Die universitäre Schwerpunktbereichsprüfung ist Teil der ersten juristischen Prüfung und geht mit 30 Prozent in deren Gesamtnote ein (§ 8 Abs. 2 S. 2 JAG Bln). Dieser erhebliche Einfluss auf die Examensnote mag manchen dazu verleiten, den Schwerpunkt notenbezogen zu wählen. Er bietet aber überdies die Möglichkeit, sich ein Jahr lang mit einem selbstgewählten Rechtsgebiet zu beschäftigen und auf diesem Wege bereits für eine gewisse Spezialisierung zu sorgen. Ich habe an der Humboldt-Universität zu Berlin den Schwerpunkt 7 „Deutsche und Internationale Strafrechtspflege“ absolviert.
Der Schwerpunkt an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU)
Der Deutsche Juristen-Fakultätentag (DJFT) veröffentlichte bis 2021 regelmäßig die Durchschnittsnoten der universitären Schwerpunktbereichsprüfungen – geordnet nach Fakultäten. Die Statistik für das Jahr 2021 zeigt, dass die HU unter den erfassten Universitäten mit durchschnittlich 11,29 Punkten im Schwerpunkt auf Platz zwei liegt – hinter der Fernuniversität Hagen (12,23 Punkte) und vor der Bucerius Law School in Hamburg (11,25 Punkte).
Die aktuellsten derzeit auffindbaren Statistiken zu den Ergebnissen der einzelnen Schwerpunktbereiche stammen aus dem Jahr 2017/2028. Mit Abstand am besten schnitt der Schwerpunkt 8 „Ausländisches Recht, Angebote ausländischer Partneruniversitäten“ (12,96 Punkte) ab: In Rom wurden durchschnittlich 15,75 Punkte, in Paris je nach Universität zwischen 13,52 und 13,93 Punkten erzielt. Den zweiten Platz belegt bereits der Strafrechtsschwerpunkt (11,36 Punkte), gefolgt vom Schwerpunkt 2 „Rechtsgestaltung und Rechtspolitik“ (11,31 Punkte). Den niedrigsten Durchschnitt erzielte der (Unter-)Schwerpunkt 4b (Markt- und Vertragsrecht) mit immerhin noch 9,7 Punkten.
Derzeit bietet die HU Berlin acht Schwerpunktbereiche an:
- Schwerpunkt 1: Zeitgeschichte und Theorie des Rechts
- Schwerpunkt 2: Rechtssetzung und Rechtspolitik
- Schwerpunkt 3: Vertragsrecht: Theorie, Praxis und grenzüberschreitende Dimensionen
- Schwerpunkt 4: Europäisierung und Internationalisierung des Privat- und Wirtschaftsrechts
- Unterschwerpunkt 4a: Immaterialgüterrecht
- Unterschwerpunkt 4b: Recht und digitale Transformation
- Unterschwerpunkt 4c: Unternehmens- und Gesellschaftsrecht
- Schwerpunkt 5: Staat und Verwaltung im Wandel
- Schwerpunkt 6: Völkerrecht und Europarecht
- Schwerpunkt 7: Deutsche und Internationale Strafrechtspflege
- Schwerpunkt 8: Ausländisches Recht – Angebote ausländischer Partneruniversitäten
- Dublin
- Genf
- London
- Paris
- European Law School
Schwerpunktwahl nach Durchschnittsnote?
Wer einen Schwerpunktbereich notenorientiert wählt, mag damit im Einzelfall erfolgreich sein. Im Regelfall aber irrt derjenige. Die allgemeine Lebenserfahrung lehrt, dass man besser in denjenigen Fächern ist, die auch von persönlichem Interesse sind. Ein (subjektiv) interessantes Rechtsgebiet wird sich regelmäßig leichter verstehen lassen als ein als sehr trocken bewertetes. Die Durchschnittsnoten sind daher stets unter der einschränkenden Bedingung zu betrachten, dass der Schwerpunkt hauptsächlich von am Stoff sehr interessierten Studenten belegt wird. Nur weil die durchschnittlichen Ergebnisse eines Schwerpunkts besonders gut sind, heißt das nicht, dass sie im Einzelfall auch dieses Niveau erreichen oder dass dieser Schwerpunkt die „richtige“ Wahl ist. Es empfiehlt sich daher, den Schwerpunkt an den persönlichen Interessen orientiert auszuwählen. Dies hat überdies den Vorteil, dass bereits eine gewisse Spezialisierung für das spätere Berufsleben eintritt.
Meine Wahl für das Strafrecht
Etwa jeder fünfte Jurist ist mit Jura groß geworden, hatte also mindestens ein Elternteil, welches selbst Jurist war. Bei mir war es das glatte Gegenteil – soweit ich meinen Stammbaum überblicken kann, findet sich kein einziger Jurist. Wie ich dennoch zu den Rechtswissenschaften gekommen bin, weiß ich bis heute nicht; nur, dass dieser Berufswunsch spätestens seit meinem erlften Lebensjahr bestand. Mein erster vertiefter Zugang zu den Rechtswissenschaften war das Urheberrecht, was den Schwerpunkt 4a nahegelegt hätte.
