Gaming – also das „Zocken“ von PC-Spielen – wird als Hobby heute noch oft belächelt. Gamer:innen werden abschätzig als Nerds bezeichnet und ihrer Freizeitbeschäftigung misst die Gesellschaft oft weniger Wert bei als z.B. einer Extrembergsteigerin oder einem Marathonläufer. Doch ist das wirklich gerechtfertigt? Können wir nicht alle etwas von Computerspielen lernen? Und gibt es vielleicht sogar Fähigkeiten, die dem Jurastudium zu Gute kommen und die Gamer:innen bei ihrem Hobby ganz nebenbei trainieren?

Teamwork
Sowohl im Gaming als auch in der juristischen Arbeitswelt ist es von Vorteil, ein:e starke:r Teamplayer:in zu sein. Das Jurastudium kann man meist noch alleine als Einzelkämpfer:in meistern. Aber spätestens im ersten Job muss man mit anderen Jurist:innen und auch nichtjuristischen Mitarbeitenden zusammenarbeiten. Mit der im Studium antrainierten Ellenbogen-Mentalität kommt man hier nicht weiter. Das gilt sowohl für Anwält:innen in Kanzleien und Unternehmen, als auch für die Justiz und einen Job in der Behörde. Überall wird man in ein Team und eine Hierarchie eingebettet sein. Dem sollte man auch überhaupt nicht ablehnend gegenüberstehen: denn gerade Berufsanfänger:innen profitieren enorm von der Hilfe ihrer Kolleg:innen.
Und was hat das mit Gaming zu tun? Alle Computerspiele, die du nicht lediglich als Singleplayer alleine im dunklen Kämmerchen zockst, verlangen automatisch Teamarbeit von dir. Ganz enorm ist das bei den Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs) wie z.B. World of Warcraft (WoW), wo du ohne deine Gilde/Fraktion/Allianz schlicht aufgeschmissen bist. Aber auch bei rundenbasierten Battle Arenas wie League of Legens (LoL) oder Dota bist du auf deine Teamkolleg:innen zwingend angewiesen. Das gleiche gilt für alle Ego-Shooter – egal ob Battlefield, oder Counter Strike. Dabei kannst du entweder einfach im Team „mitlaufen“ und deine Mitspieler:innen supporten oder du kannst sogar die Führung übernehmen und beispielsweise in Guilde Wars deiner Gilde als Anführer:in zum Sieg verhelfen. Alles Fähigkeiten, die du später auch im Job benötigst. Von wegen „Gamer:innen haben kein Sozialleben“.
Strategisches Denken
Strategisches Denken spielt für Jurist:innen im Job später eine große Rolle. Beispielsweise, wenn man die Mandantschaft in komplexen rechtlichen Fragestellungen berät und zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten die für die Mandantschaft Beste wählen muss. Aber auch bei der Vertragsgestaltung, wo es entscheidend darauf ankommt, zukünftige Problemstellungen zu antizipieren und im Vertragsentwurf klug zu regeln – dabei darf man weder das Zusammenspiel der einzelnen Vertragsbestandsteile unter sich noch die Einbettung des Vertrages in andere geltende Gesetze und Regelungen aus dem Auge verlieren.
Strategisches Denken benötigt man aber auch in vielen Computerspielen. Seien es Ego-Shooter, bei denen man im Team eine Bombe platzieren, ein Haus stürmen oder möglichst effizient die gegnerischen Spieler:innen „ausschalten“ muss. Oder auch in MMORPGs, wo man in großen Gruppen gemeinsam komplexe Aufgaben (beipielsweise das Besiegen eines Endbosses) meistern muss. In beiden Spieleformen muss man im Voraus planen, verschiedene Lösungsansätze in kurzer Zeit entwickeln, koordinieren und dann (oft gemeinsam) umsetzen. Gamer:innen setzen sich in ihrer Freizeit also ganz nebenher mit einer der wichtigsten Fähigkeiten für Jurist:innen auseinander.
Stressresistenz
Stress, stressiger, Jurastudium. Belastbarkeit und Durchhaltevermögen sind vermutlich die wichtigsten Eigenschaften angehender Jurist:innen. Selbst das großartigste Wissen bringt dich nicht weiter, wenn du im Examen wegen Prüfungsangst versagst oder später im Job bei jeder Präsentation anfängst zu Stottern. Oft müssen Jurist:innen im Beruf in kurzer Zeit sehr viele Entscheidungen treffen, die große Auswirkungen haben. Nicht umsonst besetzen Jurist:innen Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Hier ist überall Stressresistenz gefragt. Es kann also nicht schaden, diese schon frühzeitig zu trainieren.
Das kannst du ganz klassisch tun, indem du deine Rhetorik-Skills bei Workshops trainierst, dich von Kommiliton:innen abfragen lässt und an Events wie Moot Courts teilnimmst. Oder du suchst dir nicht gerade Animal Crossing für deine Gaming-Leidenschaft aus, sondern ein Spiel mit etwas mehr Schmackes. Beispielsweise einen Ego-Shooter, bei dem es um Leben oder Tod geht. Reagierst du eine Sekunde zu spät, bist du tot. Schätzt du die Handlung deines Gegners falsch ein, bist du tot. Kannst du dich nicht auf deine Mitspieler im Team verlassen, bist du tot. Man kann also guten Gewissens behaupten, dass (zumindest bestimmte) Games deine Stressresistenz schulen und dich belastbarer machen. (Auch was die Pinkelpausen anbelangt, wird Gamer:innen ein besonderes Durchhaltevermögen nachgesagt.)
