Jura ist MACHTkultur. Um das sichtbar zu machen, hat Jura jetzt Kultur gemacht: In Kooperation mit verschiedenen Refugee Law Clinics sowie der Bundesfachschaft Jura hat der Student Quint Haidar Aly Erfahrungsberichte aus der juristischen Ausbildung genommen und daraus eine Ausstellung konzipiert. So will Quint endlich sichtbar machen, wie die Zukunft unseres Rechtsstaats aussieht – und vor allem, wie schlecht es dieser Zukunft zur Zeit geht.
Wir haben mit Quint über seine vielen verschiedenen Projekte, sein Engagement für die Refugee Law Clinics und sein Kunstprojekt juraMACHTkultur gesprochen. Mit diesem tritt er auch für den Wettbewerb der Allianz Foundation an und erhofft sich für die Ausstellung ein Preisgeld von 1.500 Euro. Hier könnt Ihr für juraMACHTkultur abstimmen.
Hallo Quint, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für ein Gespräch mit uns nimmst. Du bist in vielen Bereichen engagiert. Möchtest Du Dich unseren Leser:innen ganz kurz vorstellen?
Quint: Nachdem ich 2017 in Hamburg mein Abitur gemacht habe, wurde es schnell unübersichtlich. Zusammengefasst bin ich irgendwie immer dort gelandet, wo Dinge angepackt wurden. Mal war das eine Vereinsgründung mit Freundinnen, die sich im Bereich sexuelle Aufklärung engagieren wollten. Ein anderes mal Beratung zu digitaler Lehre während der Covid-Pandemie und wieder ein anderes mal HR-Work bei einer Non-Profit-Organisation für Bildungsgerechtigkeit.
Im Ergebnis bin ich wohl der Prototyp dessen, was die Sozialwissenschaft “Bastelbiographie” nennen würde – in Abgrenzung zu bildungsbiographischen Standardentwürfen. So ist es auch zu der prima facie absurden Situation gekommen, dass ich weder Rechts- noch Erziehungswissenschaft zu Ende studiert habe und dennoch bereits mehrere geförderte Forschungsprojekte umsetzen konnte. Das Risiko einer Bastelbiographie muss man sich aber auch leisten können. Ohne die sozioökonomischen Privilegien, mit denen ich aufgewachsen bin, hätte ich wahrscheinlich deutlich weniger Zeit in mein Engagement und deutlich mehr in einen formellen Bildungsabschluss investiert.
Du bist seit über vier Jahren im Vorstand der Refugee Law Clinics Germany. Wieso engagierst Du dich gerade dort? Was macht die Refugee Law Clinics so besonders?
Quint: Engagement in den Refugee Law Clinics (kurz: RLCs) ist richtig undankbar. Kaum bis keine Anerkennung im Studium. Extrem hoher Aus- und Fortbildungsaufwand. Das Wissen, dass man nie genug beraten wird, weil die Bedarfs/Angebots-Lücke im Migrationsrecht so extrem hoch ist. Dazu hohe psychische Belastung und sehr viel Verantwortung. Und weil sich niemand für die Strukturkosten von RLCs zuständig fühlt, muss man das eigene Ehrenamt in der Regel noch mit studentischen Mitgliedsbeiträgen bezuschussen. RLC-Engagierte hätten also jeden Grund alles stehen und liegen zu lassen. Aber statt zu fordern und zu zaudern, machen die RLCs einfach unbeirrt weiter. Jeden Tag machen tausende RLC-Engagierte den Unterschied und zeigen den Entscheidungsträger:innen aus Migrationspolitik, Juristenausbildung und Co, wie echtes Leadership aussieht. Das hat mich schon 2017 beeindruckt, als ich Teil der RLC-Bewegung wurde und das beeindruckt mich auch heute noch.
Du betreust dort auch das Projekt zusammenWACHSEN. Was versteht man denn darunter?
Quint: Im deutschen Non Profit Sektor gibt es einen sogenannten “Digital Divide”. Zu Deutsch: Einige wenige und große Sozialunternehmen partizipieren an der Digitalisierung und hängen dabei zunehmend die unzähligen kleinen Initiativen ab, denen die strukturellen Ressourcen für digitale Innovation fehlen. Dieses Problem wurde in den Law Clinics frühzeitig erkannt, weshalb man sich 2018 zusammengetan hat, um mit “Law & Orga” eine shared Legal Tech-Infrastruktur zu entwickeln, alles Open Source versteht sich. Mit der Zeit ist diese Lösung immer größer geworden und hat die Aufmerksamkeit von Wohlfahrtsverbänden und anderen gemeinnützigen Beratungsstellen auf sich gezogen. Hier wird nicht selten noch mit Papierakten beraten. Das Projekt zusammenWACHSEN versucht nun die Bedarfe von ehrenamtlich und hauptamtlich getragenen Beratungsstrukturen zusammenzuführen, um “Law & Orga” mittelfristig zu einem solidarischen Digitalisierungscase zu machen: “Die Großen” zahlen für für eine gemeinsame Open Source Lösung und nehmen dabei “die Kleinen” mit, deren Ressourcen für individuelle Lösungen nicht ausreichen.
Das war aber noch lange nicht alles. Du bist ja auch noch Co-Founder der access to justice uG. Wofür setzt sich diese ein?
