Ende Juni verbreitete sich die Information, dass in Zukunft das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis der Rechtsreferendarinnen und Referendare in NRW um einen Monat verkürzt werden soll. Dies geschieht durch die Vorverlegung der mündlichen Prüfung in den 25. Monat nach der Einstellung (statt des 26. Monats). Damit wird die Lernzeit für die mündliche Prüfung ersatzlos und während eines bereits bestehenden öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses – ohne Übergangsregelung – von einem Monat auf null Tage reduziert.
Betroffen sind all diejenigen Rechtsreferendarinnen und Referendare, die ab September 2024 ihre schriftlichen Klausuren des zweiten Examens ableisten. Begründet wird dies mit der schwachen Konjunktur in Deutschland, die auch in NRW deutliche Spuren hinterlasse. Informiert wurden darüber zunächst lediglich diejenigen Referendar:innen, die vom Septembertermin betroffen sind. Eine Information offizieller Seite für diejenigen Betroffenen, die ihr schriftliches Examen in einem der Monate nach September abzuleisten haben, gab es zunächst nicht.
Angehende Jurist:innen als Kostenlast
Stattdessen wurde ein entsprechendes Informationsschreiben auf der Internetseite der Justiz NRW hochgeladen – wohl in der Hoffnung, dass dies von so wenigen Referendar:innen wie möglich bemerkt wird und es zu keiner Aufruhe kommt. Erst nachdem die erste Empörung öffentlich wurde, bekamen auch alle anderen Referendar:innen in NRW nunmehr ein entsprechendes Schreiben von offizieller Stelle. Statt den dringend benötigten Nachwuchs Wertschätzung entgegenzubringen, verdeutlicht man mit dieser Entscheidung und der Art und Weise der Kommunikation, dass man die angehenden Kolleginnen und Kollegen als lästige und kostenintensive Last empfindet.
So heißt es in dem Informationsschreiben: „Im wohlverstandenen Interesse der Referendarinnen und Referendare verbleibt es bei einer Anfertigung der Aufsichtsarbeiten im 21. Monat.“ Hier wird so getan, als hätte man bei dieser Entscheidung die Interessen der angehenden Volljuristinnen und Volljuristen im Blick gehabt, wohlwissend, dass der Zeitpunkt der Ablegung der schriftlichen Prüfungen gesetzlich festgelegt ist und man wohl nur aus diesem Grunde von einem entsprechenden Vorverlegen der Klausuren in den 20. Monat Abstand genommen hat, weil hierzu eine zeit- und kostenintensive Gesetzesänderung nötig gewesen wäre. Verkauft wird es den Referendar:innen dagegen so, als hätte man ihre Interessen im Blick gehabt. Es wirkt als solle man den Entscheidungsträgern auch noch dankbar für einen solch schamlosen Umgang mit den Referendarinnen und Referendaren sein. Die Justiz in NRW wird als Arbeitgeber dadurch immer unattraktiver. Im Laufe des Referendariats bekam man immer wieder Informationen darüber, dass auch „dieses und jenes“ nunmehr zum Gegenstand von Prüfungen gemacht werden könne. Als Ausgleich für die immer größer werdende Fülle des zu bewältigenden Lernstoffs, nimmt man den angehenden Jurist:innen nunmehr auch noch einen vollen Monat Lernzeit für die mündliche Prüfung? Geht man so mit dem dringend benötigten Nachwuchs um?
Einige Referendar:innen haben sich im Rahmen der Wahlstation für einen Auslandsaufenthalt entschieden. Verträge sind in Unkenntnis der Änderungen unterschrieben worden, Flüge und Unterkünfte gebucht. Die Betroffenen sind nunmehr dem Wohlwollen der Praxisausbilder ausgeliefert. Die Vorbereitungen für eine solche Auslandsstation, etwa bei einer deutschen Botschaft, betragen in der Regel etwa ein Jahr. Im Vertrauen auf den Lernmonat haben sich Viele bereits frühzeitig dem Bewerbungsprozess unterzogen und sind nach erfolgreicher Bewerbung für drei Monate der Auslandsstation zugewiesen worden.
