Im Examen durchgefallen: Das Justizprüfungsamt auf Verdienstausfall verklagen – ist das möglich?

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In den letzten Tagen hat eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 14.12.2023, Az. 6 B 12.23) für großes Aufsehen gesorgt. Das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen hatten die Benotung der Strafrechtsklausur eines Rechtsreferendars durch drei Instanzen geprügelt – nur um dreimal eine Niederlage einzufahren. Letztendlich wurde das LJPA dazu verpflichtet, die Note in der streitgegenständlichen Strafrechtsklausur von sechs auf sieben Punkte anzuheben. Damit hatte der Prüfling nach vier langen Jahren endlich den schriftlichen Teil seines zweiten Examens bestanden und wurde zur mündlichen Prüfung zugelassen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kandidat:innen mehrere Jahre auf den Ausgang eines Gerichtsverfahrens hoffen müssen. Das Problem: In dieser Zeit können die Betroffenen nicht als Jurist:innen arbeiten. Genauer gesagt haben sie (nach momentaner Rechtslage) nach dem ersten Staatsexamen überhaupt keinen Abschluss in der Tasche und bei Streit um das zweite Examen lediglich den Titel „Diplomjurist:in“, der die Befähigung zum Richteramt jedoch gerade nicht enthält. Deswegen müssen die Betroffenen mit ganz erheblichen Gehaltseinbußen rechnen. Insbesondere können sie nicht – so wie 80 Prozent aller Absolventen – als Anwält:innen arbeiten.

Prüfling klagt erfolgreich gegen Prüfungsamt

Im oben genannten Fall hatte bereits das Verwaltungsgericht in erster Instanz dem Prüfling Recht gegeben – die beiden weiteren Instanzen und die damit verbundene Wartezeit war der Berufung und der Nichtzulassungsbeschwerde des LJPA geschuldet. Ist es in diesen – und ähnlichen – Konstellationen möglich, Amtshaftungsansprüche gegen das Prüfungsamt geltend zu machen? Besteht also zumindest nachträglich die Möglichkeit, den Verdienstausfall irgendwie wieder wett zu machen?

Die gute Nachrichte lautet: grundsätzlich ja! Entschieden wurde das beispielsweise im Jahr 2006 durch das Oberlandesgericht München. Was war geschehen?

In den Jahren 1994, 1995 und 1996 hatte ein Rechtsreferendar am zweiten Staatsexamen teilgenommen und hatte die schriftlichen Prüfungen knapp nicht bestanden. Im streitgegenständlichen Durchlauf hatte er lediglich 3,59 Punkte erzielt (ab 3,6 Punkten wurde man damals in Bayern zur mündlichen Prüfung zugelassen). Dem Kandidaten fehlten also 0,1 Punkte. Dagegen führte der Prüfling das in der JAPO vorgesehene Nachprüfungsverfahren durch, in dem er eine zu seinem Nachteil erfolgte fehlerhafte Bewertung mehrerer Arbeiten beanstandete. Sowohl der Erst- als auch der Zweitkorrektor hielten an ihrer Bewertung fest. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Ansbach verurteilte das Gericht den Freistaat Bayern zur Neubewertung der Aufgabe sechs, deren Zweitbewertung mit null Punkten der Prüfling angegriffen hatte. Das Gericht hielt diese Bewertung für fehlerhaft, da die Begründung des Zweitkorrektors die Notenstufe „ungenügend“ nicht rechtfertige. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte diese Entscheidung.

Prüfling startet beruflich durch

1999 teilte das Landesjustizprüfungsamt dem Prüfling schließlich mit, dass der Zweitkorrektor die Aufgabe sechs nunmehr mit einem Punkt bewerte und er daher mit einer schriftlichen Gesamtnote von 3,63 Punkten zur mündlichen Prüfung zugelassen sei. Diese bestand der Prüfling mit 5,20 Punkten, was zur Gesamtnote von 4,02 Punkten führte. Das Problem: Statt im Jahr 1995 erhielt der Betroffene sein Zeugnis erst im Jahr 1999.

Ab diesem Zeitpunkt startete er dann auch so richtig durch – und das trotz lediglich einem Schnitt von 4,0 Punkten. Denn Volljurist ist schließlich Volljurist. Ab Januar 1999 war er als Stabsmitarbeiter im Angestelltenverhältnis tätig und bezog ein Bruttojahresgehalt von 74.000 DM. Ab Dezember 1999 erhielt der Kläger als Volljurist sogar ein Jahresgehalt von 79.835 DM.

