Erleidet eine Arbeitnehmerin während der Arbeitszeit eine Steißbeinfraktur durch den “spaßigen” Tritt einer Vorgesetzten, erhält sie hierfür ein angemessenes Schmerzensgeld. § 105 Abs. 1 SGB VII sperrt einen Anspruch auf Schmerzensgeld gerade nicht, weil der Tritt ins Gesäß nicht zur betrieblichen Tätigkeit einer Vorgesetzten gehört.
Geklagt hatte einer Arbeitnehmerin, die als Verpackerin bei einem Unternehmen angestellt war. In der Spätschicht arbeitete sie gemeinsam mit mehreren Kolleg:innen an einer Maschine. Als sich die Arbeitnehmerin nach einer Kiste bückte, verpasste ihr ihre Vorgesetze einen Tritt ins Gesäß. Dabei trug sie Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen. Obwohl die Arbeitnehmerin weinte und über starke Schmerzen klagte, setzte sie ihre Schicht noch für sechs Stunden bis 22 Uhr fort. Am nächsten Morgen suchte sie einen Arzt auf und wurde von diesem in ein Krankenhaus eingewiesen. Dort wurde ein Steißbeinbruch festgestellt. Daraufhin war die Arbeitnehmerin sechs Wochen arbeitsunfähig krank.
Schmerzhafte Steißbeinfraktur durch Tritt
Vor dem Arbeitsgericht Krefeld verklagte die Arbeitnehmerin ihre Vorgesetze auf Schmerzensgeld. Dieses wies die Klage ab, weil zwischen dem Tritt und dem Arztbesuch ca. 15 Stunden lagen, in denen sich die Klägerin die Fraktur anderweitig hätte zuziehen können. Dagegen legte sie Berufung zum Landesarbeitsgericht Düsseldorf ein, das der Arbeitnehmerin Recht gab.
Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 DM aus § 823 Abs. 2 BGB zu. Unstreitig sei bei der Klägerin eine Steißbeinfraktur ärztlich festgestellt worden. Dabei spreche der Zeitablauf zwischen Verletzungshandlung und erster ärztlicher Behandlung keineswegs gegen eine Ursächlichkeit. Der Tritt mit einem Sicherheitsschuh, der Stahlkappen hat, sei grundsätzlich geeignet, zu einer Steißbeinfraktur zu führen. Da diese Verletzung zu erheblich schmerzhaften Beschwerden führt, sei nach der Lebenserfahrung von einer zeitnahen Verursachung auszugehen.
„Allerdings führt eine Fraktur, insbesondere des Steißbeines, oder auch ein Rückenleiden, z.B. ein Bandscheibenvorfall, nicht zwangsläufig zur sofortigen Bewegungsunfähigkeit oder einem Leidenszustand, der von vornherein jede normale Betätigung ausschließt. Vielmehr kann es durchaus so sein, daß der Verletzte vorübergehend die Schmerzhaftigkeit durchsteht und Stunden oder ggf. sogar Tage zuwartet, bevor er sich in ärztliche Behandlung begibt.“
Arschtritt nicht sozialadäquat
Des Weiteren stelle es ein typisches Verhalten dar, wenn eine verletzte Person trotz erheblicher Schmerzen in der Nacht nicht sofort den Notarzt ruft, sondern versucht, die Schmerzen auszuhalten, bis am anderen Morgen die Arztpraxen öffnen.
Außerdem seien weder aus der restlichen Schichtzeit noch dem Heimweg oder der Wohnung Vorgänge bekannt, die eine solche Verletzung ausgelöst haben könnten. „Umgekehrt gesagt: Typischerweise ist ein Mensch nicht in der ständigen Gefahrenlage, sich das Steißbein brechen zu können.“
Damit lassen die vorgetragenen Tatsachen nur die Schlussfolgerung zu, dass gerade der Tritt durch die Kollegin ins Gesäß den Steißbeinbruch verursachte. Auch ein Verschulden der Beklagten sei gegeben: „Zwar kann ein Schuldvorwurf entfallen, wenn sich das Verhalten des Schuldners im Rahmen der Sozialadäquanz und damit des erlaubten Risikos hält. Der Fußtritt in das Gesäß eines Untergebenen oder Arbeitskollegen stellt jedoch auch dann, wenn (verbal) miteinander gealbert wurde, keine sozialadäquate erlaubte Verhaltensweise dar.“
Keine Disziplinierung durch Handgreiflichkeiten
Gem. § 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V. mit § 223 a oder § 230 StGB a.F. war die Beklagte deswegen zum Ersatz des der Klägerin entstandenen Schadens verpflichtet. Die Ansprüche werden auch nicht durch § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Denn die Beklagte verursachte die Körperverletzung der Klägerin nicht durch eine betriebliche Tätigkeit.
„Der Tritt ins Gesäß des Untergebenen oder Arbeitskollegen gehört nicht zu den betrieblichen Tätigkeiten i.S. von § 105 Abs. 1 SGB VII. Zwar mag gelegentlich im Arbeitsleben die Äußerung, daß man den NN mal in den Hintern treten müßte, zum saloppen Umgangston gehören. Der Sprecher will durch die plastische Ausdrucksweise seine Meinung kundtun, daß die durch einen solchen Tritt geförderte Vorwärtsbewegung des/der Betroffenen auch arbeitsleistungsmäßig wünschenswert wäre. Gleichwohl zweifelt niemand daran, daß nach geltendem Arbeitsrecht weder ein Vorgesetzter noch eine Vorgesetzte berechtigt sind, durch Handgreiflichkeiten oder den ominösen Tritt einen untergebenen Mitarbeiter zu disziplinieren.“
Entscheidung: LAG Düsseldorf, Urt. v. 27.05.1998, Az. 12 (18) Sa 196/98