Volljuristin! Das war das große Ziel, als ich im Jahr 2021 voll freudiger Erwartungen ins Referendariat in Bayern gestartet bin. Doch mit Baby, das im Referendariat während der Corona-Pandemie auf die Welt kam, war das eine noch viel größere Herausforderung, als erwartet. Neben der Examensvorbereitung mussten Kinderarzttermine, Spielgruppen und Kinderturn-Kurse koordiniert, Kita-Ausfallzeiten ausgeglichen, Krankenbetreuung organisiert und ausreichend Mama-Kuschel sowie Familien-Zeit eingeplant werden.
Wie alle anderen Referendar:innen hatte ich meine AGs zu den vorgeschriebenen Zeiten zu besuchen, Pflichtklausuren jedenfalls in der Mindestanzahl einzureichen und die Anwalts- und Wahlstation in einer Kanzlei bzw. in einem Unternehmen in üblicher Stundenanzahl abzuleisten. Ausnahmen aufgrund von Schwangerschaft oder Mutterschaft wurden mir während des gesamten Referendariats nicht gemacht, Entgegenkommen gab es kaum. Eins ist klar, ohne Unterstützung durch Familie und Partner und erhebliche Abstriche bei der Examensvorbereitung und der eigenen Erwartungshaltung an Leistungsfähigkeit und das Ergebnis des 2. Examens, wäre dieses Ziel wohl unerreichbar gewesen. Geklappt hat es aber trotzdem.
Da ich mir nach der Geburt meines Sohnes kaum vorstellen konnte, unter erheblichem Schlafentzug, stark verkürzten Lernzeiten und dem Druck, eine gute Mutter zu sein, das Examen überhaupt zu bestehen, möchte ich mit diesem Artikel allen Mut machen, denen es mit (oder auch ohne) Kindern ähnlich geht. Und auch wenn es im Internet von mehr oder weniger hilfreichen Artikeln zur Examensvorbereitung wimmelt, teile ich hier meine Quick Tipps und Tricks, wie die Examensvorbereitung (mit Kind) mit eingeschränktem Lernpensum durchgestanden werden kann.
Aber kurzer Spoiler vorweg: Die folgenden Ratschläge haben mir durch die Examensvorbereitung mit Kind geholfen und dabei das 2. Examen zu bestehen – sie können aber natürlich keine Garantie beinhalten, dass sie auch Euch und Eurem individuellen Lerntyp zum bestandenen Examen verhelfen.
Nr. 1: Ohren zu und durch
Erzählungen über die Examensvorbereitung und das Examen selbst sind ein wenig so, wie Geburtsberichte, die werdenden Müttern mit auf den Weg gegeben werden. Schauermärchen, bei denen wilde Geschichten um den andauernden Schmerz und die schier nie enden wollende Qual bis zum glücklichen Ende gesponnen werden. Geholfen ist damit niemandem. Denn am Ende ist eins klar: Irgendwie muss man da trotzdem durch! Darum hilft nur eines: Ohren zu und durch. Lasst Euch so wenig wie möglich von solchen Gruselgeschichten beeindrucken und macht am besten um jeden Ratschlag, der mit „Also bei mir im Examen…“ beginnt, einen weiten Bogen.
Nr. 2: Mental Health
Ein Faktor, den ich schon in der Vorbereitung auf das 1. Examen unterschätzt habe, war die enorme psychische Belastung, die eine Examensvorbereitung mit sich bringen kann. In der Jura-Bubble erschien es normal, regelmäßig über dem mit Lernunterlagen überhäuften Schreibtisch zusammenzubrechen. Umso wichtiger war es mir in der Vorbereitung auf das 2. Examen, mehr auf meine mentale Gesundheit zu achten. Dank meinem Kind musste ich Lernpause einbauen, in denen ich beim Spielen, Kuscheln oder Spazieren gehen auch mal auf andere Gedanken kam. Und es hat geholfen zu wissen: Da gibt es noch so viel Mehr und so viel Wichtigeres als das Examen. Es ist wichtig auf einen Ausgleich, sei es durch Sport, Freunde oder andere Hobbys, zu achten, damit die Psyche (und auch der Körper) die ganze Examensvorbereitung durchhält.