Wäre es nicht schön gewesen, dieses Gehalt bereits ab 1995 zu beziehen? Definitiv! Deswegen klagte er auf Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung und machte seinen Verdienstausfall vor dem Landgericht geltend. Das LG wies die Klage jedoch als unbegründet ab, da dem Kläger bereits nicht der Nachweis der Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden gelungen sei. Dieser Ansicht schloss sich das Oberlandesgericht München nicht an. Dem Kläger stünde ein Anspruch aus § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG zu.

Amtshaftungsanspruch besteht dem Grunde nach

Durch die Bewertung der streitgegenständlichen Klausur mit nur null Punkten habe das Prüfungsamt rechtswidrig und schuldhaft gegen seine auch zum Schutz des Klägers bestehenden Amtspflichten verstoßen. Nach dem objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der im Rahmen des § 839 BGB gilt, komme es für die Beurteilung des Verschuldens grundsätzlich auf die Kenntnisse und Fähigkeiten an, die für die Führung des übernommenen Amts im Durchschnitt erforderlich sind. Amtsträger:innen habe deswegen die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihnen zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach auf Grund vernünftiger Überlegungen sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Das gelte für die Korrektor:innen genauso wie für die Mitarbeitenden des Prüfungsamtes. Die fehlerhafte Bewertung der streitgegenständlichen Klausur hatte hier unstreitig zur Folge, dass der Kläger nicht den für die Zulassung zur mündlichen Prüfung erforderlichen Notendurchschnitt erreichte.

Das Problem? Die Kausalität: Denn niemand weiß, ob der Kandidat im Fall einer ohne Amtspflichtverletzung erteilten Zulassung die mündliche Prüfung und das Examen im Ganzen ebenfalls bestanden hätte. Kommt das Gericht danach zu dem Ergebnis, der Prüfling hätte die Prüfung auf keinen Fall bestanden, muss die Klage abgewiesen werden. Vorliegend hatte der Prüfling jedoch Glück. Denn das Gericht wertete seinen sehr guten Berufseinstieg zu seinen Gunsten und kam mit ausreichender Sicherheit zu der Überzeugung, dass der Betroffene die mündliche Prüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestanden hätte. „[Der Beweis] gelang dem Kläger trotz des Umstands, dass seit seiner letzten schriftlichen Prüfung schon geraume Zeit vergangen war und er bei Ablegung dieser mündlichen Prüfung bereits seit Anfang 1999 bei vollzeitiger Beschäftigung in einer die Prüfungsvorbereitung beeinträchtigenden Weise ins Berufsleben integriert war.“

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der vom Prüfungsamt angeführten Statistik: „Danach haben nämlich in den gesamten Prüfungsterminen 1992/1 bis 2003/1 lediglich 24 Teilnehmer die Zweite Juristische Staatsprüfung nicht bestanden, obwohl sie zur mündlichen Prüfung zugelassen wurden. Dies entspricht im Verhältnis zur Gesamtzahl der Prüflinge einem Anteil von circa 1,2 %.“

Wirtschaftliche Lage für Schadenshöhe ausschlaggebend

Der bezifferte Schaden errechnet sich aus einem Vergleich der wirtschaftlichen Lage des Klägers, die sich ohne Amtspflichtverletzung voraussichtlich ergeben hätte, mit derjenigen, wie sie sich für den Kläger nach der Amtspflichtverletzung darstellt. Demnach hätte sich der Betroffene Mitte Dezember 1995 grundsätzlich als selbständiger Rechtsanwalt niederlassen können. Außer zwei Fremdsprachen (englisch und italienisch) konnte der Kläger keine weiteren Qualifikationen nachweisen. Auf Grund der schlechten Examensnote schätzte der Senat den Zeitraum, den der Kläger benötigt hätte, um eine Stelle als angestellter Rechtsanwalt oder aber auch eine sonstige Stelle, beispielsweise in einem Unternehmen zu finden, auf zwei Jahre. Für den Zeitraum vom 15. Dezember 1997 bis 1. Januar 1999 errechnete das Gericht ein möglich gewesenes Bruttoeinkommen des Kläger von 50.250 DM.

Im Ergebnis wurde der Freistaat Bayern verurteilt, dem Kläger 14.312,95 Euro nebst Zinsen zu bezahlen. Zudem sei der Freistaat verpflichtet, ihm seinen sozialversicherungsrechtlichen Schaden zu ersetzen. Die genaue Berechnungsgrundlage ergibt sich aus der Entscheidung.


Entscheidung:  OLG München, Urt. v. 17.08.2006, Az. 1 U 2960/05

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