Heißt Durchfallen im Staatsexamen wirklich „Ich kann kein Jura?“

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Wenn ich durchgefallen bin, muss ich schlecht sein. Das muss der Beweis dafür sein, dass ich kein Jura kann. Die anderen haben es ja auch geschafft. Die Gedanken kommen unweigerlich, nachdem man den Ergebnisbescheid des Staatsexamens in den Händen hält. Bei solchen Gedanken hilft immer, sich vor Augen zu führen, wie die Situation objektiv tatsächlich ist. Sind unsere Gedanken wirklich begründet oder können wir rationale Argumente dagegen finden? Wenn man in einer negativen Gedankenspirale drinsteckt und man sehr gut darin ist, gegen sich selbst stichhaltige Argumentationen aufzubauen, braucht man mindestens genauso gute stichhaltige Argumente für die andere Seite. Ja, ich spreche aus Erfahrung.

Ein Quäntchen Glück – oder Pech

Nehmen wir diese Fragen also zum Anlass, um über rationale Gründe nachzudenken, warum Durchfallen im Juraexamen natürlich nicht heißt, dass wir kein Jura können. Unabhängig davon, wie wir uns selbst einschätzen, gibt es Umstände im Examen, die wir selbst überhaupt nicht beeinflussen und in diesem speziellen Fall auch nicht nachvollziehen können. Abgesehen von den allgemeinen, bekannten Variablen wie Stoffmenge, psychische Belastung etc., müssen wir uns vor allem auch mit der Notengebung und den Korrekturen beschäftigen.

Die meiste Zeit kommt uns die Notengebung willkürlich vor. Alleine die Tatsache, dass wir eine Skala bis zu 18 Punkten haben und wir alle sehr viel dafür geben würden, „nur“ 9 Punkte zu erreichen, kann man schon niemandem außerhalb des Jurastudiums erklären. Das Punktesystem an sich ist prädestiniert dafür, dass wir den Bezug dazu verlieren, was die Noten eigentlich über unsere Leistung aussagen. Dass wir denken, wir stehen schlechter da, als wir es tun. Ich möchte an dieser Stelle auf den Artikel von Prof. Griebel/Schimmel hinweisen, der uns nochmal an Hand von Zahlen und Fakten vor Augen führt, wie unsere Noten tatsächlich verteilt sind.

Wichtig an dieser Stelle: Der Gesamtdurchschnitt liegt immer bei Zahlen um die fünf Punkte. Andere haben es zwar auch geschafft, aber nicht mit solchen Abständen, wie man sich das vorstellt. Ist man mit z.B. drei Punkten wirklich so weit davon weg gewesen, zu bestehen? Kamen nicht in manchen Klausuren vielleicht Themen dran, die einem selbst nicht liegen, den anderen aber schon? Und wären andere Themen drangekommen, hätten wir nicht auch vier Punkte schaffen können? Haben wir nicht schon den Schwerpunktbereich erfolgreich abgeschlossen und mussten wir da nicht auch Jura können?

Willkürliche Benotung

Wenn wir über Noten reden, müssen wir auch über Korrekturen reden. Und da liegt die Wurzel des Problems. Es kommt regelmäßig vor, dass Korrektor:innen ein und dieselbe Klausur einmal mit drei Punkten und einmal mit sieben Punkten bewerten. Ich habe mich aufgrund meines Widerspruchverfahrens viel damit beschäftigt, wie Korrekturen eigentlich aussehen müssten. Und man kommt zu dem Ergebnis, dass sie meistens Mängel haben. Diese müssen natürlich nicht immer so schwerwiegend sein, dass es für einen Widerspruch reicht, aber die Mängel sind da. Man hat immer das Gefühl, man wäre den Korrektor:innen ausgeliefert. Was sie bewerten, ist dann auch so. Als hätten wir keine begründeten Chancen, bessere Noten für unsere Leistung zu erreichen. Der Bewertungsspielraum stehe über allem. Das ist ein Mythos.

Für Korrekturen gibt es Vorgaben, Rahmenbedingungen und Rechtsprechung. Näher darauf einzugehen, würde den Rahmen an dieser Stelle sprengen. Worauf ich aber hinaus will, ist Folgendes: Würden mehr Studierende die Möglichkeit haben, Widerspruchs- und Gerichtsverfahren zu führen, um genug Druck aufzubauen, die Korrekturen sähen anders aus. Im Moment kann man sich das scheinbar noch leisten, so wenig Geld zu investieren, dass die Korrektor:innen durch die Korrekturen gejagt werden, was zu Fehlern führt. Wir haben uns bei der Durcharbeit meiner Korrekturen öfter mal die Frage gestellt, ob überhaupt gelesen wurde, was in der Klausur steht. Dafür, dass viele so stolz auf das schwere Examen als absoluten Härtetest sind, geht man mit der Leistungsbewertung ganz schön fahrlässig um.

Du kannst Jura!

Wenn die Korrekturen also häufig Fehler aufweisen, sagt mir meine Note dann, dass ich kein Jura kann? Hat meine Note wirklich mein juristisches Können bewertet? Ich weiß, dass es nicht so ist. Ich bin erst durchgefallen, hatte besonderes Pech mit meinen Korrekturen, habe mich gewehrt und jetzt habe ich sogar am Ende noch eine richtig passable Note. Ich war vor und nach dem Widerspruchsverfahren nicht besser oder schlechter. Meine Leistung war dieselbe.

Ich kann Jura, obwohl meine Korrektor:innen zuerst der Meinung waren, es würde nicht mal fürs Bestehen reichen. Ich weiß, viele haben nicht die Möglichkeit so ein Verfahren zu führen, obwohl ihre Klausuren eins hergeben würden. Aber der springende Punkt ist, dass wir uns hier vor Augen führen: Wir können Jura, obwohl wir durchgefallen sind. Und wir können das rational begründen, um wieder Kraft zu sammeln für die nächsten Schritte.

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