11,18 Punkte! Das erreichte ein Kandidat im Herbst 2019 in der Ersten juristischen Prüfung in Baden-Württemberg. Eigentlich ein Grund zum feiern – wäre bei der Korrektur der Klausuren nicht so einiges schiefgegangen. Der Kandidat verlangte deswegen eine Neubewertung zweier Klausuren. Und hatte Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim erteilte dem Landesjustizprüfungsamt Baden-Württemberg (mal wieder) eine Schlappe.
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Konkret ging es dem Kandidaten um die Bewertung der Aufsichtsarbeiten Nr. 2 (Zivilrecht) mit 12,0 Punkten und Nr. 6 (Strafrecht) mit 6,0 Punkten. Hier hätten die Prüfer bei der Korrektur jeweils Fehler gemacht. Deswegen verlangte der Kandidat eine Neubewertung sowie gegebenenfalls Hochstufung der Note.
Das Landesjustizprüfungsamt wies den Widerspruch des Klägers gegen die Klausurbewertung (natürlich) zurück. Und auch vor dem Verwaltungsgericht Freiburg ging der junge Mann zunächst baden. Der VGH Mannheim durchleuchtete die beiden Klausuren des Kandidaten jetzt jedoch Punkt für Punkt. Und stimmte seiner Argumentation zu. Im Ergebnis verdonnerten die Richter:innen das LJPA BW zur Neubewertung der zwei Klausuren – und das sogar durch andere Prüfer:innen. Weitere Forderungen konnte der Kandidat mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beim BVerwG allerdings nicht durchsetzen.
“Was die Prüfer in inhaltlicher Hinsicht monieren, bleibt dunkel“
In der strafrechtlichen Klausur war es um das Verhältnis von Mord und Totschlag und die Anwendbarkeit des § 28 StGB bei täterbezogenen Mordmerkmalen gegangen. Der Kandidat hatte die Streitfrage ohne die Darstellung der dazu vertretenen Argumente bewusst offengelassen, weil es im konkreten Fall nicht darauf ankäme, da alle Ansichten zu demselben Ergebnis gelangten.
Der Erstgutachter hatte dazu ausgeführt: „Verf. erkennt die Problematik einer möglichen Tatbestandsverschiebung. Sodann werden Ausführungen zum Verhältnis zwischen Mord und Totschlag gemacht. Das Ergebnis wird allerdings offengelassen, da ausgeführt wird, dass A aus sonstigen niedrigen Beweggründen handelt. Hinsichtlich der nicht einfachen Frage der Tatbestandsverschiebung fehlt die letzte Detailtiefe und Präzision.“
Das hatte das Gericht dem Prüfer noch durchgegen lassen. Bei einem anderen strafrechtlichen Streit war dann jedoch Schluss mit lustig. Hier war es um eine mögliche Beleidigung durch die Übergabe eines Zettels mit der Notiz ‚A.C.A.B.‘ an eine Polizistin gegangen. Der Bearbeiter bejahte eine Beleidigung zu Lasten der Polizistin und lehnte eine Beleidigung der Polizei als Kollektiv ab. Der Erstprüfer hat die Differenzierung der potenziell Geschädigten als nicht zweckmäßig kritisiert.
Dazu die Mannheimer Richter:innen: „Was am Vorgehen des Klägers kritikwürdig sein soll, geht aus den Prüferstellungnahmen nicht hervor. Es ist ohne Weiteres vertretbar. […] Was die Prüfer in inhaltlicher Hinsicht monieren, bleibt dunkel.“ – deutlicher kann man dem LJPA eigentlich keine Abfuhr erteilen.
Bewertungsspielraum überschritten, Ergebnis nicht nachvollziehbar
Und auch die Bewertung der Zivilrechtsklausur wurde von den Richter:innen zerpflückt. Denn hier hatte der Prüfer ganz einfach die vom Kandidaten zitierte Norm verwechselt. Peinlich!
„Die wiedergegebenen Korrekturanmerkungen lassen vermuten, dass der Erstprüfer die vom Kläger zitierte Norm § 168 Satz 3 BGB […] verwechselt. […] Denn nur der letztgenannte Satz ist lex specialis zu der – vom Kläger zutreffend benannten – Bestimmung in § 52 Abs. 1 HGB“, so das Gericht. Und weiter: „Der Verweis des Klägers auf § 168 S. 3 BGB ist weder nicht nachvollziehbar gewesen noch fehlgegangen.“
An anderer Stelle habe der Prüfer zudem seinen Bewertungsspielraum überschritten. Das Gericht bescheinigt den Prüfern: Das Prüfungsergebnis ist „nicht nachvollziehbar“.
An dieser Stelle könnte man jetzt über den Kandidaten spotten, der es selbst bei über elf Punkten im Gesamtergebnis noch für notwendig befunden hat, die Bewertung anzufechten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Er gehört zu einer der wenigen Personen, die sich die Handhabung der Korrekturen durch die Justizprüfungsämter nicht gefallen lässt. Zig Kandidat:innen „schlucken“ die Ergebnisse der Staatsprüfung jedes Jahr einfach. Und das, obwohl inzwischen belegt ist, dass die Korrekturen oft mangelhaft und teils willkürlich zustande kommen.
Einige sind einfach froh, dass sie bestanden haben. Denjenigen, die durchgefallen sind, fehlt oft die Energie, um weiterzukämpfen. Und selbst, wenn man sich dazu „aufrafft“, lässt das Ergebnis oft jahrelang (hier fünf) auf sich warten. Man studiert also schneller einen komplett neuen Studiengang als das man am Ende dann doch das Staatsexamen in der Tasche hat. Und zum Klagen gehört außerdem noch eines: verdammt viel Geld! Nur die wenigsten können sich nach fünf Jahren Studium noch ein verwaltungsgerichtliches Verfahren mit anwaltlicher Vertretung leisten.
Trotzdem ist es gut, wenn diejenigen, die es sich leisten können, die Fehler des Systems immer und immer wieder aufzeigen.
Entscheidung: VGH Baden-Wüttemberg, Urt. v. 11.10.2023, Az. 9 S 1759/22
Entscheidung: BVerwG, Beschl. v. 30.05.2024, Az. 6 B 73.23