Die Auslandsstation wird unmöglich
Mit der Kürzung des Lernmonats sind diese Referendar:innen allerdings gezwungen, theoretisch bereits am nächsten Tag nach der Auslandsstation am innerdeutschen Prüfungsort zu sein und – gegebenenfalls unter Jetlag und ohne auch nur einen einzigen Tag Vorbereitungszeit – eine der wichtigsten Prüfungen ihres Lebens zu absolvieren. Dies ist teils aufgrund der langen Reise logistisch sogar unmöglich, abgesehen davon, dass die circa 30 kg schweren Gesetzesbücher und Kommentare sich nicht ohne weiteres ins Ausland mitnehmen lassen. Der Lernmonat war für viele Referendar:innen daher unerlässliche Voraussetzungen für eine Auslandsstation. Dies gilt auch deswegen, da in NRW durch die Ausweitung der Wahlstation in den Klausurmonat eine Auslandsstation nur dann möglich ist, wenn bereits zwei Wochen Erholungsurlaub vor Antritt der Station genommen werden. Denn nur so kann ein Referendar aus NRW mit vier Monaten Wahlstation eine vom Auswärtigen Amt zeitlich festgelegte dreimonatige Auslandsstation absolvieren. Viele Betroffene sehen sich nun unter immensen Druck gesetzt, begehrte Stationen wieder abzusagen und sich in ihrer Hochlernphase mit der Organisation einer nähergelegenen Station “herumzuschlagen”, sofern dies überhaupt aufgrund der Kürze der Zeit möglich ist. Langfristige Planung wird also durch die neue Regelung des LJPA abgestraft und hinfällig. Dies lässt sich nur mit einem Wort beschreiben: Unfair.
Ähnlich geht es aber auch denjenigen Referendarinnen und Referendaren, die sich in der Zeit vor der mündlichen Prüfung in Deutschland befinden. Auch sie haben Dispositionen getroffen.
Wechsel bei der Reihenfolge der Stationen erschwert
Einige haben von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Reihenfolge der Verwaltungs-, Anwalts-, und Wahlstation zu tauschen, sodass nach der Strafstation zunächst die Wahlstation und erst dann die Anwaltsstation abgeleistet wird. Die Verwaltungsstation liegt bei diesem Vorgehen somit am Ende des Referendariats, mithin vor der mündlichen Prüfung. Zu diesem Vorgehen haben sich viele Personen entschlossen, weil ihre Traumstelle in der Verwaltung nur noch Plätze zum Ende des Referendariats hatte (auch der Mangel der Plätze für die Verwaltungsstation ist in NRW ein bekanntes Problem).
Bei der Beantragung des Wechsels der Reihenfolge wurden die Referendar:innen mit keinem Wort auf die zukünftigen Änderungen hingewiesen, sodass sie sich darauf verlassen habe, dass die mündliche Prüfung wie schon seit Jahren im 26. Monat stattfinden wird. Hätten sie zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass die Vorverlegung der mündlichen Prüfung um einen Monat geplant ist, hätte sie sich gegen den Tausch der Stationen entschieden. Schon allein aus dem Grunde, dass man in der Wahlstation die Möglichkeit hat, vier Wochen Urlaub zu nehmen und in der Verwaltungsstation lediglich zwei Wochen Urlaub möglich sind. Mal abgesehen davon, dass es sich dabei um „Erholungsurlaub“ handeln sollte, reichen diese zwei Wochen keineswegs für eine angemessene Vorbereitung auf einen Aktenvortrag und die Prüfungsgespräche. Man hat im Vertrauen auf die bisherige Übung Dispositionen getroffen, die einem nunmehr zum Verhängnis werden. Wie man sich neben einer Vollzeitstelle angemessen auf eine mündliche Prüfung vorbereiten soll, erschließt sich einer Vielzahl der betroffenen Referendare nicht.
Vertrauensschutz? Fehlanzeige!
Aufgrund von überzogenen Sparmaßnahmen werden hier die Belange der Referendar:inen, die ohnehin schon unter einem enormen Druck stehen, da das Ergebnis des zweiten Examens maßgebend für den beruflichen Werdegang ist, völlig außer Acht gelassen. Vertrauensschutz Fehlanzeige.