English, please!
Ja, theoretisch kann man ganz allein oder ausschließlich auf deutschen Servern mit deutschen Freund:innen zocken. Doch die Realität ist heute längst eine andere: Auf gemischten Servern wird man mit Gamern aus allen Ländern der Welt zusammengewürfelt. Und muss sich zwangsläufig verständigen. Das passiert meistens auf Englisch. Plötzlich wird man gezwungen, nicht nur passiv englische Serien (mit Untertiteln) zu konsumieren, sondern sich aktiv am Gespräch zu beteiligen. Wir geben zu: Das Vokabular ist zwar nicht sonderlich rechtsbezogen – das macht aber nichts. Überhaupt in einer Fremdsprache den Mund aufzubekommen, ist schon ein großer Fortschritt. Und selbst, wenn man nur Singleplayer zockt, begegnet einem früher oder später ein interessantes Spiel ohne Synchronisation oder Untertitel. English, please!
Durchsetzungsfähigkeit
Als Jurist:in landet man oft in Konfliktsituationen und befindet sich „zwischen den Stühlen“. Diese Konflikte können sich mit der eigenen Mandantschaft ergeben, die einfach nicht einsehen will, dass man als Vermieter der Mietpartei den Strom nicht abdrehen darf. Oder aber mit der Gegenseite oder dem Gericht – beispielsweise, weil diese eine andere Rechtsauffassung vertreten wie du. Dann geht es darum, deine Argumente überzeugend darzulegen und alle am Tisch „abzuholen und mitzunehmen“. In diese Situation kannst du auch als Unternehmens- oder Behördenjurist:in kommen. Das, was du dann benötigst, ist Durchsetzungsfähigkeit.
Diese Durchsetzungsfähigkeit brauchst du auch in Multiplayer-Games – vor allem, wenn du als Anführer:in bzw. Gilden-Chef:in auftrittst. Soll deine Gruppe nach links oder nach rechts laufen? Ist es taktisch klug frontal anzugreifen oder sich lieber von hinten anzuschleichen? Diese Entscheidungen musst du gegenüber deinen Mitspieler:innen bzw. gegenüber deiner Gilde erklären und rechtfertigen. Nicht selten wird dir dann von anderen Gamer:innen widersprochen, die lieber eine andere Strategie verfolgen wollen. Was du dann benötigst, ist Durchsetzungsfähigkeit. Und hier schließt sich der Kreis zu oben.
Mediation
Sowohl in der Justiz als auch in Online Games geht es oft zu wie im Kindergarten. Das ist überhaupt nicht abwertend gemeint, beschreibt aber den Zustand ganz gut, der entsteht, wenn viele verschiedene Menschen an einem Punkt zusammentreffen und sich in irgendeiner Form miteinander auseinandersetzen müssen. Als Mediation wird dabei ein vertrauliches Verfahren bezeichnet, bei dem Parteien mit Hilfe von Mediator:innen die einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben – beispielsweise im Vorfeld eines Gerichtsprozesses. So können Mediator:innen bspw. im Familienrecht eingesetzt werden, um eine Lösung bzgl. der elterlichen Sorge für die gemeinsamen Kinder zu finden. Für Jurist:innen gibt es die Zusatzausbildung Mediation. Aber auch ohne diese Zusatzausbildung müssen Jurist:innen häufig schlichtend auftreten. Z.B. bei einem Konflikt zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberseite. Gute Jurist:innen können deswegen nicht nur Streiten, sondern auch Streit schlichten.
Wer regelmäßig im Internet unterwegs ist, weiß wie emotional es in den Kommentarspalten der Sozialen Netzwerke zugeht. Ähnlich kontrovers verhalten sich Menschen auch beim Gaming. Oft muss man deswegen einen Kompromiss finden oder zwischen verschiedenen Mitspieler:innen vermitteln. Ganz automatisch übernehmen Gamer:innen deswegen auch Aufgaben, die sich klassischerweise der Mediation zurechnen lassen. Bestimmt lässt sich davon auch etwas ins Berufsleben als Jurist:in mitnehmen.
Entspannung
Wer viel arbeitet, braucht viel Urlaub. Und wer einen besonders stressigen Job hat, benötigt Entspannung. Egal, ob zu Hause oder auf Reisen. Du kennst das schon aus deinem Jurastudium. Vor allem in der Examensvorbereitung ist es wichtig, die richtige Balance zwischen Lernen und Freizeit zu finden – sonst brennst du schnell aus. Das Gleiche gilt auch später im Job. Hier lautete das Schlagwort dann “Work-Life-Balance”. Finde deswegen schon frühzeitig Dinge, die dir gut tun. Dinge, bei denen du abschalten und entspannen kannst. Das kann etwas Kreatives sein, Sport oder Freizeitaktivitäten mit Freund:innen. Oder eben das Zocken. Der große Vorteil: Gaming ist (im normalen Umfang) verhältnismäßig günstig und du kannst deinem Hobby überall nachgehen. Auf dem Weg zur Arbeit auf deiner Switch, abends auf dem Sofa oder gemeinsam mit Freund:innen auf einer Lan-Party (macht man das heute noch?). Viel Spaß dabei!