Von wegen Wettbewerbsrecht ist nicht abwechslungsreich und lebensnah! Das HR-Fernsehen berichtete Anfang Juni 2023 von einem Streit vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Die catchy Überschrift der Hessenschau („Streit um Penis-OPs“), die viele animierte den Beitrag anzuklicken, mag sie unbefriedigt zurückgelassen haben. Aber was hat das Oberlandesgericht da entschieden und warum ist das eine Nachricht wert? Die „Breaking News“ haben einen juristischen Hintergrund der im Wettbewerbsrecht, genauer im Irreführungs- Unterlassungs- und Berufsordnungsrecht liegt.
Zwei Ärzte streiten um Penisoperation
Zwei Ärzte streiten um Penisoperation. Laut Men’s Health sind chirurgische Eingriffe im männlichen Intimbereich nicht selten. Sowohl religiöse Motive, Schönheitsideale und ernsthafte urologische Probleme können eine OP notwendig machen. Tatsächlich sind Penis-OPs geschichtlich 4.300 Jahre zurückverfolgbar (z.B. gab es sie an Marmorreliefen an altägyptischen Gräbern). Heute spezialisieren sich wegen ansteigender Nachfragen immer mehr Ärzt:innen auf Spezialbereiche im Bereich der nicht unumstrittenen, weil teils als unnötig kritisierten und Gefahren sowie Risiken bereitenden Genitalbehandlung, wobei Schönheitspraxen überwiegen.
Häufiger Grund für die Aufnahme von Penis OPs in das Angebot von Intimchirurgen ist auch der Kostenfaktor. Korrekturen in diesem persönlichen Bereich lösen sowohl bei Kassen- und insbesondere bei Privatpatienten hohe vier- bis häufig fünfstellige Fälligkeitssummen aus, wobei die medizinische Indikation – laut Insidern – auch mal „zu recht gebogen wird“. Das klingt schon eher nach dem Bedürfnis der juristischen Regulierung und dem Einsatz von Zivil-, speziellen Arzt- und Strafrecht. Zwei Ärzte aus Südhessen gründeten solch eine Praxis, wählten dabei aber die Bezeichnung „Zentrum für Penischirurgie“.
Was sagt der Kläger? „Führt mich nicht in die Irre, sonst…“
Der Kläger, der den Rechtsstreit erst vom Zaun gebrochen hatte, fühlte sich durch diese Bezeichnung im wahrsten Sinne des Wortes in die Irre geführt. Vermutlich kannte er allerlei Zentren und stellte sich dabei etwas Großes, Erhabenes und damit einen überwältigenden Zusammenschluss von zahllosen Fachärzt:innen vor, die nichts anderes machen als Penisse zu operieren. Er kam wohl irgendwann selbst bei der Praxis an und musste feststellen, dass nur zwei Ärzte da waren. Hinter der Bezeichnung steckte also eigentlich nur eine urologische Praxis. Er hatte sich – wir können nur spekulieren – mangels konkreter Veröffentlichung der Urteilsschrift – vorgestellt in einen geräumiges, kauflandähnliches Gebäude zukommen, das kliniktechnisch ausgestattet und, übertrieben gesprochen, mit vielen weißen Kitteln bestückt ist.
Werbung oder: was verstehen Laie unter „Zentrum“
Die Richter:innen, die die Klageschrift gelesen haben, legten die Forderung des Klägers vermutlich rechtlich sinnig direkt als Forderung nach Unterlassung aus. Außerdem wollte der Kläger das die Sache schnell vom Tisch ist, was für die Richter:innen in erster Instanz bedeutete, sie prüften, ob dem Kläger Eilrechtsschutz gewährt werden konnte. Im Streit ging es folglich laut Presse juristisch darum, ob in der Bezeichnung der Praxis als “Zentrum” eine wettbewerbsrechtsrelevante Irreführung liegt. Das Wettbewerbsrecht wird maßgeblich durch die Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb (z.B. UWG) und im Bereich der medizinischen Behandlung das Heilmittelwerbegesetz (HWG) geregelt. Der Hauptzweck des Gesetzes ist es unlautere Handlungen von Wettbewerber:innen abzuwehren.
In diesem Bereich werden regelmäßig Unterlassungsklagen – gerne auch strafbewehrt – bei den zuständigen Gerichten anhängig gemacht. So war es auch in dem Fall der Penisoperateure. Fraglich ist schon, ob das Heilmittelwerbegesetz, das grundsätzlich vor allem für Apotheker:innen Anwendung findet, auch für Ärzt:innen gilt, also Aussagen die mit Arzneimitteln nichts zu tun haben. Das BVerfG hat in der Vergangenheit entschieden, dass das HWG auch Ärzt:innen betrifft. Auch, wenn sie einen freien Beruf ausüben, sind sie an Regeln gebunden, die es ihnen verbieten, berufswidrige Werbung vorzunehmen. Da es sich hier jedoch um Penisse und damit ein bewegliches Körperteil und kein Arzneimittel handelt, findet das HWG keine Anwendung. Es gilt stattdessen sowohl das Kammergesetz für Ärzte als auch die Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen.
Das zuständige Landgericht in erster Instanz prüfte, ob für eine einstweilige Verfügung ein Verfügungsgrund gegeben war. Dies ist der Fall, wenn Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Sache gegeben ist. Laut dem Wörterbuch der deutschen Sprache sowie dem DUDEN versteht man unter einem Zentrum einen „Gebäudekomplex, in dem sich viele gleichgeartete Dienste/Angebote/Zuständigkeiten finden“. Fraglich ist daher, ob der Wortlaut es nicht per se verbietet, auch die Erfassung von nur zwei Personen, die gleiche Dienste anbieten unter „viele gleichgelagerte Dienste“ zu subsumieren. An sich bedeutet „viel“ eine reichliche Menge, also mehr als zwei Dienste.
