Teil des Rechtsreferendariats ist auch die Strafstation an einem Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft. Wie die Strafstation am Amtsgericht abläuft, das soll Dir dieser Erfahrungsbericht schildern.
Üblicherweise leisten Rechtsreferendar:innen ihre Strafstation bei der Staatsanwaltschaft ihres Gerichtsbezirks ab. Es gibt aber auch die Möglichkeit, diese Station bei einem Amts- oder Landgericht zu verbringen. In meinem Fall hatte ich mich in die Liste für die Staatsanwaltschaft eingetragen. Weil es dort aber nicht genügend Ausbilder:innen gab, wurde ich zwangsweise an das Amtsgericht meines Wohnortes „versetzt“. Zunächst ärgerte ich mich fürchterlich über diese Zuteilung, musste dann aber feststellen, dass die Strafstation an einem Gericht auch Vorteile mit sich bringt. Am Ende gehörte die Station sogar zu meinen Lieblingsstationen im Referendariat.
Der Sitzungsdienst – muss man auch am Gericht Anklagen verlesen?
Teil der Strafstation ist immer auch der Sitzungsdienst für die Staatsanwaltschaft. Manche Referendar:innen freuen sich hierauf besonders, weil man beim Sitzungsdienst endlich Praxisluft schnuppern darf. Andere fürchten den Sitzungsdienst, weil sie sich unsicher fühlen und Angst davor haben, selbstständig vor Gericht aufzutreten. Wer denkt, eine Zuteilung zu einem Gericht würde dieses Problem beseitigen, irrt gewaltig. Denn auch, wenn man in der Strafstation einem Gericht zugeteilt wird, muss man ein Mindestmaß an Sitzungsdiensten ableisten.
Alles, was du zum Sitzungsdienst in der Strafstation wissen musst, berichtete Dir Galina in ihren Artikel (klick).
Hier nur der Hinweis: Wird man der Staatsanwaltschaft zugeteilt, bekommt man jede Woche mehrere Akten auf den Tisch und muss mindestens einen Tag in der Woche als Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft auftreten. Wird man einem Gericht zugeteilt, nimmt man ebenfalls an der Einführungsveranstaltung zum Sitzungsdienst teil und muss – zumindest in Baden-Württemberg – auch wenigstens einen Prozesstag übernehmen, die restliche Zeit verbringt man dann jedoch am Gericht. Wer möglichst wenige Sitzungsdienste übernehmen möchte, lässt sich also am besten einem Gericht zuteilen.
Wer so wie ich gegen seinen Willen einem Gericht zugeteilt wird und eventuell später sogar als Staatsanwalt oder Staatsanwältin arbeiten möchte, sollte sich aktiv darum bemühen, zu Sitzungsdiensten eingeteilt zu werden. Auch über die Strafstation hinaus bieten die meisten Staatsanwaltschaften den Sitzungsdienst für Referendar:innen als Nebenjob an. Damit kann man einerseits das Ref-Gehalt aufbessern, andererseits ist das aber auch eine gute Übung für die Praxis. Wer später beruflich in die Justiz möchte, sollte diese Gelegenheit – auch für den Lebenslauf – nicht versäumen.
Der strafrechtliche Alltag am Amtsgericht
Ich hatte das Glück einer erfahrenen und gleichzeitig unglaublich engagierten und netten Strafrichterin zugeteilt zu werden. Diese hatte pro Woche zwei Sitzungstage, an denen ich jeweils teilnehmen musste. Vor den Verhandlungen bekam ich die Akten für den Fall zum Durchlesen. Während den Verhandlungen durfte ich neben der Richterin auf der Richterbank sitzen. Zu meinen Aufgaben gehörte außerdem die Vertretung der Protokollkraft. Bei einigen Verhandlungen durfte ich also am PC sitzen und das Protokoll führen. Das war am Anfang ganz schön ungewohnt und erforderte unglaublich viel Konzentration. Vor allen dann, wenn Zeug:innen vernommen wurden und diese eventuell schnell oder undeutlich sprachen. Bei den Formalia half mir der Computer weiter. Denn die Standard-Formulierungen waren bereits im Dokument hinterlegt und musste von mir nur angeklickt und ergänzt werden.