Quint: Rechtsstaatliche Teilhabe für marginalisierte Gruppen, also zum Beispiel Geflüchtete und Migrant:innen, aber eben auch andere marginalisierte Gruppen. Strukturell sind wir eine Fortsetzung und Ausgründung der Law Clinic-Bewegung, schon das Gründungsteam besteht ausschließlich aus RLC-Alumni:ae. Entsprechend bleibt die RLC-Arbeit auch ein großer Schwerpunkt für uns, beziehungsweise konkret die Frage, wie wir Law Clinics in Ihrer Arbeit befähigen und unterstützen können.
Gleichzeitig sind RLCs und Legal Aid nur ein Teil unserer Arbeit, denn unsere Vision von rechtsstaatlicher Teilhabe operationalisieren wir über ein systemisch angelegtes Wirkungsmodell, das gleich acht verschiedene Wirkungsfaktoren kennt. Dabei geht das Modell im Kern auf Learnings zurück, die wir als RLC-Bewegung gemacht haben und verbindet diese mit rechtssoziologischer Forschung aus aller Welt sowie sozialunternehmerischen Inputs aus dem Ashoka-Netzwerk, welches uns bei Gründung unterstützt hat. Auf diese Weise ist ein ganzheitliches Verständnis von rechtsstaatlicher Teilhabe entstanden, dass beispielsweise auch Aspekte wie “Know Your Rights” oder “Unmet Legal Needs” stärker berücksichtigt.
Ich denke, man merkt, dass Dir Dein das Engagement für Geflüchtete und andere marginalisierte Gruppen sehr wichtig ist. Du setzt Dich aber auch für die Reform des Jurastudiums ein und hast Deine Erfahrungen in einem Kunstprojekt verarbeitet. Was genau ist #juraMACHTkultur?
Quint: Und genau aus diesem Grund befassen wir uns auch intensiv mit der juristischen Ausbildung. Zugang zum Recht bedeutet in unserem Verständnis eben auch, dass marginalisierte Gruppen Zugang zu rechtsgestaltenden Berufen erhalten. Wer hingegen die vorhandene Empirie zur juristischen Ausbildung betrachtet, stellt ziemlich schnell fest, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Man kann sich kaum einen sozialexklusiveren Studiengang vorstellen als die Rechtswissenschaft, nur Kunstgeschichte kann in diesem Punkt mithalten. Nur hat Kunstgeschichte – bei aller Liebe – keine demokratietragende Funktion in unserer Gesellschaft, die Rechtswissenschaft schon.
Wir haben aber lernen müssen, dass der juristische Diskurs für genau solche empirischen Argumente nicht besonders zugänglich ist. Wenn wir Justizminister:innen zum Status Quo der empirischen Rechtsdidaktik gebriefed haben, ist das zwar immer auf wohlwollendes Interesse gestoßen – wirklich verfangen haben unsere Findings aber nicht. Deswegen haben wir gemeinsam mit der Bundesfachschaft den Versuch gewagt, die Geschichten und Einzelfälle hinter den empirischen Daten sichtbar zu machen. Ganz konkret haben wir hierfür die zahlreichen Umfragen der Fachschaften gesichtet, welche immer auch qualitative Erfahrungsberichte aus der juristischen Ausbildung erfassen.
Die hier enthaltenen Geschichten haben wir dann einem Team aus Künstler:innen und engagierten Studierenden gegeben, um den Stimmen hinter den Geschichten endlich mehr Gehör zu verschaffen. Und dieser Ansatz scheint bislang aufzugehen: Erst dieses Wochenende wurde ein erster Teil dieser Ausstellung der Bundesministerin Lisa Paus präsentiert und Anfang des Monats war die Ausstellung beim Ashoka-Summit in der Bucerius Law School zu Gast, die Zustände der juristischen Ausbildung haben dort ein internationales und hochrangiges Publikum regelrecht sprachlos gemacht.
Mit juraMACHTkultur trittst Du jetzt auch bei einem Wettbewerb der Allianz Foundation an. Was erhoffst Du Dir durch eine Teilnahme?
Quint: Zunächst natürlich das Preisgeld in Höhe von 1.500€, welches ich im Falle eines Sieges zu 100% an juraMACHTkultur spenden werde. Darüber hinaus verfolgen wir aber auch ein strategisches Ziel: Große Stiftungen wie die Allianz Foundation sind Gatekeeper für die politische und zivilgesellschaftliche Willensbildung, die Wege in Berlin sind kurz. Und genau diese Willensbildung dreht sich dieser Tage zwar ganz viel um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, verpasst es aber eine logische wie notwendige Verbindung zu ziehen: Die Zukunft des Rechtsstaats beginnt mit der juristischen Ausbildung von heute.
Genau dieses Signal wollen wir mit unserer Teilnahme setzen und über die juristische Bubble hinaus tragen. Erst wenn wir als Gesamtgesellschaft lernen, über Recht zu sprechen und zu diskutieren, werden wir auch rechtsstaatliche Herausforderungen wie im Bereich der juristischen Ausbildung lösen können. Wenn hingegen nur Jurist:innen über solche Themen sprechen, werden politische Entscheidungsträger:innen erst ins Handeln kommen, wenn es bereits zu spät ist: Denn gewählt werden diese Entscheidungstrager:innen von allen Bürger:innen, nicht nur von Jurist:innen.
Lieber Quint, vielen Dank für das freundliche Gespräch und viel Erfolg mit juraMACHTkultur. Hier könnt Ihr für juraMACHTkultur abstimmen.