Spätestens seit dem ersten Semester aber entwickelte sich bei mir ein starkes Interesse für das Strafrecht. Prof. Dr. Luís Greco unterrichtete im Wintersemester 2020/2021 StGB AT an unserer Fakultät und ging, dem Forschungsthema seiner Dissertation entsprechend, vertieft auf den Zweck von Strafe ein. Warum strafen wir? Was ist überhaupt Strafe? Wie ist Strafe dem Beschuldigten und der Gesellschaft gegenüber legitimierbar? Viele Kommilitonen empfanden dies als zu wenig prüfungsrelevant und lernten deshalb mit Lehrbüchern. Mich aber haben diese Ausführungen endgültig für das Strafrecht begeistert.
In den ersten Semesterferien absolvierte ich daher mein Pflichtpraktikum in einer Strafverteidigerkanzlei, welche sich auf das Sexualstrafrecht – ein von „Aussage-gegen-Aussage“-Delikten geradezu bestimmtes Rechtsgebiet – spezialisiert hatte. Strafverteidigung ist ein Berufsfeld, in dem man sich oft rechtsfertigen muss – insbesondere im Sexualstrafrecht und gerade dann, wenn die Vorwürfe auch die Jüngsten unserer Gesellschaft betreffen.
„Wieso verteidigst du Straftäter?“
„Verteidigst du auch Menschen, von denen du weißt, dass sie schuldig sind?“
„Denkst du überhaupt an die Opfer?“
Mit solchen und vielen anderen Fragen muss man rechnen, wenn man auf dem Gebiet der Strafverteidigung tätig ist. Die Antwort ist zugleich simpel und für viele dennoch kaum verständlich:
Zunächst zwingt uns die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK), jeden Beschuldigten bis zum rechtskräftigen Urteil nicht als schuldig, sondern allenfalls als verdächtig zu behandeln. Die Aufgabe des Verteidigers ist es auch nicht, den Mandanten „rauszuboxen“, vielmehr ist ein Rechtsanwalt – auch in seiner Funktion als Strafverteidiger – stets Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Verteidigung ist somit kein bloßes Tätigwerden im Interesse des Mandanten, sondern immer zugleich auch eine Tätigkeit im Interesse der Rechtspflege und somit der Gesellschaft.
Niemandem ist geholfen, wenn wir elementarste Grundsätze unserer Rechtsordnung aufgrund eines bloßen Verdachts aushebeln – mag dieser auch eine noch so gewichtige Straftat betreffen. Recht funktioniert als solches nur, wenn es tatsächlich zur Anwendung kommt. Müssen im Zivilprozess noch die Parteien für die Rechtsdurchsetzung sorgen, tritt dem Beschuldigten im Strafprozess der Staat gegenüber. Aufgabe des Verteidiger ist die Kontrolle dieser staatlichen Machtausübung auf ihren rechtmäßigen Ablauf. Denn Recht, welches nicht konsequent angewendet wird, verliert mit der Zeit an Autorität. Selbst wenn schwerste Straftaten im Raum stehen oder (etwa im Vollstreckungsverfahren oder im Revisionsverfahren nach Eintritt der Teilrechtskraft des Schuldspruchs) sogar festgestellt sind, verliert der Beschuldigte hierdurch seine unveräußerlichen Rechte (vgl. Art. 1 Abs. 2 GG) nicht. Dass das Strafverfahren wie im Fernsehen abläuft, kann niemand ernstlich wollen. Dies sicherzustellen ist oberste Aufgabe des Verteidigers.
Gerade deshalb fasste ich zu dieser Zeit den Entschluss, später als Strafverteidiger tätig zu sein. Folgerichtig fiel meine Wahl am Ende des vierten Semesters somit auf den Schwerpunkt 7 „Deutsche und Internationale Strafrechtspflege“.
Der obligatorische Teil – Grundlagenwissen
Der Schwerpunkt beginnt, wenn man nicht die Möglichkeit eines „Quereinstiegs“ (vgl. § 5 Abs. 2 JAG Bln) nutzt, mit dem obligatorischen Teil, welcher Grundlagenwissen vermitteln soll. Dieser besteht aus folgenden Kursen:
- Strafrechtspraxis I (Strafverfahrensrecht und Strafverteidigung)
- Strafrechtspraxis II (Materielles Strafrecht)
- Internationales Strafrecht I (Internationale und europäische Bezüge des deutschen Strafrechts)
- Internationales Strafrecht II (Völkerstrafrecht)
Der Kurs „Strafrechtspraxis II“ hat eine hohe Examensrelevanz, da er das Wissen im materiellen Strafrecht vertieft, „Strafrechtspraxis I“ ist nur für die im Examen leider vollkommen unterbewertete StPO-Zusatzfrage relevant, war für mich aber wegen der hohen praktischen Bedeutung besonders interessant. Wichtigster Inhalt des Kurses „Internationales Strafrecht I“ ist das Strafanwendungsrecht – dieses wird im Grund- und Hauptstudium nur sehr rudimentär gelehrt und im Examen selten bis nie abgefragt. Es gehört dennoch zum Stoff der Staatsprüfung und muss vertieft beherrscht werden (§ 3 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 Nr. 2 a JAO Bln). Das Völkerstrafrecht ist vor allem für diejenigen interessant, die besonderen Wert auf historische Bezüge legen. Examensrelevant ist dieses Rechtsgebiet jedoch nicht. An den obligatorischen Teil schließt die Klausur an, welche – wie auch die Studienarbeit und die mündliche Prüfung – zu 1/3 in die Schwerpunktbereichsnote eingeht.
