstspannung zog mich an jedem Prozesstag dorthin. Der Kontakt mit der Nebenklägerin war besonders herausfordernd, weil ich das erste Mal die Menschen hinter dem Recht sehen konnte. Natürlich weiß man theoretisch, dass hinter jeder Fallakte Menschen auf jeder Seite stehen, aber im Studium spielt das eine vergleichsweise kleine Rolle.

Ich holte die Post und kam nur dann, wenn es etwas zu tun gab, manchmal auch nur zweimal pro Woche, sodass ich nie nur „Zeit absaß“. Zu meinen Aufgaben gehörte es, lose Blätter in einem Wäschekorb so zu ordnen, dass man sie im Gerichtssaal schnell fand, und in einem großen Arbeitsrechtsfall die beweisenden Dokumente passend zum Schriftstück herauszusuchen und durchzunummerieren.

Jurist:innen kennenlernen und Kontakte knüpfen

Besonderes Highlight: Der Anwalt ließ seine Kontakte spielen und verschaffte mir die Möglichkeit, mit einer jungen Staatsanwältin über deren Beruf zu sprechen. Leider beendete eine allseits bekannte Pandemie das Praktikum vorzeitig, aber ich konnte – neben dem Besuch der letzten Prozesstages des mir ans Herz gewachsenen Falles – trotzdem bereits einiges daraus mitnehmen. Insbesondere wusste ich nun, was ich mit dem Studium machen wollte: Ich wollte Rechtsanwältin werden. Also machte ich weiter.

Spannender sind vielleicht mein zweites und drittes Praktikum, dieses Mal anrechenbar als Pflichtpraktika. Bewaffnet mit FFP2-Maske kehrte ich in die Kanzlei zurück. Hier erfuhr ich dann auch, warum die Kanzlei räumlich etwas seltsam aufgebaut ist und vormittags mit lauter Musik beschallt wird: die Räume gehören einem Zirkusverein, der den Nachbarraum für Zumbakurse nutzt. Außerdem durfte ich nun viele verschiedene Rechtsgebiete kennenlernen, jede Woche mehrfach mit zum Gericht kommen und den Rechtsanwaltsfachangestellten zur Hand gehen.

Nicht nur “Kaffe kochen”, sondern direkt mitarbeiten

Letzteres klingt vielleicht nicht nach dem, was angehende Jurist*innen unbedingt tun wollen, aber ich habe hier unglaublich viel gelernt. Wieder musste ich nur bei Bedarf kommen, aber wenn ich da war, gab es jede Menge zu tun. Ich tippte Diktate und durfte auch einmal selbst diktieren, suchte Wiedervorlagen heraus, lernte die Textbausteine für Schriftsätze und Post- und Mailverkehr kennen, machte den Großen Kopierschein, lernte, wie kompliziert und wichtig der Kalender war, holte, öffnete und sortierte Post und lernte – Stück für Stück – alle kennen, die in der Kanzlei arbeiteten. Den großen Arbeitsrechtsfall traf ich ein weiteres Mal. Ich sortierte die Akten neu, die in der Zwischenzeit aktualisiert, gekürzt und nochmal neugeordnet worden waren.

Alle Mitarbeiter*innen gaben sich viel Mühe, mir ihren Schritt in der Fallbearbeitung nahezubringen und waren sehr freundlich, egal wie vermeintlich „dumm“ meine Fragen waren. Rechtsanwaltsfachangestellte halten die Kanzlei am Laufen. Ohne sie funktioniert gar nichts. Wenn man das nicht angemessen wertschätzt, kann man gar kein:e gute:r Chef:in sein.

Mit “meinem” Rechtsanwalt hatte ich nun auch mehr zu tun. Mit ihm fuhr ich zu völlig verschiedenen Prozessen in unterschiedliche Städte. Dass man so viel Zeit auf der Strecke lässt, war mir gar nicht klar. Vorher blätterte ich durch die Akten und versuchte, mich auf die jeweiligen Fälle vorzubereiten. Dass Miet-, Arbeits- und Verkehrsrecht so spannend sein könnten, hätte ich nicht gedacht – und auch nicht, wie wichtig diese Fälle für die Betroffenen sind.

