JURios wurde mit dem Ziel gegründet, über kuriose Urteile und skurrile Rechtsnachrichten zu berichten. Zu den verrücktesten Themen gehörten dann – auch für uns überraschend – aber immer öfter Beiträge über die teils unterirdischen Zustände in der juristischen Ausbildung.
Kandidat:innen, die ihr Examen ohne Toilettenräumlichkeiten ablegen mussten. Examensklausuren, die auf dem Postweg verloren gingen oder Prüfungen, die auf Grund organisatorischen Versagens gleich doppelt wiederholt werden mussten. Und in all diesem Trubel verabschiedeten die Landesjustizprüfungsämter (teils auf Empfehlung der Justizministerkonferenz) eine Ausbildungs“reform“ nach der anderen, welche die juristische Ausbildung im Ergebnis aber oft nur noch weiter verschlimmerten. Beispielsweise durch die geplante Abschaffung der Ruhetage zwischen den Examensklausuren, die Erweiterung des Pflichtstoffes oder die Einführung einer weiteren Examensklausur sowie die Streichung von Prüfungsstandorten.
Muss das wirklich sein? Wir denken: nein! Und sind damit nicht alleine. In den letzten Jahren haben sich studentische Interessenvertretungen wie die Bundesfachschaft sowie weitere Projekte mit viel Herzblut für eine echte Verbesserung der juristischen Ausbildung eingesetzt. Beispielsweise das Projekt „iur.reform“, das basierend auf einer Umfrage ganz konkrete Verbesserungsvorschläge macht. Von der Einführung eines integrierten Bachelors bis zur Reduzierung des Pflichtstoffes oder der verdeckten Zweitkorrektur der Examensklausuren.
Damit die Negativ-Reformen der letzten Jahre nicht einfach unter den Teppich gekehrt und vergessen werden, haben wir unsere Leser:innen im Oktober 2023 über die größten „fails“ der letzten drei Jahre abstimmen lassen. Uns wurden rund 30 verschiedene Vorgänge per Mail eingereicht. Aus den Gegebenheiten, die am häufigsten genannt wurden, hat die JURios-Redaktion eine Shortlist der Top 10 gebildet, über die unsere Leser:innen zwei Wochen lang abstimmen konnten.
Hier könnt Ihr die Top 10 auf der Shortlist nochmals nachlesen:
https://jurios.de/hall-of-shame-abstimmung/
Das Ergebnis der Abstimmung ist eindeutig! Knapp 1.000 JURios-Leser:innen haben an der Umfrage teilgenommen. Jeweils rund 20 Prozent sprachen sich für eines von drei Themen aus. Den negativ Preis gewonnen haben:

Wir gratulieren den entsprechenden Personen und Institutionen (Landesjustizprüfungsämter und die Justizministerkonferenz) ganz herzlich zu diesen drei Fails! Im folgenden eine kurze Erläuterung, wieso gerade diese drei Themen die juristische Ausbildung weiter verschlimmern und deswegen bei den Jurastudierenden und Referendar:innen besonders schlecht ankommen.
Platz 1: Prof’in Chiusis Kommentar zum „Loser-Bachelor“
Im Juni 2022 erschien ein Artikel der Juraprofessorin Tiziana Chiusi in der FAZ, in dem sie den integrierten Bachelor pauschal als “Loser-Bachelor” bezeichnet und damit alle betroffenen Jurastudierenden diskreditiert. Der Artikel erreichte eine breite Öffentlichkeit. Chiusi, die das deutsche Jurastudium selbst nicht abschloss, sieht die hohe Qualität der juristischen Ausbildung in Deutschland durch den Jura-Bachelor bedroht.