Nr. 3: Auf die richtige Technik kommt es an
Klausurtechnik ist das A und O einer gelungenen Klausurbearbeitung. Hierzu sollte man sich möglichst schon einige Zeit vor dem Examen und nicht erst in der ersten Examensklausur Gedanken machen. Denn sitzen juristische Argumentationstechniken, präzise Fallbearbeitung und die richtige Methodik, kann damit einiges an fehlendem Wissen wieder wett gemacht werden. Hierzu kann ich nur raten, sich ein paar passende Aufsätze zu der Thematik zu Gemüte zu führen. Damit die Klausurtechniken aber auch sitzen, bedarf es an Übung, was uns zum nächsten Punkt führt.
Nr. 4: Klausuren, Klausuren, Klausuren
Man hört es immer wieder und doch schiebt man es so lange wie möglich auf: das Klausuren schreiben. Gemeint sind damit nicht die (verpflichtenden) AG-Klausuren, sondern jene, die zuhause/ am Schreibtisch/ am Justizausbildungszentrum selbst geschrieben und dann über einen Klausurenkurs des Referendariats oder eines Repetitoriums korrigiert werden. Und das am besten von der ersten Woche an. Mehrmals pro Woche. So ernsthaft wie möglich. Ich habe rückblickend erst deutlich zu spät damit begonnen zumindest wöchentlich Klausuren zu schreiben. Am Ende hatte ich einen riesigen Stapel unbearbeiteter Klausuren auf dem Schreibtisch liegen, die ich nicht mehr unterbringen konnte, die aber für das Üben am echten Fall so essenziell gewesen wären. Ich kann darum jeden nur ermutigen, sich frühzeitig an das Klausuren schreiben zu wagen, völlig unabhängig davon, ob man eigentlich noch nicht genug kann. Denn nur anhand von Klausurkorrekturen kann man seinen aktuellen Wissens- und Leistungsstand einschätzen und konkret an Fehlern arbeiten. Hierfür habe ich einen halben Tag meines Wochenendes geopfert und kann nur empfehlen mindestens genauso viel (wenn nicht sogar deutlich mehr) zu investieren.
Nr. 5: Basics
Da meine Lernzeit sehr beschränkt war habe ich mich während der Examensvorbereitung immer wieder ermahnt, den Fokus auf die absoluten Basics zu setzen. Ich habe weder Karteikarten zu Spezialproblemen der Drittschadensliquidation aus dem 1. Examen heraus gekramt, noch Meinungsstreitigkeiten zwischen BGH und Literatur oder Rechtsprechung auswendig gelernt. Viel wichtiger war es mir, das Grundgerüst der einzelnen Rechtsgebiete drauf zu haben um damit den größten Teil der Klausurprobleme, ggf. unter Zuhilfenahme des Kommentars, bearbeiten zu können. Denn Basics sind die halbe Miete einer gelungenen Klausurbearbeitung.
Nr. 6: Lerngruppen
Die Examensvorbereitung ist langwierig und hart. Darum hilft es allgemein, sich regelmäßig oder zumindest ab und an in Lerngruppen auszutauschen. Zugegeben, auch mir hat mit Kind hierzu meistens die Zeit gefehlt. Dennoch habe ich jede Chance genutzt, mich mit anderen auszutauschen. Sicherlich nicht wöchentlich unter Vorbereitung eines Probefalles wie viele meiner Kolleg:innen. Aber zumindest häufig genug, um hieraus auch zahlreiche Vorteile für die eigene Examensvorbereitung ziehen zu können.
