“Half sie dem Solingen-Terroristen, seiner Abschiebung zu entgehen?”, fragt die BILD sechs Tage nach dem Attentat in Solingen und zeigt im Artikel das verpixelte Foto einer Anwältin. Weitere Medien zogen mit ähnlicher Berichterstattung nach. Seitdem wird die Juristin im Internet bedroht und dafür kritisiert, dass sie ihre Arbeit als Rechtsbeiständin getan hat.
Nach dem Anschlag in Solingen lässt Hass und Hetze nicht lange auf sich warten. Dass sich diese gegen alle Flüchtlinge richtet, ist in Deutschland leider auch im 21. Jahrhundert keine besondere Überraschung. Zu den Angegriffenen gehört diesmal aber auch eine auf Asylrecht spezialisierte Anwältin.
Hass und Hetze im Netz
So titelt die WELT beispielsweise: „Die juristischen Helfer von Issa Al Hassan“. Der SPIEGEL schreibt: „Wie der mutmaßliche Attentäter von Solingen seine Abschiebung abwendete“. Die Kernessenz der Artikel: Die Anwältin habe dem Solingen-Attentäter dabei geholfen, seine Abschiebung zu „umgehen“. Sie sei damit Mitschuld am Messerangriff auf dem „Festival der Vielfalt“ am 23. August 2024. Die BILD behauptet, die Anwältin sei “auf Abschiebe-Verhinderung spezialisiert”. Die WELT versucht, mit provokanten Fragen, Hetze zu betreiben: “Weil zum Untertauchen geraten wurde? Welche Ratschläge gab die Juristin ihren Klienten?”
Das alles ist höchst ironisch – aber überhaupt nicht lustig. Genauso wie Steuerberater:innen ihrer Mandantschaft dabei helfen, Steuern zu sparen, unterstützen Asyl-Anwält:innen ihre Mandant:innen dabei, einen Aufenthaltsstatus zu erlangen. In einem nächsten Schritt werden dann vermutlich Strafverteidiger:innen dafür kritisiert, dass sie sich für die rechtsstaatlich garantierten Angeklagtenrechte ihrer Mandantschaft (ja, auch Mörder) einsetzen.
Verurteilung “aufs Schärfste”
Anwält:innen im Netz zeigen sich erschüttert über die Berichterstattung. Der Jurist Dr. Matthias Maslaton schreibt auf LinkedIn beispielsweise: „Wie wenig Rechtsstaat muss man verstehen? Oder verstehen wollen? Um einen Rechtsanwalt für seine Arbeit zu kritisieren!!!!“. Der Rechtsanwalt Dr. Michael Selk befürchtet: „Es gibt keine Grenzen mehr. Die nächste Hetze beginnt dann gegen Strafverteidiger/innen, die Angeklagten zum Freispruch ‘verhelfen’, vor allem bei Tötungs- oder Sexualdelikten.“ Die Fachanwältin für Familienrecht Annegret Petersen ergänzt: „Sie half nicht dem ‘Terroristen’, sondern machte schlicht ihren Job. In einem Rechtsstaat hat jeder das Recht, dich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben rechtlich beraten und vertreten lassen. Dies ist die originäre Aufgabe der Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege.“
Inzwischen hat auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein Statement auf ihrer Website veröffentlicht, in dem sie die Berichterstattung aufs Schärfste verurteilt: „Es ist das verbriefte Recht jedes Asylbewerbers, sich in seiner Rechtsangelegenheit anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Eben dies ist Kern unseres Rechtsstaates“, heißt es darin. Dr. Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer ergänzt, dass er es für hochgradig unmoralisch halte, die Kollegin dafür zu kritisieren, dass sie ihre berufliche Pflicht erfülle.
Hintergrund: Am 23. August 2024 kam es zu einem Messeranschlag auf dem Stadtfest „Festival der Vielfalt“ zum 650-Jahre-Jubiläum der Stadt Solingen. Drei Personen starben. Acht weitere Menschen wurden schwer verletzt. Tatverdächtig ist der 26-jährigen Syrer Issa al Hasan. Inzwischen hat die Terrororganisation Islamischer Staat den Anschlag für sich reklamiert. Die Ermittlungen dauern an.