Dabei begeht Chiusi gleich mehrere Denkfehler und argumentiert in sich nicht schlüssig. Denn es geht überhaupt nicht darum, die beiden Staatsexamina abzuschaffen und durch einen „schwächeren“ Abschluss zu ersetzen. Für die Befähigung zum Richteramt sollen auch weiterhin zwei Staatsexamina mit gleichbleibenden Anforderungen erforderlich sein. Lediglich diejenigen, die das erste Staatsexamen nicht bestehen, haben dann immerhin einen Bachelor of Laws als Abschluss. Chiusis Behauptung, der integrierte Bachelor senke die Qualität deutscher Jurist:innen ist damit schlicht falsch. Außerdem verkennt die Juraprofessorin die Realität auf dem Arbeitsmarkt. Gute Jurist:innen werden händeringend gesucht. Gerade Unternehmen, Banken und Versicherungen setzen dabei (schon heute) auf Wirtschaftsjurist:innen. Diese sind schneller mit dem Studium fertig, besser auf wirtschaftliche Themen spezialisiert (und außerdem günstiger). Der integrierte Bachelor ist damit ein win-win für alle Beteiligten und außerdem auch im EU-Ausland anerkannt.
„Chiusis “Loser-Bachelor” ist eine Unverschämtheit“, schreibt deswegen Pauline Dietrich auf LTO. Auch Dr. Michael Hördt sieht auf icb.de in Chiusis FAZ-Artikel eine unverschämte Provokation. Prof. Dr. Julian Krüper widerspricht Chiusis Darstellung auf dem Verfassungsblog entschieden und bezeichnet sie als „notorisch reformunwillig“. Dr. Jana Schollmeiers Artikel auf dem Verfassungsblog trägt den Titel „Weder Burnout-Attest noch Jodel-Diplom“. Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. nennt den integrierten Bachelor einen „Wegweiser in Richtung Reform“. Auf JURios erscheinen gleich zwei Repliken auf den Artikel von Chiusi:
- Jurastudium: Warum es falsch ist, dass Prof’in Chiusi von einem “Loser-Bachelor” spricht
- Der Streit um den Jura-Bachelor: Worum geht es wirklich? – ein Kommentar

Platz 2: Keine blinde/verdeckte Zweitkorrektur im Staatsexamen
Weder im ersten noch im zweiten Staatsexamen findet eine blinde/verdeckte Zweitkorrektur statt. Dies führt dazu, dass sich die Zweitkorrektor:innen meistens dem Erstvotum anschließen, obwohl die Korrekturen an den Universitäten zeigen, dass es bei einer unabhängigen Korrektur oft zu großen Notenabweichungen (auch zu Gunsten der Kandidat:innen) käme. Dass bei einer so wichtigen Prüfung wie dem Staatsexamen, von der die gesamte berufliche Zukunft der Kandidat:innen abhängt, keine blinde/verdeckte Zweitkorrektur stattfinden, ist deswegen ein kleiner Skandal.
Denn auch bei Prüfungsleistungen gilt: „Zwei Jurist:innen, drei Meinungen“. Oft genug wurde dies von neugierigen Studierenden in der Praxis getestet. Schleust man zwei identische (oder zumindest der Lösung nach exakt gleiche) Arbeiten ein, kann es sein, dass eine Arbeit mit 3 Punkten (durchgefallen) und die andere Arbeit mit 9 Punkten (Prädikat) bewertet wird. Das Staatsexamen wird damit zum Glücksspiel. Dem wird (theoretisch) bereits jetzt dadurch Rechnung getragen, dass zwei Personen die Examensklausuren begutachten. Doch wieso weicht man dieses Qualitätskriterium dadurch auf, dass der oder die Zweitkorrektor:in die Benotung der Erstkorrektur einsehen darf – und sich dieser im Zweifelsfall (aus Faulheit, schlechter Bezahlung, Zeitdruck usw.) anschließt?