Kanzleialltag und verschiedene Rechtsgebiete kennenlernen

Außerdem war ich verblüfft, wie sehr die Sicherheitskontrollen der Gerichte schwanken können. Von „Ah, Praktikantin, gehen Sie durch!“ bis zum Abtasten von Tampons war alles dabei. Ein weiteres Mal sah ich die Gesichter hinter den Fällen – und wurde in meinem Entschluss, Rechtsanwältin zu werden, bestärkt. Außerdem erfuhr ich einiges über das Führen eigener Kanzleien und kam mit dem Anwalt ins Gespräch. Dass Kanzleien so unterschiedlich sein können in Besetzung, Aufbau und Arbeitsweise, war mir vorher gar nicht bewusst. Auch lernte ich, dass ich nicht die einzige bin, die manchmal Schwierigkeiten mit dem Studium hat, und dass das nur begrenzt damit zu tun hat, wie gut man im Beruf später ist.

Das hatte ich bei meinen anderen Praktika eher weniger. In einer größeren Kanzlei mit mehreren Anwält*innen wurde ich tatsächlich häufig vor dem Gerichtsgebäude vergessen und kam nicht wirklich dazu, Fragen zur Zufriedenheit mit dem Beruf, zur Vereinbarkeit mit dem Privatleben und dem Weg zur Juristerei zu stellen. Damals war ich allerdings noch Schülerin. Bei der Staatsanwaltschaft im letzten Sommer kam ich generell sehr wenig in persönlicheren Kontakt mit den Staatsanwält*innen, die eineinhalbstündigen Vorträge hielten. Dort gefiel mir auch die allgemeine Stimmung weniger und ich erfuhr vergleichsweise nicht viel über die tatsächliche tägliche Arbeit, weil das Praktikum unglaublich verschult war und nur durch wenige Gerichtsverhandlungen aufgelockert wurde.

Die Vorteile einer kleineren Kanzlei

Hier also eine zusammenfassende Liste der Vorteile von Praktika bei kleineren Kanzleien:

  • persönlicherer Kontakt zur Rechtanwaltsfachangestellten, Anwält*innen und Mandant*innen
  • Möglichkeit, Abläufe in der ganzen Kanzlei kennenzulernen, auch über das Berufsbild der Anwält*innen hinaus
  • verschiedenste Gerichtstermine und Fallakten, keine hochspezialisierten, schwer überblickbaren Teilrechtsgebiete
  • oft flexibler an die eigenen Bedürfnisse anpassbar
  • schneller Praktikumsplätze überall verfügbar
  • manchmal bringt jemand Kuchen mit

Ein Prakttikum als Motivationsschub

Echte Nachteile kenne ich nicht, außer dass man auch irgendwann Kuchen mitbringen sollte. Am besten absolviert man allerdings zusätzlich Praktika in größeren Kanzleien, einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft, damit man alle Möglichkeiten kennenlernt. Richtig viel Prestige hat eine kleinere Kanzlei meist auch nicht. Das sollte allerdings vielleicht sowieso nicht allein den Ausschlag geben.

Ich konnte also sehr viel lernen. Ohne mein Praktikum in dieser kleinen Kanzlei hätte ich vermutlich mein Studium im zweiten Semester abgebrochen, aber ich studierte weiter, weil mir immer wieder vor Augen geführt wurde, wofür ich das eigentlich studiere, und mich – wahrscheinlich – für meine eigene Zukunft inspiriert. Gerade wer sich fragt, ob „es das wert ist“, sollte die Gelegenheit nutzen und in eine kleinere, sympathische Kanzlei hineinschnuppern. Es lohnt sich.

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