Das Landgericht entschied, dass die Ärzte es zu unterlassen zu haben „Dienstleistungen eines plastischen Chirurgen, insbesondere Penisoperationen, unter diesem Namen zu bewerben oder anzubieten“.
Stellung als Gemeinschaftspraxis
Gegen die einstweilige Verfügung legten die Ärzte gem. § 511 ZPO Berufung ein. Das Oberlandesgericht sah die Sache mit dem Zentrum für Penis-OPs augenscheinlich anders.
Genaueres ist trotz breiter Mitteilungen der Deutschen Presseagentur nicht bekannt, doch vermutlich betonte das Gericht die Stellung als Gemeinschaftspraxis. Genau wie Anwält:innen schließen sich Ärzt:innen als Träger freier Berufe häufig in Berufsausübungsgemeinschaften zusammen. So auch hier. Dieser Gemeinschaften sind gesellschaftsrechtlich organisiert und häufig in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder der wählbaren Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft zusammen geschlossen (§ 23b Berufsordnung Hessen).
Der Gesellschaft aus Ärzt:innen ist gem. § 23b Absatz 2 Buchstabe f) nur erlaubt mit anderen zusammen zu agieren, wenn sie dabei nicht gegen das Verbot berufswidriger Werbung verstoßen. Außerdem regelt § 27 der Berufsordnung auch separat, was erlaubte Information und was berufswidrige Werbung darstellt. Ärzte dürfen nur sachliche, berufsbezogene Informationen äußern.
Berufswidrige Werbung ist:
“Berufswidrig ist insbesondere eine nach Inhalt oder Form anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. Eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit ist unzulässig. Werbeverbote aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen bleiben unberührt.”
Das OLG sah hierin offensichtlich keinen Aufhänger für ein Verbot der Bezeichnung der Penispraxis als „Zentrum“. Es geht laut Presseberichten davon aus, dass Patienten „vom Begriff “Zentrum” nicht auf eine bestimmte Größe schließen“ können.
Spekulation über die Auslegung des OLG
Dabei scheint das OLG zu beachten, dass das Wettbewerbsrecht – gerade im Bereich von selteneren medizinischen Dienstleistungen – nicht per se einen solchen Begriff verbietet und die Auslegung nicht auf die Größe bezogen sei, sondern der Begriff “Zentrum” eher mit “Mittelpunkt” gleichgesetzt werden muss. Auch der Mittepunkt als Begriff sagt nichts über die Größe aus, selbst wenn man unterstellt, es handele sich um eine wichtige Anhäufung von Praxen auf diesem Gebiet.
Die Entscheidung lässt die Frage zurück, warum Patient:innen hierdurch geschützt sein sollen. Patient:innen denken bei Zentren entgegen der Auffassung des OLG eher an tatsächlich größere Gebäude, da sie vor allem den Begriff Einkaufszentrum direkt vor Augen haben, wenn sie den Begriff Zentrum hören. Und ein Einkaufszentrum ist wahrlich nicht klein oder besteht nur aus zwei Läden. Es bleibt ein fader Beigeschmack, ob die Auslegung hier den Wortlaut überdehnte.
Ähnlicher Fall: Kondome aus „German Quality“
In einem anderen Fall hatte ein Unternehmer in Asien hergestellte Kondome in Deutschlandfarbe und mit der Aufschrift „German Quality“ in Deutschland angeboten. Hiergegen ging ein gegnerisches Unternehmen vor, welches meinte, dem Kläger werde suggeriert, die Verhütungsmittel mit dem Flaggenaufdruck seien ähnlich wie bei dem Aufdruck „Made in Germany“ in Deutschland hergestellt und nicht nur ein Hinweis auf die Qualität.
Das Landgericht Hamburg erkannte einen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 Nr. 1 UWG i. V. m. §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Maßgeblich stützte sich das Gericht bei seinem Urteil auf die Vorstellung von Durchschnittsverbraucher:innen. Diese gehen, so das Gericht, bei dem Aufdruck einer Deutschlandflagge neben den Worten „German Quality“ von der Herstellung in Deutschland aus und nicht nur von der Einhaltung der Deutschen Herstellungsnormen (DIN Normen). Dem Unternehmer, der die Kondome mit schwarz-rot-goldener Flagge aus Asien importierte und herstellen ließ, ist damit untersagt, die Deutschlandflagge als Trigger für eine besondere Qualität, den deutsche Verbraucher:innen gewohnt seien, auf die Verpackungen aufzudrucken, wenn er gleichzeitig die Einhaltung der DIN-Standards beschwört, die „German Quality“ darstellen.
Jedem, der sich noch nie oder nur selten mit dem Wettbewerbsrecht beschäftigt hat, zeigen diese beiden kurios-schlüpfrigen Entscheidungen bei genauerem Blick, dass Jurist:innen manchmal mit viel Ernst bei der Sache äußerst schmunzelnswerte Sachverhalte vorgelegt bekommen – sei es als Anwält:in, Richter:in, Bußgeldbehörde, Zollperson oder Berufskontrolleur:in und dabei vor allem dem Gesetzgeberwillen folgend zum Schutz von Verbraucher:innen entscheiden soll(t)en.
Damit Rechtsfrieden zwischen den Parteien gedeihen kann, stehen die zivilrechtlichen Werkzeuge wie Unterlassungsklagen zur Verfügung. Damit entweder Ärzte weiterhin „Zentren für Penis-OPs“ betreiben können oder Unternehmer für Verhütungsmittel das gute Ansehen der heimischen Wirtschaft nicht für eigene Vorteile ausnutzen.