Rezension: Die verwundbare Demokratie (Steinbeis)

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Im Sommer erschien das neue Buch „Die verwundbare Demokratie“ von Maximilian Steinbeis im Hanser Verlag. Auf 300 Seiten verspricht der Gründer des Verfassungsblogs “Strategien gegen die populistische Übernahme” – insbesondere durch die Neue Rechte.

Rezensionen

“Die Institutionen der Verfassung können sich nicht selbst schützen – dafür ist die Gesellschaft verantwortlich”, so Maximilian Steinbeis. Den meisten Jurist:innen wird der 54-jährige Jurist als Gründer und Chefredakteur des 2009 gegründeten Verfassungsblogs bekannt sein. Er ist außerdem als Publizist tätig – unter anderem für die FAZ. Bereits 2017 veröffentlichte Steinbeis gemeinsam mit Per Leo und Daniel-Pascal Zorn das Sachbuch „Mit Rechten reden. Ein Leitfaden“. Steinbeis beschäftigt sich in seinem Schaffen intensiv mit dem Rechtspopulismus in Deutschland und Europa.

In seinem neusten Buch fragt er: Was ist zu tun, wenn unsere Demokratie tatsächlich so verwundbar ist? Wie können Bürger:innen sie stabil halten? Gibt es Strategien gegen eine populistische Übernahme? Seine größte Befürchtung: „In anderen Ländern kann man sehen, wohin der autoritär-populistische Weg führt, nämlich in ein Regime, das auf demokratischem Wege faktisch nicht mehr abwählbar ist.“

In fünf Kapiteln zum Ziel

Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel:

  • Verfassungsmissbrauch
  • Vor der Regierung
  • An der Regierung
  • Volksidentität
  • Etwas tun

Im ersten Kapitel beschreibt Steinbeis, wie Politiker:innen der AfD das Grundgesetz für ihre Ideologie missbrauchen. Als Beispiel muss der AfD-Landtagsabgeordnete und Rechtsanwalt Stephan Brandner und die Kampagne „gemeinsam für das Grundgesetz“ herhalten. Steinbeis geht außerdem auf die verfassungsrechtliche Situation in Polen und Ungarn ein. Wusstest Du, dass auch Viktor Orban ein Jurist ist?

Das Fazit, das Steinbeis im Rahmen des ersten Kapitels zieht, ist dabei ungemütlich. „Nichts spricht dafür, dass sich Deutschland wegen der besonderen Qualität seiner Verfassung und seiner Institutionen vor der autoritär-populistischen Strategie sicherer fühlen kann als jede andere Demokratie in Europa oder im Rest der Welt.“

Insgesamt ist das Buch keine sonderlich erfreuliche Lektüre. So lernen die Leser:innen im ersten Kapitel beispielsweis auch, was das „Kochender-Frosch-Syndrom“ ist. Darunter versteht man die Unfähigkeit, sich zu verändern oder rechtzeitig Veränderungen herbeizuführen. Bezogen auf den Frosch: Setzt man ihn in kaltes Wasser und erhöht die Wassertemperatur nur langsam, merkt der Frosch überhaupt nicht, dass er gekocht wird. Und stirbt. Steinbeis vergleicht dieses Syndrom mit der Taktik der autoritären Populist:innen. Sie verschieben den Diskurs in winzigen Schritten. Der öffentliche Raum und die Freiheiten der Bürger:innen werden immer weiter beschnitten. Wenn man sich dagegen wehren möchte, ist es oft schon zu spät. Denn die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Pressefreiheit usw. wurden schon längst abgeschafft. Das ist ganz schön harter Tobak.