Nr. 7: Korrekturbemerkungen annehmen, aber nicht zu Herzen nehmen
Wer kennt es nicht: auch bei zweistelligen Klausurleistungen verlieren Korrektorinnen und Korrektoren nur ungern ein gutes Wort über die Leistung des Bearbeitenden, sondern arbeiten präzise alle Mängel und Fehler heraus. Auch wenn man anhand von Klausuranmerkungen viel lernen kann, sollte man sich diese nicht allzu sehr zu Herzen und vor allem nicht persönlich nehmen. Was der eine Korrektor als groben Fehler einordnet, empfindet die andere Korrektorin als weit weniger ausschlaggebend. Darum sollte man für sich selbst bei der Nacharbeitung geschriebener und korrigierter Klausuren einen Filter entwickeln, anhand dessen man das für sich Relevante aus der Klausuranmerkung herausziehen kann, ohne persönlich betroffen zu sein.
Nr. 8: Weniger ist manchmal eben doch mehr
Mein Sohn war während der intensiven sechsmonatigen Examensvorbereitung täglich von 8-15 Uhr in der Kita betreut, am Wochenende war Samstag immer unser freier Familientag und Sonntag habe ich vormittags eine Klausur geschrieben. Hinzu kamen neben AG-Veranstaltungen noch Arzttermine, zahlreiche Kita-Ausfalltage aufgrund Personalmangels und unzählige Krankheitstage meines Sohnes. Geplant war eine tägliche Lernzeit von 6 Stunden, der Durchschnitt dürfte aber wohl darunter liegen. Bei mir bedeuteten diese wenigen kinderlosen Stunden: Handy weg, Fokus auf Jura und ohne Ablenkung durchziehen. Denn sind wir mal ehrlich, bei zehn Stunden lernen in der Bibliothek, mehreren Kaffeepausen und Ablenkung durch Soziale Medien und die Umgebung, kommt man effektiv wahrscheinlich auch nicht auf so viel mehr – von der schwindenden Konzentration mal abgesehen.
Nr. 9: Das große Ganze im Blick behalten
In einer Klausur kann man sich sehr schnell in den kleinteiligsten Ecken und Winkeln der juristischen Fallbearbeitung wiederfinden – gerade wenn man den Kommentar zu Rate zieht. Man sollte jedoch immer versuchen, das große Ganze der Klausur im Blick zu behalten und sich nicht zu sehr in kleinen Problemen zu verlieren. Natürlich geht es auch im 2. Examen darum, Probleme zu erkennen, an einer Norm festzumachen, Argumente selbst oder im Kommentar zu finden und diese stichhaltig begründet zu Papier zu bringen. Doch das 2. Examen ist nun mal kein Gutachten mehr, in dem es um den unwichtigsten Meinungsstreit zwischen Literatur und Rechtsprechung geht. Sondern ein Urteil, ein Schriftsatz oder ähnliches. Dies gilt es immer im Blick zu behalten, wenn man sich mit vollem Eifer auf die kleinsten Probleme stürzen will, die eigentlich in einem Satz abgehandelt werden sollten.
Nr. 10: Repetitorien
Ein leidiges Thema, aber ich bin ganz ehrlich: ohne ein kommerzielles Repetitorium wäre das Examen bei mir wohl nichts geworden. Das hat zum einen mit der teilweisen mangelhaften Qualität der AG-Veranstaltungen zu tun. Zum anderen aber auch mit der Stoff- und Materialfülle, mit der man in den AGs überhäuft wird. Für mich waren die wöchentlichen Repetitoriums-Veranstaltungen nicht nur feste Termine, die ich aufgrund der Kontinuität gut in meinen Terminplan einbauen konnte, sondern auch eine komprimierte Zusammenfassung des Stoffs, auf den es im Examen wirklich angekommen ist. In den letzten Monaten der Examensvorbereitung habe ich dann noch einen Intensiv-Kurs sowie einige Wochenend-Crashkurse besucht und mich auch hauptsächlich mit den dort ausgeteilten Materialien auf das Examen vorbereitet. Für mich die Rettung in meinem knappen Lernplan!
Nun bleibt mir nur noch zu sagen: Viel Erfolg in der Examensvorbereitung und ein gelungenes 2. Staatsexamen!