Bei Verhandlungen mit Schöff:innen nahm ich an der anschließenden Diskussion im Richterzimmer ebenfalls teil. Es war unglaublich spannend zu sehen, wie Laien einen Strafrechtsfall einschätzen und zu welchem Strafmaß sie tendierten. Meine Richterin gab sich aber immer Mühe, die rechtlichen Aspekte gut verständlich für alle zu erklären.
Nach der Verhandlung begann dann meine Hauptaufgabe. Das Schreiben des Urteils. Dazu suchte sich meine Richterin immer das interessanteste Urteil des Tages aus und ich hatte dann eine Woche Zeit, um das Urteil selbstständig zu verfassen. Meine Lösung besprachen wir dann in der folgenden Woche ausführlich. Und meistens übernahm meine Richterin mein Urteil fast vollständig. Das motivierte mich ungemein.
Die Vor- und Nachteile der Station am Gericht
Leider hat die Strafstation am Gericht einen ganz entscheidenden Nachteil. Man lernt das Verfassen von Anklagen nicht. Und das ist verdammt ungeschickt, denn die Mehrzahl der strafrechtlichen Examensklausuren in Baden-Württemberg sind Anklageklausuren. Urteilsklausuren sind hingegen sehr sehr selten. Du solltest deswegen unbedingt mit Deinem Ausbilder oder Deiner Ausbilderin darüber sprechen und Dir die Möglichkeit einräumen lassen, übungsweise auch ein paar Anklagen zu verfassen. In der Akte ist die Anklageschrift natürlich immer abgedruckt, sodass Du auf jeden Fall viele Anklagen lesen kannst. Diese selbst zu verfassen ist dann aber nochmal etwas ganz anderes und sollte für den Ernstfall unbedingt geübt werden. Ich hatte Glück: Meine Examensklausur war ausnahmsweise eine Urteilsklausur und ich konnte ein zweistelliges Ergebnis abräumen!
Der Vorteil der Ausbildung am Amtsgericht liegt aber ebenso auf der Hand. Amtsgerichte sind gegenüber Landegerichten und Oberlandesgerichten eher klein und persönlich. Ich kannte bald alle Richter:innen und Mitarbeitenden. Außerdem sind die Fälle oft eher „übersichtlich“. Das hat den Vorteil, dass man den Prozess von Anfang bis Ende miterleben kann. Von Referendar:innen am LG und OLG und bei der StA habe ich erfahren, dass sie Prozesse oft nur bruchhaft erlebt haben. Denn die Station ist mit drei Monaten (in Baden-Württemberg) recht kurz. Wird ein Prozess vertagt oder zieht sich ein Großprozess über mehrere Monate bekommt man deswegen oft nur den Anfang oder das Ende mit. Dieses Problem hatte ich am Amtsgericht nicht.
Außerdem waren die dort behandelten Fälle enorm examensrelevant. Bis auf die Tötungsdelikte kamen alle examensrelevanten Normen gleich mehrmals vor und viele examensrelevanten Probleme konnte ich „live“ im Prozess erleben. Dadurch, dass es oft 4-6 Verhandlungen pro Tag waren, bekam ich außerdem einen sehr weiten Einblick in ganz unterschiedliche Lebenssachverhalte und rechtliche Probleme.
Nicht zu vergessen ist außerdem der große Unterhaltungsfaktor am Amtsgericht. Mir war keinen Tag langweilig und ich freute mich auf alle Verhandlungen. Oft ging es dabei „hoch“ her. Angeklagte, die nicht erschienen; Zeuginnen, die sich um Kopf und Kragen redeten und viele kuriose Sachverhalte. Im Ergebnis kann ich die Strafstation am Amtsgericht deswegen – mit der kleinen Einschränkung, dass man zu wenige Anklageklausuren schreib – absolut weiterempfehlen.