Die Blockversager: Welches Signal das JPA Hamm damit an seine Examenskandidat:innen sendet

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Vor wenigen Tagen lud das Justizprüfungsamt Hamm (JPA Hamm) wie immer zum Monatsende die Liste mit den Kennziffern jener Kandidat:innen auf ihrer Homepage hoch, die bereits den schriftlichen Teil der staatlichen Pflichtfachprüfung nicht bestanden hatten. Dabei wurde dieses Mal jedoch durch einen laut Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm „bedauerlichen menschlichen Fehler“ der interne Dateiname „Internet Blockversager April 2024“ genutzt. Das wiederum führte zu Aufruhr unter Jurastudent:innen und Jurist:innen gleichermaßen. Die Liste wurde innerhalb weniger Stunden unter ihrem offiziellen Titel „Informationen gem. §20 Abs. 1 Nr. 1 JAG NW“ erneut hochgeladen.

Man kann argumentieren, dass der Begriff ähnlich wie „Todesliste“ auch von Studierenden seit Jahren benutzt wird. Was dabei übersehen wird, ist, dass der Begriff – wenn auch intern – von der behördlichen Stelle genutzt wurde, die über Zulassung und Organisation des 1. Staatsexamens entscheidet. Das lässt jedes Maß an Professionalität, Selbstkritik und Empathie vermissen. Leider wird dieser Eindruck dadurch verstärkt, dass erst der mediale Druck dazu führte, dass man sich entschied, den Begriff intern nicht mehr verwenden zu wollen.

Ein System mit Reformbedarf

Laut Prüfungsstatistik für 2022 sind in NRW 25,94 prozent der Prüflinge bereits wegen ihrer schriftlichen Ergebnisse durch die staatliche Pflichtfachprüfung gefallen, wobei die Quote mit 29,85 prozent für das JPA Hamm sogar noch etwas höher ist. Diese hohen Zahlen, die manch einer stolz als Auszeichnung eines besonders „harten“ Studiengangs versteht, sind auch Ausdruck eines Systems, das trotz massiven Reformbedarfs nicht mit der Zeit geht. Denn obgleich die betroffenen Examenskandidat:innen sich unvermeidlich die Frage stellen, warum es für das Bestehen nicht gereicht hat, sollten vielleicht auch die für die Ausbildung zuständigen Stellen dies tun.

Während sich viele angehende und bereits examinierte Jurist:innen stark machen für Veränderungen, ist das Ergebnis der Justizministerkonferenz aus Juni 2024, dass es “keinen grundlegenden Reformbedarf” gibt. Was es allerdings gibt, sind die Streichung von Ruhetagen im schriftlichen Teil des Examens, eine Verkürzung des Referendariats in NRW und damit auch der Unterhaltsbeihilfe, eine neue Prüfungsordnung, die zu komplexen Übergangsfristen führt, eine zweite Strafrechtsklausur in Schleswig-Holstein und eine Anreicherung des Prüfungsstoffes. Es kommt einem das Meme, das einen Hund von Flammen umgeben zeigt, der noch ein fröhliches „This is fine“ auf den Lippen hat, in den Sinn. Dabei möchte man rufen: Nothing is fine. Nothing at all.

This is fine

Der Mangel an Juristin:innen wird in Zukunft immer größer und man fragt sich, wie diese Lücke gefüllt werden soll, wenn regelmäßig bis zu einem Drittel der Kandidatin:innen durch die staatliche Abschlussprüfung fällt und der Eindruck entsteht, keiner nehme das zum Anlass, etwas zu ändern. Es sei an dieser Stelle festgehalten, dass niemand eine Durchfallquote gen Null Prozent verlangt. Aber wie realistisch es wirklich ist, dass am Ende fast jede:r Dritte, die ja zuvor erfolgreich ihre Zwischenprüfung an der Universität geschafft und sich auf das Examen vorbereitet haben, angeblich nicht das notwendige Wissen und Können hat, um Fälle ausreichend zu lösen und damit zu bestehen?