Es ist absolut unverständlich, weshalb in die bestehenden öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisse über 26 Monate eingegriffen wird. Vielmehr wäre es (ansatzweise) fair gewesen, diese Regelung nur für diejenigen zu treffen, die neu in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis aufgenommen werden. Denn anders als die bereits Betroffenen haben die zukünftigen Referendarinnen und Referendare die Wahl, ob sie unter diesen Voraussetzungen und im Hinblick auf die überaus geringe Wertschätzung dazu bereit sind, sich in den Dienst des Landes NRW stellen zu lassen.
Zudem stößt es übel auf, dass Sparmaßnahmen scheinbar nur bei Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendaren erforderlich sind. Es ist ohnehin fraglich, weshalb die Unterhaltsbeihilfe der Lehramtsreferendarinnen und Lehramtsreferendare höher ausfällt als diejenige der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare. Nun wird auch noch ausschließlich bei der Ausbildung der Rechtsreferendar:innen noch stärker auf die Bremse getreten. Braucht das Zukunfts-NRW lediglich Lehrer und keine Richter oder Staatsanwälte?
Justiz NRW als Arbeitgeber unattraktiv!
Im Hinblick auf Art. 3 GG i. V. m. der Selbstbindung der Verwaltung erscheint das Vorgehen jedenfalls bedenklich. Die Veränderung des Zeitplans für Referendarinnen und Referendare, die sich bereits im Referendariat befinden, führt zudem zu einer verfassungswidrigen unechten Rückwirkung im Rahmen der Berufsfreiheit. Eine Übergangsregel für diejenigen Referendar:innen, die sich bereits im Referendariat und nur noch einige Monate vor dem schriftlichen Examen befinden, ist nämlich nicht vorgesehen. Anders sähe dies aus, wenn die Regelung nur für Neuanfänger gelten würde. Darüber hinaus dürfte das Interesse des Landes an einer Kostenersparnis, wohl eher eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Verkürzung der Lernzeit stellt eine unzulässige Belastung für die betroffenen Referendarinnen und Referendare dar, da gewährleistet sein muss, dass die Examenskandidat:innen die Prüfung unter den Bedingungen ablegen können, auf die sie sich eingestellt und nach denen sie ihre langfristige Vorbereitung und die Wahl der Stationen eingerichtet haben.
Angeblich habe man die Vor- und Nachteile dieser Sparmaßnahme auch für die Referendarinnen und Referendare sorgfältig abgewogen. „Dazu zählt es, die Gerichte mit den erforderlichen Stellen für Richterinnen und Richter und die Strafverfolgungsbehörden mit ausreichenden Stellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auszustatten. Hier ist an Einsparungen nicht zu denken“, so Dr. Mrcus Strunk, Pressesprecher des Justizministeriums NRW, laut LTO. Wenn es so weitergeht, muss sich die Justiz NRW über die Bereithaltung ausreichender Stellen aber wohl bald keine Sorgen mehr machen müssen. Denn von den betroffenen Referendar:innen werden sich wohl die wenigsten – nach dieser Entscheidung zu ihren Lasten – noch für die Besetzung einer Stelle bei der Justiz NRW interessieren. Die Justiz NRW, die schon in der Ausbildungsphase derart mit dem Nachwuchs umgeht, ist garantiert kein Arbeitgeber, dem man sein Vertrauen noch schenken wird.
Von Seiten der betroffenen Referendare gibt es daher Überlegungen ein anwaltliches Gutachten einzuholen. Auch Demonstrationen, Streiks sowie eine Petition sind im Gespräch. Die Rechtsreferendar:innen sind mit diesem Vorgehen nicht einverstanden und werden das definitiv nicht stillschweigend hinnehmen. Die Entscheidungsträger sollten an dieser Stelle Verantwortung zeigen und diese Maßnahmen umgehend zurücknehmen.
Update vom 03. Juli 2024:
Nach heftigem Protest im Internet wird der Beginn dieser Sparmaßnahme um drei Monate verschoben. All diejenigen, die bereits im September 2024 ihre schriftlichen Prüfungen schreiben, sind von der Kürzung nicht mehr betroffen. Alle nachfolgenden Referendar:innen jedoch schon.