Dass die Zeit für eine Reform der Juristenausbildung reif ist, zweifelt heute kaum eine Person an. Streit gibt es jedoch bis heute darüber, wie eine derartige Reform aussehen könnte. Ist die zweistuftige Ausbildung in Studium und Rechtsreferendariat noch zeitgemäß? Könnte ein bundesweiter integrierter Bachelor die größte Last von den Schultern der Jurastudierenden nehmen? Müsste die Ausbildung nicht rigoros digitalisiert und an die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts angepasst werden?
Unter dem Kampagnennamen iur.reform hat das Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e.V. die größte Studie zur Reform der juristischen Ausbildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Die Studie basiert auf den Ergebnissen einer Abstimmung über 43 Thesen, an der von Januar bis Juni 2022 11.842 Personen teilgenommen haben.
In der Pressemitteilung dazu heißt es: „Es ist Zeit für eine neue juristische Ausbildung! Ob es die psychische Belastung von Studierenden, eine Praxisferne an verschiedenen Stellen der Ausbildung oder der Mangel an Nachwuchs in juristischen Berufen ist – es gibt viele Gründe, die Reform der juristischen Ausbildung jetzt anzugehen!“
Über 11.000 Teilnehmende aus allen Bereichen
Doch wieso genau 43 Thesen? Die zur Abstimmung gestellten Punkte entstammen der Auswertung aus über 200 Beiträgen in Fachzeitschriften und Artikeln aus den Jahren 2000 – 2020. Die Thesen wurden ausgewählt, weil sie unter allen Akteur:innen – also Jurastudierenden, Referendar:innen, Professor:innen und Praktiker:innen – regelmäßig diskutiert wurden.
Sodann sollten die die 43 Thesen auf einer Skala von 1 (volle Ablehnung) bis 5 (volle Zustimmung) beantwortet werden. Dabei war explizit erwünscht, dass nicht nur gerade jetzt betroffene Jurastudierende teilnehmen, sondern alle der oben genannten Zielgruppen. So sollte sichergestellt werden, dass die Studie repräsentativ und relevant ist für eine gemeinsame Debatte über die gewünschten und befürworteten Reformen.
Von den 11.842 Personen waren u.a. 5.033 Studierende, 1.653 Personen im Referendariat, 2.089 Personen identifizierten sich als Rechtsanwält:innen, 937 als Richter:innen, 209 als Staatsanwält:innen, 245 als Professor:innen und 70 Personen als Mitarbeiter:innen in Justizprüfungsämtern (JPA), sowie 399 als Personen, die mit juristischer Ausbildung in der Verwaltung arbeiteten. Dabei ist zu beachten, dass damit „nur“ 4 % der Gesamtheit der Studierenden im Fach Rechtswissenschaften befragt wurden, jedoch überproportional viele Professor:innen – nämlich 18 % – an der Umfrage teilgenommen haben.
Bei sechs Thesen sind sich alle einig!
Einig sind sich alle drei Gruppen (in Ausbildung / Praktiker:innen / Ausbildende) bei der mehrheitlichen Befürwortung der folgenden sechs Thesen:
Interessant ist hier aber bspw., dass Lehrende und JPAe vor allem die Thesen eher ablehnen, die sie selbst negativ betreffen könnten. So sprechen sich überwältigende 90 % der Studierenden für eine unabhängige Zweitkorrektur (sinnvoll auf Grund des sog. “Anker-Effekts”) der schriftlichen Examensprüfungen aus. Bei den Praktiker:innen sind es immerhin noch 86 %. Bei den Professor:innen und JPAen nur noch 51 %. Wovor haben die Ausbilder:innen hier Angst? Auswertungen vergangener Examensdurchläufe haben gezeigt, dass es zwischen Erst- und offener Zweitkorrektur kaum große Abweichungen gibt. Von den Klausuren und Hausarbeiten im Studium ist aber bekannt, dass diese locker eine Differenz von 3-5 Punkten aufweisen können – trotz gleichen Inhalts. Ein Schelm wer böses denkt und davon ausgeht, dass eine „echte“ Zweitkorrektur bisher überhaupt nicht stattfindet. Das würde durch die Einführung der “verdeckten” Zweitkorrektur natürlich herauskommen.
