Die Leser und Leserinnen dieses juristischen Online-Magazins besitzen offensichtlich juristisch wie literarisch und filmisch eine beachtliche Vorbildung, sodass tatsächlich ein dritter Teil zu diesem wichtigen Thema naheliegt, der sich vorwiegend mit einschlägigen Filmen und Literaturverfilmungen befassen soll.
Diese Kurzbeschreibungen ersetzen freilich nicht deren Rezeption im Fernsehen bzw. (noch spannender) im Kino bzw. im Theater; im besten Fall regen sie dazu an – und sodann auch zur Lektüre der (großteils) zugrundeliegenden Bücher.
Homer – Ilias
Ein frühes Beispiel für Selbstjustiz finden wir tatsächlich bei Homer, in (mutmaßlich) seiner im 7. oder 8. Jahrhundert vor Christus entstandenen ‚Ilias‘, sehenswert 2004 verfilmt von Wolfgang Petersen mit Brad Pitt in der Hauptrolle des Achilles in “Troja”:
Im Trojanischen Krieg hat Hector Patroklos getötet. Achilles trauert um den getöteten Freund und schwört grausame Rache. In einem heftigen Zweikampf tötet er den Todfeind, aus objektiver Sicht einen tapferen und an diesem Krieg schuldlosen trojanischen ‚Helden‘, und schleift dessen Leiche gotteslästerlich in wilder Jagd rings um Trojas Mauern, ehe er sie halbwegs einsichtig dessen Vater aushändigte.
Leichen- und Grabschändung ist als Störung der Totenruhe heute ein Offizialdelikt, bei dem ein Strafantrag nicht erforderlich ist, und wird laut § 168 StGB mit bis zu drei Jahren Gefängnishaft bestraft. Unser fragwürdiger ‚Held‘ hätte diese Strafe freilich nicht mehr antreten müssen; denn er landete wenige Tage später selbst im Hades, tödlich verletzt an der sprichwörtlichen ‚Achillesferse‘.
Nibelungenlied
Von ihr, der Ferse, zu den fast kongenialen Versen des zu Beginn des 13. Jahrhunderts von unbekannter Hand entstandenen Nibelungenliedes. Sowohl Hagen von Tronje, der Siegfried tötete, um Brunhilds Ehre wiederherzustellen, als Jahre später dessen Witwe Krimhild begehen Selbstjustiz, die schließlich beide nach einer bestialischen Apokalypse ihr Leben kostet.
Zwar sind die Verfilmungen von 1966/67 (“Die Nibelungen”) technisch nicht perfekt, wirken manche Szenen sogar unfreiwillig komisch – und sind dennoch (mit Hammerwerfer Uwe Beyer als Siegfried, Karin Dor als Krimhild, Siegfried Wischnewski als Hagen) noch immer sehenswert.
Hier auf JURios haben wir bereits in der Vergangenheit gefragt: Richard Wagner auf juristisch: Wem gehört der „Ring des Nibelungen“ zivilrechtlich?
Neuere Filmgeschichte
Wenden wir uns nun der neueren Filmgeschichte zu.
„Leon der Profi“ (1994) ist ein zwar im Original englischsprachiger, jedoch französischer Thriller. Mathilda, ein zwölfjähriges Mädchen, das Massaker an ihrer Familie miterleben, eher der einsame Berufskiller sie beschützt und ihr den Umgang mit Waffen beibringt. Ihr Ziel ist die Rache am Mörder ihrer Familie …
„12 Uhr Mittag“ (1952) ist eine packende Westerntragödie mit glimpflichem Ausgang. Ausgerechnet an seinem Hochzeitstag muss sich ein Sheriff entscheiden: Soll er sich der Selbstjustiz eines Mörders und seiner Komplizen stellen oder auf die dringende Bitte seiner Frau die Stadt verlassen? Als um zwölf Uhr mittags drei Gangster per Zug die Stadt in Aufruhr, Angst und Schrecken versetzen, vereitelt der von allen außer seiner zurückgekehrten Frau im Stich Gelassene (unvergessen: Gary Cooper und Grace Kelly, beide allzu früh verstorben) auch mit deren Hilfe deren Rachefeldzug.
Vielleicht geht es Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, wie mir: dass die Filmhandlung vor Ihrem geistigen Auge abläuft, wenn Sie den berühmten, Oscar-preisgekrönten Titelsong ‚High Noon‘ hören: Do Not Forsake Me …
Der Western Rio Bravo mit John Wayne (1958) gilt als „Anti-High-Noon“; der britische Science-Fiction-Film Outland – Planet der Verdammten mit Sean Connery, „High Noon im Weltraum“, lehnt sich lose an die Ursprungshandlung an.
Dürrenmatt
Die 1975 entstandene Verfilmung des berühmten Kriminalromans „Der Richter und sein Henker“ (1950/51) des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt weicht stark von dessen Handlung ab. Regie führte Maximilian Schell, der auch gemeinsam mit Dürrenmatt das Drehbuch schrieb.
