Die kostenlose Rechtsprechungsdatenbank OpenJur veröffentlicht seit 14 Jahren Gerichtsentscheidungen. Jetzt wird das ehrenamtliche Projekt verklagt. Sein 15-Jähriges-Jubiläum wird OpenJur deswegen eventuell nicht mehr erleben. Wie konnte es soweit kommen?
Bei der Recherche von Gerichtsentscheidungen steht man in Deutschland oft vor einer weißen Wand. Nur rund ein Prozent aller Urteile erblickt überhaupt das Licht der Welt. Alle anderen Entscheidungen versinken irgendwo im Nirvana der Archive – ungelesen. Dieses eine Prozent verbirgt sich zudem oft hinter kostenpflichtigen Datenbanken wie beck-online oder Juris. Ein lohnenswertes Geschäftsmodell.
Barriere freier Zugang zu kostenlosen Urteilen
Eine der wenigen Alternativen: OpenJur. Die Rechtsprechungsdatenbank wurde im Dezember 2008 von Benjamin Bremert gegründet. Bremert studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und legte 2015 sein zweites Staatsexamen ab. Nach Tätigkeiten als Rechtsanwalt arbeitet er heute als Senior Compliance Manager. Außerdem ist er seit 14 Jahren Vorstand des gemeinnützigen OpenJur e.V.
Nach eigenen Angaben wurden seitdem mehr als 600.000 frei im Volltext verfügbare Gerichtsentscheidungen auf OpenJur über 400 Millionen mal abgerufen. Pro Monat fallen für den Betrieb der Website rund 250 Euro an. Die Seite finanziert sich über Spenden. Der Vereinszweck des OpenJur e.V. ist die Förderung der Erstellung und Verbreitung von freiem juristischen Wissen. Dazu setzt sich das Projekt für den barrierefreien Zugang zu freien juristischen Informationen ein. Auf dem EDV Gerichtstag 2009 in Saarbrücken wurde OpenJur mit dem Nachwuchspreis als „Bestes juristisches Internetprojekt 2009“ ausgezeichnet.
Am 5. Mai wurde OpenJur zunächst abgemahnt; am 11. August wurde das Projekt vor dem Landgericht Hamburg verklagt (Az. 324 O 278/23). Der Streitwert beträgt 25.000 Euro. Eine Summe, die das Aus für das Projekt bedeuten könnte.
Genickbruch: unvollständige Anonymisierung
Über die Hintergründe der Klage ist folgendes bekannt: OpenJur veröffentlichte den Beschluss eines Verwaltungsgerichts über den Streit mit einem Versorgungswerk. Innerhalb der Entscheidung war auf Grund einer unvollständigen Schwärzung der Name der betroffenen Person zu lesen. Abmahnung und Klage geschahen im Auftrag dieser Person durch eine Berliner Anwaltskanzlei. Und das, obwohl OpenJur bereits 20 Minuten nach Eingang der Abmahnung die Beseitigung der Namensnennung in dem entsprechenden Beschluss vornahm. Im Gerichtsverfahren fordert der Betroffene nunmehr Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz in Höhe von mehreren Tausend Euro sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
„Im Kern geht es jetzt um die Frage, ob OpenJur für diese durch die Gerichte veröffentlichten Entscheidungen haftet und OpenJur insoweit eine proaktive Prüfungspflicht auf etwaige Anonymisierungsfehler obliegt“, so heißt es auf der Website von OpenJur.
Grundsätzlich erhält OpenJur die zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidungen sowohl aus den amtlichen Datenbanken der Länder, direkt von den Gerichten und von Verfahrensbeteiligten oder aber auch von Dritten. Die Entscheidungen aus den Datenbanken werden durch das jeweilige Gericht selbst anonymisiert. So wie es auch im streitgegenständlichen Fall geschah – nur eben unvollständig. Kann OpenJur trotzdem für diesen Fehler haftbar gemacht werden?
Haftung für amtliche Veröffentlichungen?
Eine spannende Rechtsfrage, die für das gemeinnützige Projekt aber das Aus bedeuten könnte. Denn das Verfahren birgt für OpenJur alleine in erster Instanz ein finanzielles Risiko von nahezu 13.000 Euro. Auf der Website des Projekts heißt es weiter:
„Würde das Landgericht im Ergebnis dazu kommen, dass openJur für diese amtlichen Veröffentlichungen haftet oder openJur für amtliche Veröffentlichungen eine proaktive Prüfungspflicht obliegt, so wäre der weitere Betrieb von openJur nicht nur mit einem nicht mehr aufzubringenden Prüfungsaufwand (bei einem jährlichen Entscheidungsvolumen im fünfstelligen Bereich), sondern auch mit nicht kalkulierbaren finanziellen Risiken verbunden. Insoweit wäre der weitere Betrieb der Datenbank aus heutiger Sicht unmöglich.“
Mitteilung von OpenJur und Aufruf zur Spende: https://openjur.de/i/openjur_wird_verklagt.html