Ebenfalls unverständlich ist, dass immer noch 45 % der Ausbildenden das E-Examen ablehnen. Dessen bundesweite Einführung ist schon längt beschlossen. Und in einigen Ländern – wie Sachsen – laufen bereits seit mehreren Jahren völlig problemlos E-Examenskampagnen. Dass hier wieder zu mittelalterlich anmutenden Pergament und Feder zurückgekehrt wird, ist selbst für die eher konservative Juraausbildung unwahrscheinlich.
Umgekehrt wird das Bologna-System von einer absoluten Mehrheit alle drei Gruppierungen abgelehnt. Nur 39 % der Studierenden sprechen sich dafür aus. Hingegen wünschen sich 66 % der Menschen in Ausbildung einen Master-Abschluss für den Schwerpunktbereich.
Abschichten und integrierter Bachelor umstritten
55 % der Abstimmenden sprechen sich für die Einführung des sog. integrierten Bachelors aus – wie z.B. gerade an der Universität Trier umgesetzt. Das ist eine knappe Mehrheit. Überraschend ist aber auch hier, wie groß hier die Differenz zwischen Menschen in Ausbildung und den Ausbildenden ist. Denn diese These wird gerade von Professor:innen und JPA-Mitarbeitenden nicht mehrheitlich unterstützt. Bei den angehenden Jurist:innen in Ausbildung sprechen sich hingegen 80 % für die Einführung eines integrierten Bachelors aus.
Ein ähnliches Ergebnis ist beim Thema „Abschichten“, also dem Strecken der Staatsexamensklausuren über einen längeren Zeitraum bzw. mehreren Semestern zu sehen. Knapp 70 % sprechen sich für die bundesweite Einführung des Abschichtens aus, aber nicht in allen drei großen Gruppen gibt es mehrheitliche Zustimmung (Menschen in Ausbildung: 75 %, Praktiker:innen: 57 %, Ausbilder: 40 %). Zum Leidwesen der Studierenden – u.a. in Nordrhein-Westfalen –haben auch hier die „Nein-Sager“ zunächst gesiegt. Das Abschichten wurde abgeschafft.
Die Verwendung von Online-Datenbanken in Klausuren wird ebenfalls von einer Mehrheit der Personen in Ausbildung unterstützt (55 %), aber sowohl von Praktiker:innen als auch von Ausbildenden mehrheitlich abgelehnt. Die Verwendung von Handkommentaren (so wie es bereits im Referendariat üblich ist) wird von Personen in Ausbildung und von Praktiker:innen mehrheitlich unterstützt.
Entlastung des Jurastudiums, Unirep stärken
Außerdem sollte das Studium nach Ansicht der Teilnehmenden emotional entlastet werden. Eine Mehrheit (Studierende: 78 %, Ausbilder: 59 %) spricht sich dafür aus, dass neuer Prüfungsstoff nur aufgenommen wird, wenn alter Prüfungsstoff gestrichen wird. Tendenziell einig sind sich auch die Gruppen in ihrer Ablehnung von mehr Prozessrecht im ersten Examen. Eine Mehrheit fordert die diverse Zusammenstellung von Prüfungskommissionen und dass Leistungen aus dem Studium in die Examensnote aufgenommen werden sollten (Studierende: 65 % , Praktiker:innen: 57 %, Ausbilder: 36%). Auch hier unterstützen die Ausbildenden die Studierenden wiederum in ihrer Forderung nicht.
Abgelehnt wird: Die Abschaffung des Freischusses (71 % aller Gruppierungen sind dagegen), die Ausweitung der Anzahl an Klausuren im ersten Staatsexamen und die Einführung einer Examenshausarbeit.
Eine erfreuliche Mehrheit ist auch dafür, die universitären Repetitorien zu stärken und damit den kommerziellen Anbietern den Kampf anzusagen. Bisher geht noch immer eine Mehrheit der Jurastudierenden für die Examensvorbereitung zu einem kostenpflichtigen, privaten Repetitorium. Das belastet vor allem Studierende aus einkommensschwachen Familien sehr. Seit Jahrzehnten wird deswegen gefordert, die universitäre Lehre zu verbessern. Dazu gehören neben didaktisch starken Vorlesungen, kostenlosen Lernmaterialien und vielen Arbeitsgemeinschaften und Angeboten zur Stärkung des Gutachtenstils auch die universitären Repetitorien. Denn seien wir ehrlich: Würde die Uni den Jurastudierenden das beibringen, was im Staatsexamen abgefragt wird, würde freiwillig niemand Geld für ein kommerzielles Repetitorium ausgeben.
