Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Polizei die Zimmer von Geflüchteten auch ohne richterlichen Beschluss betreten darf, um sie abzuschieben. Doch die Begründung des Gerichts im Fall „Alassa Mfouapon“ mutet kurios an. Die Abschiebung sei im konkreten Fall rechtmäßig gewesen, weil das Zimmer so klein gewesen sei, dass man nicht habe suchen müssen. Gilt Art. 13 GG also nur noch für Zimmer, in die mindestens ein Doppelbett passt, unter dem man sich verstecken kann?
Der Fall des kamerunische Flüchtling Alassa Mfouapon kursiert bereits seit einiger Zeit in den Medien. Von der BILD wurde der 29-Jährige als „Skandal-Asylbewerber“ betitelt. Die AfD versuchte, mit seinem Fall Politik zu machen. Denn er trommelte rund 150 Asylbewerber:innen zusammen, um friedlich die Abschiebung eines Togolesen aus der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen zu verhindern. Seitdem ist Mfouapon eine kleine Berühmtheit. Seinen Freund:innen ist er vor allem wegen seines Einsatzes für die Rechte von Geflüchteten bekannt. Für den „Freundeskreis Alassa“ ist er – der seinen zweijährigen Sohn bei der Flucht über das Mittelmeer ertrinken sah – ein Symbol gegen den Rechtspopulismus.
Abschiebung ohne Gerichtsbeschluss
Seine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde unter anderem von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt.
Am 3. Mai 2018 hatte in der LEA Ellwangen als Reaktion auf die verhinderte Abschiebung ein massiver Polizeieinsatz stattgefunden, bei dem die Zimmer aller Bewohner:innen durchsucht wurden. Dies geschah ohne einen Durchsuchungsbeschluss. Am 20. Juni 2018 wurde Mfouapon – ebenfalls ohne Gerichtsbeschluss – aus seinem Zimmer in der LAG Ellwangen abgeschoben.
Am 19. Februar 2021 entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart, dass die Groß-Razzia unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen sei (VG Stuttgart, 18.02.2021, Az. 1 K 9602/18). Das Gericht war jedoch der Auffassung, dass es sich bei den Schlafzimmern in Geflüchteten-Unterkünften nicht um geschützte Wohnungen im Sinne von Art. 13 GG handele. Gegen das Urteil hatte Mfouapon mit Unterstützung der GFF Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte zwar, dass es sich bei dem Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung um eine Wohnung iSd. Art. 13 GG handele, die Polizei dürfe diese zum Zwecke der Abschiebung jedoch auch ohne Gerichtsbeschluss betreten. Schließlich seien die Zimmer so klein und übersichtlich, dass keine Suche erforderlich sei (VGH Baden-Württemberg, 28.03.2022, Az. 1 S 1265/21).
Betreten und Hineinblicken keine Durchsuchung
Dieser Argumentation schloss sich jetzt auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig an. Zwar sei Art. 13 GG einschlägig, doch zugleich sei es zulässig, dass Polizeivollzugsbeamt:innen die Zimmer ohne Durchsuchungsbeschluss zur Nachtzeit betreten, um eine Abschiebung zu vollstrecken. Denn das bloße Betreten und Hineinblicken stelle keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG dar. Es müssten weitergehende Suchmaßnahmen hinzutreten, um eine Durchsuchung anzunehmen.
Geschützt werden also nur Menschen, die es sich leisten können, ein Schlafzimmer zu haben, in das mindestens ein Doppelbett oder ein Schrank passt, in oder unter dem man sich verstecken könnte. Geflüchtete, die in Deutschland regelmäßig zwangsweise in etwa 10qm großen Zimmern leben müssen, profitieren vom Richtervorbehalt in Art. 13 Abs. 2 GG also grundsätzlich nicht.
Auf Twitter kritisiert die Anwältin Sarah Lincoln die Entscheidung. Sie schreibt: „Diese Entscheidung ist besonders bitter, denn das #BVerwG hebelt damit den Grundrechtsschutz in Erstaufnahmeeinrichtungen wieder aus und legitimiert eine unmenschliche Abschiebungspraxis.“