Furkan Akgün hat seine Wahlstation während des Rechtsreferendariats im Sommer 2024 in einer türkischen Anwaltskanzlei in Istanbul verbracht. Im Interview mit JURios spricht er über seine Erfahrungen, gibt Tipps für Wahl und Organisation der Station im Ausland und erzählt Euch, ob er seinen Aufenthalt in Istanbul anderen Referendar:innen weiterempfehlen würde.
Lieber Furkan, wie kam es dazu, dass Du Dich für den Aufenthalt in Istanbul während Deiner Wahlstation entschieden hast?
Furkan: Während des Jurastudiums habe ich leider die Chance verpasst, einen Auslandsaufenthalt zu erleben, weil ich zu sehr auf meine Klausuren fokussiert war. Diese Lücke wollte ich jetzt schließen. Außerdem haben mir gefühlt alle Anwält:innen, Dozent:innen und ältere Referendar:innen dazu geraten, weil das später beim Bewerbungsgespräch hilfreich sein werde. Dazu kommt, dass ich meine Stationen im Ref sowohl in einer deutschen Kanzlei, als auch in einem deutschen Unternehmen absolviert habe und somit die inländische Arbeitswelt bereits kennengelernt habe. Abgesehen davon war ich noch nie in Istanbul und wollte, dass meine erste Erfahrung mit der Stadt etwas Besonderes wird.
Was war bei der Organisation zu beachten? Wie viele Monate im Voraus sollte man planen?
Furkan: Die Planung sollte schon mindestens ein Jahr vor der Reise beginnen, da man sich bei den Kanzleien frühzeitig bewerben muss. Den Flug und die Unterkunft würde ich vorsichtshalber auch frühzeitig buchen. Dadurch nimmt man sich auch die Möglichkeit, in letzter Sekunde abzusagen. Wer mehr über die Bewerbung erfahren möchte, kann auch den Erfahrungsbericht auf der IQB Website lesen, den ich in Kooperation mit karriereziel.jura erstellt habe. Dort gehe ich genauer auf das zweite Staatsexamen, den Bewerbungsprozess und auf die Reiseplanung ein.
Du sprichst die türkische Sprache. Ist das eine zwingende Voraussetzung für die Wahlstation in der Türkei oder gibt es auch Optionen, wenn man „nur“ Deutsch und Englisch spricht?
Furkan: Grundsätzlich ist es auch möglich, die Wahlstation ohne Türkischkenntnisse zu bestreiten. Es ist allerdings nicht empfehlenswert, da man dadurch nicht viel von der Arbeit und den zwischenmenschlichen Beziehungen mitbekommt. Es wäre tatsächlich sehr schade, wenn man vor Ort ist und aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse keine Arbeit bekommt. Das beeinflusst die Erfahrung immens und führt auch dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort mehr Arbeit haben. Im Zweifel sollte man einfach höflich bei der Kanzlei nachfragen, ob das möglich ist – keine Angst, die sind sehr hilfsbereit bei solchen Themen.
Erzähl uns ein bisschen was über Deinen Arbeitsalltag in der Kanzlei? Worauf waren die Anwält:innen spezialisiert? Woran hast Du gearbeitet und durftest Du auch mit vor Gericht?
Furkan: Mein Arbeitsalltag war teilweise extrem spannend, aber zum Teil auch sehr ermüdend. An manchen Tagen war ich dauerhaft ausgelastet, wohingegen ich an anderen Tagen gar nichts zu tun hatte – man muss aber trotzdem in der Kanzlei bleiben, da theoretisch immer Arbeit anfallen könnte.
Die Anwälte und Anwältinnen waren auf Internationales Privatrecht, Unternehmensrecht und Handels- und Gesellschaftsrecht spezialisiert. Man hatte also mit namenhaften Unternehmen zu tun und es ging manchmal um absurde Summen. Da ich dem Gründungspartner zugearbeitet habe, hatte ich sehr interessante Einblicke in die Unternehmenswelt. Zum ersten Mal während meiner juristischen Ausbildung hatte ich diese „Suits vibes“, was auch ein kleines Feuer in mir entfacht hat. Ich durfte auch mit in die Verhandlungen gehen, jedoch waren wir wegen den Gerichtsferien im Sommer nicht oft dort.
Wie „ticken“ die Jurist:innen in Istanbul? Ist alles so stressig wie in Deutschland? Auf welche kulturellen Unterschiede muss man sich einstellen?
Furkan: Im Normalfall sind die Juristen und Juristinnen vor Ort wirklich entspannt. Es kann natürlich auch hektisch zugehen, vor allem wenn die Mandanten (also die Unternehmen) im Stress sind und möglichst viele Antworten in möglichst kurzer Zeit haben wollen. Man kann sich auf jeden Fall darauf einstellen, dass die Arbeitsbeziehungen viel familiärer sind, als in deutschen Kanzleien / Unternehmen. Man trinkt zusammen Schwarztee („çay”) und unterhält sich öfter über persönliche Sachen. Das ist etwas, das mir in der deutschen juristischen Arbeitskultur sehr gefehlt hat. Da die Kultur in Istanbul so vielfältig und bunt ist, geht es dort auch etwas “lockerer” zu, insbesondere die Garderobe, die Kommunikation und die alltäglichen Interaktionen mit den Vorgesetzten.
Was war deine Lieblingsaufgabe und welcher Teil Deiner Wahlstation hat Dir am besten gefallen?
Furkan: Der Chef und ich haben E-Mail-Antworten an die Anwält:innen der deutschen Unternehmen verfasst und uns darüber ausgetauscht, welchen Weg wir einschlagen sollen. Dieser Austausch hat mir am meisten Spaß gemacht, da der Partneranwalt meinen Fähigkeiten vertraut und mich immer eingeweiht hat. Man wird schnell eingebunden und fühlt sich dadurch sofort zugehörig. Das war nach meinen deutschen Stationen tatsächlich etwas Neues für mich.