1946 war dem Schweizer Polizeikommissar Bärlach von seinem damaligen Freund Gastmann eine makabre Wette angeboten worden: Ein „perfekter Mord“ sei möglich, wenn kein Motiv ersichtlich, keine Spuren auffindbar seien; dann könne Bärlach den Mörder nicht überführen. Gastmann gewinnt – und wird Opfer einer makabren Selbstjustiz.
Auch Dürrenmatts Kriminalgroteske „Der Besuch der alten Dame“ wurde mehrmals verfilmt, teilweise mit (für Dürrenmatt typischem, wohl auch aus kommerziellen Gründen) unterschiedlichem Ausgang.
Der Besuch einer Milliardärin in Güllen (!) deckt einen zurückliegenden menschlichen und damals auch kriminalistischen Skandal auf, der freilich wegen Verjährung juristisch nicht mehr geahndet werden kann. Ein beliebter Güllener Bürger hatte sie einst geschwängert und rücksichtslos im Stich gelassen. Nun fordert sie ‚Gerechtigkeit‘, die vermeintliche ‚Hinrichtung‘ des nur noch moralisch Schuldigen und bietet der hochverschuldeten Kleinstadt eine Milliarde, mit der sie schlagartig saniert wäre.
Nach heuchlerischem Zögern und zunehmender sittlicher Verkommenheit willigen die ‚ehrenwerten‘ Bürger (im Drama, in drei der vier Verfilmungen) ein: „Der Stadtturner erwürgt ihn, der Arzt diagnostiziert Herzschlag [Herzinfarkt] und die Zeitungen … melden … [in naivem Zynismus]: ‚Tod aus Freude. Das Leben schreibt die schönsten [!] Geschichten.‘…“ (Salzer, Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur. Band 5, 1998, S. 212)
Zunächst liegt ein glatter Fall von Bestechung und Bestechlichkeit vor: Der einstige Betrüger ist vor seinem Tod von lauter Kriminellen umringt – von Selbstjustiz und deren Erfüllungshilfe! Sodann handelt es sich um Mord: habgierig, aus niederen Beweggründen. Eine Kriminalgroteske stellt freilich eine ‚verkehrte Welt‘ dar, die nicht der Strafprozessordnung folgt; in diesem Fall heiligt (nur scheinbar) der Zweck die Mittel. Solche Machenschaften anzuprangern ist der tiefere Sinn dieses Dramas.
Diese Verfilmungen sind sehenswert, wenn sie auch einen Theaterbesuch nicht voll ersetzen können:
- In der ersten, sehr erfolgreichen deutschsprachigen Verfilmung von 1959 spielte Elisabeth Flickenschildt die Hauptrolle. Die Einschaltquote lag bei 81 Prozent.
- 1982 erleben wir Maria Schell und Günter Lamprecht, 2008 Christiane Hörbiger und Michael Mendl.
- Bernhard Wickis Kinofilm „Der Besuch“ von 1963 mit Ingrid Bergman und Anthony Quinn hat ein dramaturgisch fragwürdiges Ende; kurz vor seiner Hinrichtung begnadigt die ‚alte Dame‘ ihren einstigen Liebhaber.
Selbstjustiz lohnt sich nicht
Auch der Spielfilm „Bronsteins Kinder“ von 1991 thematisiert Selbstjustiz. Hans, Sohn einer deutsch-jüdischen Familie, lebt in Ost-Berlin mit seinem Vater und entdeckt im Sommerhaus einen Gefangenen: einen KZ-Aufseher. Sein Vater, einst dort jüdischer Häftling, übt Selbstjustiz, die sein Sohn verhindert…
Jurek Becker, der 1937 geborene und 1997 ebenfalls allzu früh an Krebs verstorbene Autor des zugrundeliegenden gleichnamigen Romans, war wie seine Eltern im Warschauer Ghetto interniert – und plädiert doch gegen die Selbstjustiz!
„Gesetz der Rache“ ist ein US-amerikanischer Spielfilm von 2009: Zwei Schwerkriminelle töten Clyde Sheltons Frau und Tochter, der fassungslos mitansehen muss, wie einer der beiden Mörder straffrei bleibt. Die Rache ist vorprogrammiert…
Deutlich geworden ist in dieser sicher unvollständigen Aufzählung, dass sich Selbstjustiz nicht lohnt: Sie befriedigt allenfalls oberflächlich und vorübergehend. Auch gilt Friedrich Schillers berühmter Aphorismus aus seiner Wallenstein-Trilogie, dem gemäß der Fluch der bösen Tat fortzeugend immer Böses gebären muss.
Wann immer wir können, sollten wir versuchen, die Motive unserer Gegner zu verstehen – und ihnen zu verzeihen, uns ansonsten auf gültiges Recht und unsere Gesetze verlassen.