Der wahlobligatorische Teil – Spezialisierung
Das zweite Schwerpunktsemester besteht aus dem wahlobligatorischen Teil. Aus einer Vielzahl an verschiedensten Kursen, welche von kriminalpolitischen Implikationen (Kriminalpolitik in der BRD) über das Sexualstrafrecht, gesellschaftliche Bezüge (Gender and crime) und historische Fächer (Die strafrechtliche Judenverfolgung im Nationalsozialismus) bis hin zu strafprozessualen Kursen (Straf- und Strafprozessrecht aus revisionsgerichtlicher Sicht; Richterliche Beweiswürdigung) reichen, müssen hier vier gewählt werden.
Meine Wahl fiel hierbei auf folgende Kurse:
- Kriminalpolitik in der BRD (Prof. Dr. Luís Greco)
- Sexualstrafrecht (Prof. Dr. Tatjana Hörnle)
- Revisionsrecht (VRiBGH (a. D.) Prof. Dr. Günther M. Sander)
- Fehlerquellen im Strafprozess (Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor/Prof. Dr. Annika Dießner)
Der aufmerksame Leser wird bereits an dieser Stelle wissen, weshalb ich mich für Kriminalpolitik in der BRD sowie das Sexualstrafrecht entschied. Anlässlich (aber außerhalb) des letzteren Kurses entstand auch ein Aufsatz über die wenig erforschte Norm des § 184j StGB (NJOZ 2024, 609-611 – beck-online). Nicht weniger interessant war aber auch das Revisionsrecht, wo ich auch meine Studienarbeit zum Thema „Kann bzw. sollte ein rechtsfehlerhafter Schuldspruch für die Wirksamkeit einer Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch bedeutsam sein?“ schreiben durfte. Gerade weil es bis zum Ersten Staatsexamen kaum eine Rolle spielt, kann das strafprozessuale Revisionsrecht sehr spannende Rechtsfragen aufwerfen und bietet Anlass zu vertiefter wissenschaftlicher Recherche.
Anders als die drei vorbezeichneten Veranstaltungen fand der vierte Kurs nicht im Vorlesungsformat statt, sondern bescherte uns einen erfreulichen Aufenthalt auf Schwanenwerder. Jedem war ein Vortragsthema zugeteilt, über welches referiert werden musste – wer seine Studienarbeit in diesem Fach geschrieben hatte, sollte sie vorstellen. Auch wenn es viele geistige Kapazitäten erfordert, den gesamten Tag lang Strafprozessrecht zu hören, sorgte das Veranstaltungsform für ein „Klassenfahrtfeeling“.
Mögliche Fehlerquellen im Strafprozess zu (er)kennen, gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten eines jeden Juristen, der mit dem Strafrecht befasst ist, kommt aber in der juristischen Ausbildung wesentlich zu kurz. Neben bekannten Fehlurteilen wurden auch Grundzüge der Aussagepsychologie behandelt. Auch anlässlich (aber) außerhalb dieses Kurses entstand ein Aufsatz (NJOZ 2024, 737-739 – beck-online).
Der wahlobligatorische Teil endet mit der mündlichen Prüfung. Sind alle Leistungen des Grund- und Hauptstudiums einschließlich der notwendigen BZQ-Punkte und einiger Wochen Praktikum bereits erbracht und wurde die Studienarbeit, welche je nach Kurs vor oder nach dem wahlobligatorischen Teil angefertigt wird, bereits bewertet, verleiht die Fakultät auf Antrag den Bachelor of Laws (LL. B.).
Der Schwerpunkt als die „beste Zeit des Studiums“
Derzeit befinde ich mich in der Examensvorbereitung und kann guten Gewissens die häufig aufgestellte Behauptung bestätigen, der Schwerpunkt sei der beste Teil des Studiums. Vertiefte wissenschaftliche Arbeit und die Beschränkung des Stoffs auf das selbstgewählte Rechtsgebiet tragen bestimmend hierzu bei. Abschließend kann ich nur jedem empfehlen, den Schwerpunkt interessen- und nicht notengeleitet zu wählen. Für mich war der Strafrechtsschwerpunkt zweifelsohne die beste Wahl.