Letztes Jahr habe ich mein Erstes Staatsexamen bestanden und seit knapp einem halben Jahr arbeite ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Standort einer amerikanischen Großkanzlei im Bereich IP- und IT-Recht. Nicht nur meine Eltern und Großeltern fragen mich regelmäßig, was ich denn eigentlich den ganzen Tag dort mache. Auch Freund:innen aus dem Jurastudium scheinen großes Interesse daran zu haben. Denn vor allem um die Arbeit in der Großkanzlei ranken sich viele Mythen und Geschichten. Daher möchte ich etwas Licht ins Dunkel bringen und von meinen Erfahrungen berichten.
Warum ich weder zwölf Stunden pro Tag arbeite noch den ganzen Tag nur auf Beck-online verbringen, erkläre ich euch hier.
Kleiner Disclaimer vorweg: Dieser Beitrag spiegelt nur meine ganz persönliche Erfahrung wider. Andere Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen (oder nennen wir sie WiMis) berichten euch vielleicht genau das Gegenteil. Das hängt auch immer von dem Bereich ab, in dem man arbeitet und wie groß die Kanzlei/Teams etc. sind. Aber nun zu mir.
Was bedeutet IP- und IT-Recht?
Viele fragen sich vielleicht, was IP- und IT-Recht überhaupt bedeutet. IP steht für „Intellectual Property“, also auf Deutsch „Geistiges Eigentum“. Es geht um Eigentumsrechte an Schöpfungen des menschlichen Intellekts wie Kunstwerke, Erfindungen oder Software, die durch Markenrechte, Patente oder Designrechte geschützt sind.
In vielen Kanzleien wird das IP-Recht mit dem IT-Recht kombiniert, also die rechtliche Betrachtung von IT-Sachverhalten. Das ergibt dann Fragestellungen wie: „Wem gehören (Stichwort Geistiges Eigentum) Kunstwerke, die von einer KI erschaffen wurden?“ oder „Ist eine Software schützenswert? Und wenn ja, wie?“.
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Eine Wissenschaftliche Mitarbeiterin ist nicht nur an Universitäten zu finden, sondern auch in Kanzleien, oft in großen. Dort unterstütz sie Anwält:innen je nach Rechtsgebiet bei verschiedenen Aufgaben. Was genau die Aufgaben sind, hängt vom Rechtsgebiet ab.
Was mach ich den ganzen Tag auf Arbeit?
Wie sieht mein Arbeitsalltag also aus? Glücklicherweise sind meine Aufgaben sehr vielfältig. Kürzlich habe ich gemeinsam mit einer Kollegin und zwei Anwälten an einem Beitrag für ein Handbuch zum Thema „Greenwashing“ gearbeitet. Von der Konzeption über die Recherche bis zum Verfassen des Textes war alles dabei. Diese Aufgabe war anspruchsvoll, aber auch äußerst interessant und kreativ.
Natürlich werde ich als WiMi auch mit vielen Rechercheaufgaben betraut. Bisher ging es dabei zum Beispiel um Patentanmeldungen, wie und ob die Gestaltung einer Webseite vor Nachahmung geschützt ist oder welche Bilder zum Training einer KI verwendet werden dürfen. Eine der skurillsten Aufgaben war vermutich eine Recherche über die Patentierbarkeit von Pilzen.
Und ja, dabei verbringe ich viel Zeit auf Beck-online. Aber eben nicht nur. Das liegt daran, dass die Arbeit in einer Kanzlei nicht wissenschaftlich ist, sondern sich an den Mandant:innen orientiert. Das heißt, ich musste auch schon Nutzungsbedingungen von KI-Tools genau studieren, um einer Anwältin zu helfen ihre Mandantin gut zu beraten oder auch praktische Lösungen finden, um Urheberrechte zu schützen. Und das steht eben nicht in der wissenschaftlichen Literatur oder Rechtsprechung.