Prof. Jörn Griebel und Prof. Roland Schimmel fordern in ihrem JURios-Artikel deswegen eine unabhängige Zweitkorrektur. Und damit sind sie nicht alleine. Auch Dipl.-Psych. Ass. iur. Alica Mohnert schreibt: „Nur blinde Korrekturen sind faire Korrekturen“. Das forderte bereits 2013 Rechtsanwalt Arne-Patrik Heinze auf LTO.
Platz 3: Bundesweiter Entfall der Ruhetage
Nach einer Entscheidung der Justizministerkonferenz im Mai 2022 sollen in allen Bundeländern die zwei Ruhetage (zusätzlich zum Wochenende) zwischen den Examensklausuren entfallen. Bisher wurden die schriftlichen Klausuren im ersten Staatsexamen über zwei Wochen verteilt geschrieben. Dazwischen gab es – je nach Bundesland – zusätzlich zu den Wochenenden zwei Ruhetage (meistens Mittwoch) zur Erholung. Lediglich Bayern ging schon immer einen Sonderweg mit nur einem freien Wochenende und keinen weiteren Ruhetagen.
Im Januar 2023 deckte JURios auf, dass die Ruhetage in Baden-Württemberg bereits 2023 klammheimlich entfallen sollten. Nach weiteren Recherchen der Redaktion konnte dies auf die Justizministerkonferenz im Mai 2022 zurückgeführt werden. Der Beschluss der Konferenz war damals nichtöffentlich gefallen. Weder die Universitäten, noch die Fachschaften waren in die Entscheidung eingebunden und erfuhren auch im Nachhinein nichts von der neuen Regelung. Diese wurde von den Bundesländern daraufhin nach „Gutdünken“ umgesetzt. Obwohl man sich (angeblich) auf ein einheitliches Vorgehen geeinigt hatte, um die „Vergleichbarkeit“ der Prüfungsleistungen zu gewähren, setzten die Landesjustizprüfungsämter die Regelung ganz unterschiedlich um, wobei Baden-Württemberg voranpreschte.
Eine überzeugende Begründung, wieso man sich gerade dem bayerischen Sonderweg anschloss und nicht die bisherigen Regelungen aller anderen 15 Bundesländer einfach fortsetzte, gab es nicht. Die angebliche Raumknappheit und die Einführung des E-Examens überzeugten als Argumente nicht. Stattdessen entschied man sich (einmal mehr) ohne Not für die Lösung, welche den Studierenden zusätzliches Leid zufügt, ihre Gesundheit (Sehnenscheidenentzündung) eventuell sogar ein Leben lang gefährdet und zusätzlichen Prüfungsdruck erzeugt.
Katharina Uharek fragt auf LTO deswegen zu Recht: „Muss das sein?“ und schlussfolgert: „Es geht mal wieder zulasten der Prüflinge“. Dr. Michael Hördt bezeichnet die Streichung als „nicht nachvollziehbar und lässt auf Sparen am falschen Ende schließen“. Jan-Niklas Heil nennt die Streichung „bedauernswert“. Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. spricht sich in einer Stellungnahme gegen die geplanten Streichungen der Ruhetage aus. Dem schloss sich auch die Neue Richtervereinigung unter Verweis auf die Erhöhung des Prüfungsdrucks an.
Demonstration für eine bessere juristische Ausbildung
Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. und das Bündnis zur Reform der Juristischen Ausbildung e. V. rufen deswegen zu einer zweiten Demonstration für eine bessere juristische Ausbildung auf. Anlässlich der Herbstkonferenz findet die Protestaktion am 10. November 2023 vor dem Silent Green Kulturquartier in Berlin Mitte von 11 bis 15 Uhr statt.
Wer nicht an der Demonstration teilnehmen kann, ist herzlich eingeladen, sich seiner eigenen lokalen Fachschaft anzuschließen und sich vor Ort für bessere Prüfungsbedingungen stark zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, mitzuwirken und etwas zu bewegen. Beispielsweise auch durch eine Mitarbeit beim Projekt iur.reform oder mit einen Gastartikel auf www.jurios.de.