Ein System, das Stress macht

Gerade von gestandenen Juristin:innen fallen immer wieder Äußerungen wie „Jura ist halt nicht für jeden“ und „Dann muss man mal ein bisschen mehr lernen“. Dabei wird übersehen, dass der Prüfungsstoff in den letzten Jahrzehnten nicht nur massiv angewachsen ist, sondern sich auch die Struktur der Prüfung verändert hat. Natürlich mag die Rechtswissenschaft mit ihrer eigenen Sprache und der Subsumtionstechnik samt Gutachtenstil nicht für jede:n geeignet sein, aber wer sich zum Examen anmeldet, hat bereits Prüfungen erfolgreich abgelegt wie z.B. die universitäre Zwischenprüfung samt mehrerer Hausarbeiten.

Nach diesem Teil des Studiums steht den meisten noch mindestens zwölf Monate Repetitorium bevor. Bestenfalls gelingt in dieser Zeit der komplette Fokus auf das Studium, aber das dürfte bei den wenigsten so sein.

Laut der JurSTRESS- Studie von 2024 arbeiteten 38 bis 77 Prozent der Examenskandidatin:innen je nach Phase während ihrer Vorbereitung zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts. Es ist wenig überraschend, dass auch aufgrund des Jonglierens von Job, mehrstündigen Probeklausuren und Lernen diese Personen die Zeit vor der Prüfung als stressiger wahrnahmen und sehr wahrscheinlich auch deshalb ihre Noten im Examen schlechter ausfielen.

Neben der finanziellen Situation gibt es aber auch noch viele private Unabwägbarkeiten zu beachten, wie eigene Kinder und ihre Betreuung, die Pflege von Angehörigen oder auch eigene physische oder psychische Herausforderungen, die verhindern, dass man ungehindert für ein Jahr 100 Prozent geben kann.

Die mental herausfordernde Zeit mag man damit abtun, dass es immerhin zwei Versuche zum Bestehen gibt und der Stress sich dann mit der Prüfung erledigt. Die oben genannte Studie belegte aber, dass bei Examenskandidat:innen in der Vorbereitungszeit mehrmals bedenkliche Ängstlichkeitswerte festgestellt wurden, die bei weiterer Diagnostik auch Krankheitswert haben könnten. Zudem stiegen darüber hinaus die Werte für Depressivität, Schlafstörungen und körperliche Beschwerden. Auch wenn diese sich nach dem Examen wieder auf Normalniveau einpendeln können, ist durchaus fragwürdig, dass die lange Vorbereitungszeit zu chronischem Stress und grundsätzlich auch pathologischen Zuständen führen kann- und zwar nicht nur in Einzelfällen. Der Körper ist ein Jahr im dauerhaften Ausnahmezustand, auch weil ein stressreduzierendes Sicherheitsnetz wie z.B. eine mehrfache Prüfungswiederholung (ggfs. gegen Gebühr) oder ein Bachelor of Laws fehlt.

Und wer schreibt überhaupt vor, dass es nur zwei Versuche geben darf? Schließlich gibt es in den meisten Ländern (z.B. den USA) unendlich viele Versuche, um das Bar Exam zu bestehen. Ist jemand, der im vierten Versuch das notwendige Wissen aufzeigt, wirklich ein schlechterer Jurist als eine Kandidatin, die aufs erste Mal besteht?

Ein System, das isoliert

Der verwendete Begriff „Blockversager“ lässt wenig Interpretationsspielraum zu. So sind gängige Synonyme „Nichtskönner“, „Totalausfall“ und „Verlierer“. Der interne, herablassende Sprech des JPA Hamm lässt völlig außer Acht, was bereits hinter den Student:innen liegt. Neben einem straffen Zeitplan, ständigem Stress, Druck und einer unübersichtlichen Stoffmenge gehen mit der Examenszeit auch häufig weitere Einschränkungen einher. Hobbys müssen warten. Freund:innen und Familie auch. Spontaneität hat kaum Platz. Wir reden hier übrigens über einen Zeitraum von zwölf Monaten und nicht ein paar Wochen.

Der Schritt, sich dann zur Prüfung zu melden, ist eindeutig größer und aufregender als der, sich zu einer Klausur an der Universität anzumelden, auch weil er über die berufliche Zukunft entscheidet. Das heißt in dieser alles entscheidenden Situation meldet sich niemand leichthin und unvorbereitet zum Examen.