Da ich eng mit dem Partner der Kanzlei zusammengearbeitet habe, konnte ich unfassbar viel über die Berufswelt und die Zusammenarbeit von deutschen und türkischen Unternehmen lernen. Durch meine offene und enthusiastische Art habe ich natürlich auch dauernd Fragen gestellt, welche er sehr höflich und freundlich beantwortet hat. In meinem gnadenlos ehrlichen Ratgeber auf Jurepeat bin ich auch auf alle anderen Aufgaben in der Kanzlei eingegangen und erkläre in gebotener Kürze, was mir daran gut gefallen hat, und was man besser machen könnte.
Was war der kurioseste Fall, der Dir in der Kanzlei begegnet ist?
Furkan: Kuriose Fälle gab es eher selten, da die Mandanten meistens große Unternehmen waren. Allerdings kam es in einigen Fällen zu absurd hohen Summe im achtstelligen Bereich. Hier musste man immer sehr sorgfältig arbeiten, um ja keinen Fehler zu begehen. Eins kann ich aber sagen: Aktionäre und vertretungsberechtigte Gesellschafterinnen großer Unternehmen sind wirklich kuriose Menschen.
Gab es auch etwas, das Du nicht so gut fandest? Heimweh? Problematische Rechtsfälle? Organisationchaos?
Furkan: Ich bin ein sehr geselliger Mensch und fand es am Anfang ein bisschen langweilig, alleine unterwegs zu sein. Allerdings gewöhnt man schnell daran und findet auch Gefallen am solo Reisen. Abgesehen davon freundet man sich unweigerlich mit den Kolleginnen und Kollegen in der Kanzlei an.
Eine Sache, die ich an der Stadt nicht so gut fand, war das Verhalten und die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger. In jedem Laden wird man unhöflich begrüßt und griesgrämig behandelt und wirklich niemand ist hilfsbereit. Zum Glück bin ich das alles aus Bayern schon gewohnt.
Welchen Ort in Istanbul muss man unbedingt besuchen? Und in welchem Restaurant sollte man Mal gegessen haben?
FUrkan: Istanbul ist gigantisch. EINEN einzigen Ort vorzuschlagen, ist unmöglich. Deshalb folgen jetzt meine drei Favoriten:
- Prinzeninsel (große Insel)
- Kadıköy (Moda)
- Bostancı (Bağdat Caddesi).
Das Restaurant “Katibim” bietet eine Vielzahl an bekannten Gerichten und eine wundervolle Aussicht auf das Meer. Da es nicht so weit weg ist, eignet es sich perfekt für ein Abendessen bei Sonnenuntergang. Gleich daneben ist ein verstecktes Restaurant namens “Nevmekan Sahil”, das sowohl ein Restaurant, als auch eine Bibliothek ist. Jurastudierende dürften sich dort wohl fühlen!
Was willst Du Referendar:innen, die sich für eine Station in der Türkei entscheiden unbedingt mitgeben? Was muss man zwingend beachten? Und unter welchen Umständen sollte man sich gegen eine Station im Ausland entscheiden?
Furkan: Raus aus der Comfort-Zone und einfach machen!!! Sucht euch davor am besten einen remote Job, damit ihr die freie Zeit dort auch sinnvoll nutzen könnt.
Bewerbt euch früh, bucht den Flug und erkundigt euch bitte sehr gut über die Wohnungssituation. Holt euch einen Experten an eure Seite. Ich bin zwar kein Profi, aber wenn ihr euch nicht entscheiden könnt, dann kann ich zur Not bei der Wohnungsauswahl helfen. Die Sicherheit der Wohnung variiert je nach Viertel in Istanbul.
Frauen, die alleine reisen wollen, sollten sich ggf. etwas intensiver mit der Wohnungssuche und der Unterkunft auseinandersetzen. Zwar würde ich nicht pauschal sagen, dass es für Frauen dort unsicher ist, aber als Mann muss man sich definitiv weniger Sorgen machen, wenn man alleine unterwegs ist. Die Referendarinnen, die ich in Istanbul kennengelernt habe, wohnten auch zu dritt und zu zweit und waren der Ansicht, dass es so viel besser sei. Meine Empfehlung: Lieber mit einer Freundin zusammen oder bei Bekannten / Verwandten wohnen.
Kannst Du Deine Kanzlei und allgemein die Wahlstation im Ausland weiterempfehlen?
Furkan: Ja! Ich habe in Istanbul mehrere Referendarinnen kennengelernt und wir haben alle in verschiedenen Kanzleien gearbeitet. Den Erzählungen zufolge waren alle Kanzleien ähnlich gut und zeigen nur minimale Unterschiede. Man kann sich also sorgenfrei bei einer beliebigen Kanzlei bewerben. Das Verzeichnis deutscher Anwälte in Istanbul vom Auswärtigen Amt ist hierfür eine sehr gute Anlaufstelle.
Ich hätte tatsächlich niemals gedacht, dass ich meine Wahlstation im Ausland absolvieren werde, weil ich meine Comfort Zone liebe, aber das war die beste Entscheidung in meiner gesamten Studien- und Referendariats-Zeit. Wer sich noch kein Bild davon machen kann, wie das alles abläuft, kann mein Instagram und TikTok Profil besuchen – ich habe fast jeden Tag einen Vlog über die Wahlstation in Istanbul erstellt und bin auf sämtliche Fragen meiner Community eingegangen. Folgt mir auch, wenn ihr euch für authentischen study und lifestyle content interessiert! J
Lieber Furkan, vielen Dank für Deine Zeit und die vielen Tipps!