Das IP- und IT-Recht wird stark von EU-Gesetzgebung beeinflusst. Daher verbringe ich auch viel Zeit damit, Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Kommission zu studieren. In den letzten Monaten habe ich mich intensiv mit dem neuen europäischen KI-Gesetz, dem AI-Act, beschäftigt und dazu Beiträge für die Webseite der Kanzlei und für Mandant:innen verfasst.
Von der Uni in die Großkanzlei – Was sind die Unterschiede?
Die Arbeit in einer Kanzlei unterscheidet sich von der Arbeit im Studium. Während an der Uni wissenschaftliches Arbeiten und die Analyse verschiedener Meinungen aus der Literatur im Vordergrund stehen, sieht die Arbeit in einer Kanzlei ganz anders aus. Klar, greift man auch da auf die Ressourcen der Literatur und Rechtsprechung zurück. Jedoch liegt der Fokus oft auf höchstrichterlicher Rechtsprechung, die für die Mandant:innen relevant ist. Die Kunst besteht darin, komplexe juristische Sachverhalte verständlich zu formulieren und aus dem Fachjargon zu übersetzen – eine Fähigkeit, die Übung erfordert.
Besonders am Anfang ist die Arbeit in einer Kanzlei geprägt vom sogenannten „learning-by-doing“. Ich hatte in der Uni nie einen Kurs zum IP-Recht. Ich habe aber gelernt, mich mit fremden Rechtsgebieten zu befassen und mir diese zu erschließen. Darauf kann ich bei der Arbeit in der Kanzlei stets zurückgreifen.
Diese etwas andere Art des Lernens macht mir besonders viel Spaß. Denn sie ist an Erfolgserlebnisse geknüpft und es sind Themen, die mich persönlich sehr interessieren.
Nine to five oder eher 24/7?
Die Arbeitszeiten in einer Großkanzlei ist ein Thema, das besonders viele Menschen interessiert. Und auch hier spreche ich nur für mich und vor allem auch für eine Wissenschaftliche Mitarbeiterin und nicht eine Anwältin.
Normalerweise beginne ich zwischen 9.30 und 10 Uhr morgens und verlasse das Büro im Schnitt zwischen 18.30 und 20 Uhr. Es ist also normal, auch mal die ein oder andere Überstunde zu machen. Dann gibt es aber auch Tage, an denen nicht so viel zu tun ist und ich pünktlich gehen kann. Das ist auch meiner Erfahrung nach die Regel.
Es kommt aber auch ein bisschen darauf an, wie effektiv und konzentriert man arbeitet und wie schnell man mit seinen Aufgaben fertig ist. Oder ob man sich doch noch zu einer Kaffeepause mit der Lieblingskollegin hinreißen lässt. Manchmal kommen Anfragen von Mandant:innen auch erst am späten Nachmittag und dann kann es sein, dass vor dem Feierabend noch schnell etwas erledigt werden muss. Das passiert vor allem in internationalen Kanzleien mit Mandant:innen oder Anwält:innen in anderen Zeitzonen.
Warum Großkanzlei und warum IP- und IT-Recht?
Nun zur großen „Warum“-Frage. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass eine Großkanzlei während des Studiums gar nicht auf meiner Agenda stand. Ich hatte eben auch die klassischen Vorurteile im Kopf. Doch ich wollte mich nicht von meinen Vorurteilen leiten lassen, sondern mir selbst ein Bild machen und tauchte in die Welt ein.
Am IP- und IT-Recht fasziniert mich die Kreativität, die in diesem Bereich gefragt ist, um innovative Lösungen für aktuelle Fragestellungen zu finden.
Wie mein Weg in den nächsten Jahren weitergeht, wird sich zeigen. Ich konnte in den letzten Monaten definitiv einige Vorurteile über Großkanzleien ablegen und werde auf jeden Fall noch bis zu meinem Referendariat dort arbeiten. Und wer weiß, vielleicht komme ich danach als Anwältin wieder. Ganz ausschließen will ich es nicht mehr.