Neulich erreichte mich ein Brief vom DMK, dem Deutschen Mücken Kreuz. Man habe mir eigentlich einen Orden für Vielspender verleihen wollen (bis zu 20 Stiche am Tag!). Dabei habe man aber leider den blutigen Leichnam der für mich zuständigen Mücke gefunden. Eine so schwerwiegende Straftat wie Mord würde mich als Ordensträgerin ausschließen. Ich gestehe: die Mücke habe ich an der Wand erschlagen. Aber für meine unfreiwilligen Spenden an die Mückengemeinschaft sollte ich diesen Orden erhalten! Das Erschlagen war nämlich kein Mord und erst recht nicht strafbar.
Murder, they wrote
Ja, ich bin mitten in der Nacht aufgestanden und habe die Mücke an der Wand erschlagen. Ich habe sie vorsätzlich, sogar absichtlich, getötet. Für einen Mord braucht es aber ein zusätzliches Mordmerkmal, das in § 211 StGB gelistet ist.
In Frage kommt hier zum Beispiel das Mordmerkmal der Heimtücke. Heimtücke liegt vor, wenn die auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung ausgenutzt wird. Die Mücke müsste also in der unmittelbaren Tatsituation nicht mit einem Angriff auf ihr Leben gerechnet haben. Als ich sie endlich erwischte, saß die Mücke aber mit vollgeschlagenem Bauch an der Wand und ruhte sich von einer Nacht voller Blutspenden aus. Dass ich sie jetzt an der Wand zerdrücken würde, hatte sie definitiv nicht auf dem Schirm. Vielleicht hat sie mich auf sich zukommen sehen – angeschlichen habe ich mich nicht. Für Heimtücke ist aber kein heimliches Vorgehen erforderlich (so auch der BGH). Es reicht aus, wenn die Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass dem Opfer keine reale Möglichkeit mehr bleibt, dem Angriff zu begegnen. Grundsätzlich spricht also einiges für das Mordmerkmal der Heimtücke.
Allerdings hat der BGH bezüglich eines Erpressers entschieden, dass er grundsätzlich mit der Gegenwehr des Opfers rechnen muss, weil er der eigentliche permanente und dauerhafte Angreifer ist. In meinem Fall ist es die Mücke, die mich permanent und dauerhaft mit ihren Stichen angreift. Dass ich das nicht ohne Gegenwehr Nacht für Nacht über mich ergehen lasse, sollte ihr wohl klar gewesen sein. Mangels Arglosigkeit der Mücke kann man mir keine Heimtücke vorwerfen.
Vielleicht liegt aber ein sonstiger niedriger Beweggrund vor? Sonstige niedrige Beweggründe sind solche Tatantriebe, die sittlich auf tiefster Stufe stehen und nach allgemein anerkannten Wertmaßstäben besonders verwerflich und geradezu verachtenswert sind. Ein anerkanntes Fallbeispiel ist der Rassenhass. Allerdings habe ich die Spendensammlerin nicht getötet, weil sie eben eine Mücke war, sondern weil sie diejenige war, die mich die ganze Nacht geplagt hat. Bei der Tat ging es mir um die konkrete Mücke.
Mordmerkmale sind also nicht erfüllt und damit auch nicht der Tatbestand des § 211 StGB. Weil ich aber vorsätzlich getötet habe, liegt zumindest ein Totschlag i.S.d. § 212 StGB vor.
Alles gerecht(fertigt)
Die Tötung könnte gem. § 32 StGB wegen Notwehr gerechtfertigt sein. Immerhin hat die Mücke mich ja die ganze Nacht gestochen und mir gegen meinen Willen Blut abgezapft. Ein rechtswidriger Angriff auf meine rechtlich geschützten Individualinteressen liegt also vor. Allerdings muss der Angriff auf mich auch gegenwärtig sein. Ich habe die Mücke nicht erwischt, als sie mich gerade stach.
Aber: die vielen Stiche in der Nacht haben die Intensivierung meiner Verletzungen befürchten lassen. Die Mücke hat dadurch eine Dauergefahr begründet. Diese fällt zwar nicht unter § 32 StGB, begründet aber eine Notstandslage i.S.d. § 34 StGB. Meine Notstandshandlung, der Schlag, war auch erforderlich. Tödliche Gewalt muss man vorher zwar androhen. Das habe ich aber durch mehrmaliges Wegwedeln getan. Und die Tötung der kleinen Mücke steht für mich in keinem Verhältnis zu den zahlreichen fiesen, juckenden Mückenstichen, die mich die ganze Nacht wachhalten.
Das Töten der Mücke war demnach gerechtfertigt und nicht strafbar.
Mücken sind doch keine Menschen!
Doch halt, ein Tatbestandsmerkmal habe ich natürlich unterschlagen. In § 211 und § 212 StGB heißt es, „wer einen Menschen tötet…“. Und Mücken sind keine Menschen. Mücken sind Tiere, die gem. § 90a BGB wie Sachen behandelt werden. Der Tatbestand der Sachbeschädigung gem. § 303 StGB ist auch auf die Tötung (Zerstörung) von Tieren anwendbar. Die zerstörte Sache muss aber fremd sein, also im Eigentum eines anderen stehen. Während Haustiere problemlos einem Eigentümer gehören, handelt es sich bei Mücken um Wildtiere. Diese sind herrenlos (§ 958 I BGB), haben also weder Besitzer noch Eigentümer. Sie zu erschlagen ist keine Sachbeschädigung.
Aber Achtung: Wer jetzt auf die Idee kommt, keine Mücke, sondern eine
Wespe zu erschlagen, könnte dumm aus der Wäsche gucken. Da Wespen unter
Naturschutz stehen, drohen hier teils horrende Bußgelder. In
Nordrhein-Westfalen und Thüringen beispielsweise theoretisch bis zu
50.000 Euro.
Nach alledem ist klar, dass ich keine Straftat begangen habe, als ich die Mücke erschlug. Den Orden des Deutschen Mücken Kreuzes für Vielspender werde ich also entgegennehmen. Zunächst baue ich mir aber erstmal ein Mückennetz vor das Fenster.