87,3 % der Studierenden, 85,7 % der Praktiker:innen und 78,5 % der Professor:innen sprechen sich hierfür aus. Hand in Hand geht damit auch die Forderung einher, den Betreuungsschlüssel im Jurastudium zu erhöhen. Hier herrscht ausnahmsweise große Einigkeit zwischen den Studierenden und den Professor:innen, die sich zu je rund 69 Prozent dafür aussprechen.
Kritik an Justizministerkonferenz
Die Juristenausbildung ist Landessache. Zuständig für Reformen sind also die Landesjustizministerien und die Landesjustizprüfungsämter. Bisher ist in der Praxis die Justizminister:innenkonferenz (JuMiKo) der Dreh- und Angelpunkt für Reformdiskussionen der juristischen Ausbildung. Die Beschlüsse dort sind zwar unverbindlich, alle Justizprüfungsämter bestätigten gegenüber JURios jedoch, sich an die im Frühjahr 2022 getroffenen Beschlüsse (z.B. zur Streichung der Ruhetage) halten zu wollen.
Das Problem: Die Vielzahl der an der juristischen Ausbildung beteiligten Akteur:innen wird im Rahmen der JuMiKo nicht gespiegelt. Deshalb erscheint dieses Gremium auch laut iur.reform strukturell ungeeignet für grundlegende Debatten über die Zukunft der juristischen Ausbildung. Die gleiche Ansicht vertreten auch die Bundesfachschaft Jura sowie verschiedene Landesfachschaften, die in den letzten Monaten negativ von Entscheidungen der JuMiKo betroffen waren.
Die Debatte sollte daher auch laut iur.reform abseits der JuMiKo geführt und das Ergebnis für eine mögliche Beschlussfassung durch die JuMiKo unter Beteiligung aller Akteur:innen vorbereitet werden.
Demonstration am 25. Mai in Berlin
Als mögliche große Lösung schlägt iur.reform deswegen eine „Stakeholder-Prozess“ vor. Dies beinhaltet u. a. die Koordination der Stakeholder durch eine Gruppe von Staatssekretären, öffentliche Ausschreibung für Prozessorganisator:innen und Evaluator:innen sowie die Auswahl von Vertreter:innen aus verschiedenen Gruppen, einschließlich Studierenden, Praktiker:innen, juristischen Vereinigungen und Personen, die die juristische Ausbildung nicht bestanden oder abgebrochen haben. Alternativ schlägt iur.reform als „kleine Lösung“ die Einberufung einer paritätisch besetzten Expert:innegruppen vor, die Akteur:innen aus allen Gruppierungen beinhaltet.
Aus den genannten Gründen ruft der Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e. V. und das Bündnisses zur Reform der Juristischen Ausbildung e. V. anlässlich der 94. Justizministerkonferenz in Berlin zu einer Demonstration am 25. Mai in Berlin auf.
So erklärt Jonathan Franz, Vorsitzender des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften e. V.: „Die juristische Ausbildung, die wir als Studierende aktuell erleben, schreckt junge Menschen eher davon ab, als dass sie uns motiviert, Jurist:innen zu werden. Die enormen psychischen Belastungen, die teilweise nicht mehr zeitgemäßen Inhalte und Methoden und schlechte Studienbedingungen sind nur einige der Probleme, die sich uns stellen. Diese Entwicklung muss endlich gestoppt werden! Wir fordern daher eine umfassende Reform der juristischen Ausbildung, die die Realitäten junger Menschen, aber auch die Herausforderungen unserer Zeit in den Blick nimmt. Gerade angesichts des sich immer weiter vertiefenden Jurist:innenmangels in Deutschland muss es uns wert sein, in die Zukunft der juristischen Ausbildung zu investieren. Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats in den nächsten Jahrzehnten hängt von einer modernen und attraktiven Ausbildung ab.“
Aktuelle Informationen und Kontaktmöglichkeiten sowie eine Schlafplatzbörse für Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demo sind unter https://bundesfachschaft.de/jumiko-demo-25-05-2023/ zu finden.