Und dann, nachdem man seine Klausuren geschrieben hat, zwei Monate Schrödingers § 20 Abs. 1 Nr. 1 JAG NW-Kandidat war, kommt der nächste entscheidende Teil: Die Liste mit den Kandidat:innen, deren Punkte nicht für die mündliche Prüfung reichen. Die eigene Kennziffer kann man mittlerweile auswendig, man öffnet die Liste, scannt aufgeregt die Nummern und atmet entweder auf- oder tief durch.

Wenn man die Prüfung nochmal wiederholen kann, beginnt der Kreis von vorne: Vorbereitung mit allem, was dazugehört, ggfs. seinen Nebenjob und die private Situation organisieren, Fehleranalyse betreiben, Probeklausuren, das Abwägen, wann man wieder antreten will, die erneute Anmeldung – und die zudem nicht zu vernachlässigende Möglichkeit, dass man erneut auf eben jener Liste landet und sich als Doppel- Blockversager qualifiziert.

Von 1.233 geprüften Personen im Bezirk des JPA Hamm im Jahr 2022 haben 53 auch als Wiederholer die Prüfung nicht bestanden und das bedeutet leider: nach all den Jahren hat man nur sein Abitur vorzuweisen. Nirgendwo ist sichtbar, wie viel Zeit man investiert hat, das aufgebaute Wissen, wie viel Disziplin man aufgebracht hat, wie viel psychische Stärke man beweisen musste, nochmal anzutreten während die Kommiliton:innen weiterziehen, wie viel Energie in das Projekt Wiederholungsversuch geflossen ist. Alles Eigenschaften, die übrigens beruflich von Nutzen sind, zeigen sie doch eine beachtliche Resilienz.

Man kann sich kaum vorstellen, was es mit den Student:innen, die auf dieser April-Liste standen, gemacht haben muss, so empathielos als „Blockversager“ betitelt zu werden. In einem Moment, in dem man an sich zweifelt und sich vielleicht auch fühlt, als habe man versagt, das auch noch von höchster Stelle bescheinigt zu bekommen.

368 “Blockversager”

Bei zumindest behördeninterner Nutzung hat das JPA Hamm laut Statistik 368 Menschen im Jahr 2022 ausgestellt „Blockversager“ zu sein. 368 Personen, die viel Zeit, Geld und Arbeit in ihre Ausbildung gesteckt haben. 368 Personen, für die es um alles oder nichts ging.

Es bleibt zudem die Frage im Raum, ob nur das JPA Hamm diesen Ausdruck nutzte und einfach Pech hatte, dabei erwischt zu werden, oder ob andere Behörden einen ähnlichen internen Jargon pflegen. In ihrem Statement gab die Pressestelle des OLG Hamm bekannt, den Begriff intern nicht mehr nutzen zu wollen. Vielleicht wäre eine Veröffentlichung dieser Entscheidung auf der Homepage des Justizprüfungsamtes Hamm anstatt nur auf LinkedIn auch ein gutes Signal Richtung Examenskandidat:innen gewesen.

Vielleicht mag der Gedanke den betroffenen Student:innen Trost spenden, dass sie nicht alleine mit ihrer Situation sind, denn hinter den anderen Kennziffern auf der Liste stehen Personen, die mit ihnen in einem Raum saßen und die gleichen Sachverhalte versucht haben zu lösen. Niemand redet gerne über sein Scheitern. Dabei wäre es wichtig. Denn, wenn sich das System schon nicht ändert, kann sich zumindest der Umgang damit ändern. So eine Veränderung würde auch dazu beitragen, sich weniger alleine zu fühlen.


Hinweis: Bei Kathrin Bauer handelt es sich um ein Pseudonym. Die Autorin fürchtet die Reaktion des Prüfungsamtes und möchte deswegen unerkannt bleiben.

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Kathrin Bauer
Kathrin Bauer
Bei Kathrin Bauer handelt es sich um ein Pseudonym. Die Autorin fürchtet die Reaktion des Prüfungsamtes und möchte deswegen unerkannt bleiben.

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