Gedankenexperiment Thüringen

Im zweiten und dritten Kapitel wird es noch juristischer. Das Kapitel „vor der Regierung“ (das vor der Landtagswahl in Thüringen 2024 verfasst wurde) beginnt mit einem Gedankenexperiment und geht davon aus, dass in Thüringen eine autoritär-populistische Partei (a.k.a. die AfD) die meisten Stimmen erhalten hat. Steinbeis erläutert basierend auf dieser (inzwischen leider realen) Annahme, welche Auswirkungen die Wahl auf das Bundesland hat. Am Beispiel der konstituierenden Sitzung des Landtags, der Wahl des oder der Landtagspräsidenten:in, bezüglich der Tagesordnung und des Wissenschaftlichen Dienstes und im Hinblick auf Verfassungsänderungen und die Wahl der Richter:innen zum Thüringer Verfassungsgerichtshof.

Ein ähnlich düsteres Bild zeichnet das Buch auch im Kapitel „An der Regierung“. In diesem Szenario geht es darum, was passiert, wenn die staatliche Exekutivgewalt tatsächlich in die Hände von Rechtspopulist:innen gerät. So wie im Fall des AfD-Landrats Robert Sesselmann. Schulen, Feuerwehr, Kliniken, Nahverkehr, Wasserwerke und vieles mehr wären dann in autoritär-populistischer Hand.

Was tun?

Während auch Jurist:innen in den vorgestellten Kapiteln noch viel über Staatsrecht und Verfassung lernen können, ist aber mit Sicherheit das letzte Kapitel des Buches das interessanteste. Denn hier geht es endlich um die Frage „Was tun?“. Steinbeis mahnt dringend an, die Einfallstellen für autoritär-populistische Parteien zu minimieren. Und zwar jetzt – solange es die notwendigen Mehrheiten (z.B. für eine Grundgesetzänderung) noch gibt. Dazu gehöre insbesondere die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter:innen, aber auch die Position der Bundes- und Landeszentrale für politische Bildung und der (staatlichen) Medien.

„Mit den Mitteln des Strafrechts und der Gefahrenabwehr Personen und Organisationen daran zu hindern, die freiheitliche Demokratie abzuschaffen, ist gut und richtig. Gegen staatlichen Verfassungsschutz ist per se nichts zu sagen. Aber damit er nicht zum autoritären Monster respektive zahnlosen Tiger degeneriert, ist etwas anderes nötig. Ziviler Verfassungsschutz: Nicht Repression, nicht Prävention – sondern Antizipation. Menschen, die sich vorbereiten“, schließt Steinbeis.

Das Buch schafft es, komplizierte Zusammenhänge in einfachen Sätzen darzustellen. Die Gedankenexperimente helfen dabei, sich als Leser:in in die Problematik hineinzuversetzen. Allerdings bleibt das Buch für Nichtjurist:innen harter Tobak. Und alle, denen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung am Herzen liegt, dürfte „Die verwundbare Demokratie“ (wie auch der Titel schon andeutet) leicht depressiv zurücklassen. Da helfen auch die Handlungsanleitungen im letzten Kapitel nicht viel. Andererseits ist das natürlich genau der Sinn eines solchen Buches. Es soll aufrütteln und warnen. Und genau das ist Steinbeis hier auch gelungen.

Auf Amazon ist das Buch noch immer in den Top 10 Bestsellern in den Kategorien „Rechtsextremismus“ und „Faschismus“.

Umschlagtext:

Während Populisten überall auf der Welt die freiheitliche Rechtsordnung aushebeln, halten wir unsere Demokratie noch immer für unverwundbar. Die Feinde der demokratischen Vielfalt missbrauchen unter dem Vorwand, die wahren Interessen des Volkes zu vertreten, das Recht. Was droht Deutschland? Maximilian Steinbeis, Jurist und streitbarer Experte für alle Fragen zur Verfassung, zeigt am Beispiel Thüringen, wie Populisten den freiheitlichen Staat zerstören könnten, indem sie Gesetze und Institutionen missbrauchen: Schulen und Universitäten, Justiz und Polizei, Medien und Kunst. Es bleibt nur noch wenig Zeit, unsere Freiheit gegen diese Angriffe zu verteidigen. Maximilian Steinbeis schärft unser Bewusstsein für die Bedrohungen, denen unsere freie Gesellschaft ausgesetzt ist.

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