Im Juni 1933 wurde Hildegart Rodríguez von ihrer eigenen Mutter im Schlaf mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Der Hintergrund: Aurora Rodriguez hatte versucht, das „perfekte“ Kind zu zeugen. Doch die Entwicklung der zu diesem Zeitpunkt 18-jährigen Tochter Hildegart gefiel ihr nicht. Und so musste sie sterben.
Gegenüber den Behörden gab Aurora Rodriguez an, die Tötung ihres Kindes sei der letzte verzweifelte Ausweg einer liebenden Mutter gewesen. Sie behauptete, ihre Handlung sei das einzige Mittel gewesen, um zu verhindern, dass Hildegart vom Schriftsteller H. G. Wells entführt würde, von dem sie überzeugt war, dass er für den britischen Geheimdienst arbeitete. Hört sich verrückt an? Ist es auch.
Modellfrau der Zukunft
Doch fast noch schlimmer als ihr früher Tod mutet die Geburt Hildegarts an. Denn das Mädchen wurde mit dem Ziel geboren, ein perfektes Wunderkind zu erschaffen. Aurora Rodriguez gebar Ihre Tochter 1918 mit Hilfe einer Samenspende. Der Vater ist bis heute unbekannt – einigen vermuten, dass es sich dabei um den Geistlichen Alberto Pallás gehandelt hatte. Aurora Rodriguez war eine fanatische Anhängerin der Eugenik. Ihr Ziel war, eine übermenschliche „Modellfrau der Zukunft“ zu schaffen.
Und für einige Jahre schien es so, als hätte Aurora Rodriguez mit ihrem „Experiment“ sogar Erfolg. Hildegart wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter in Madrid auf. Bereits mit elf Jahren publizierte sie ihre ersten Aufsätze und trat auf Drängen der Mutter öffentlich auf. Mit 13 Jahren begann sie ein Jurastudium an der Universität in Madrid, das sie mit 17 erfolgreich abschloss. Parallel dazu war sie auch politisch aktiv.
Obwohl Hildegart aufgeklärt wurde und später viel über Sexualkunde publizierte, gab es in ihrer eigenen Erziehung keine Zuneigung. Aurora Rodriguez war stolz darauf, dass Hildegart keine FreundInnen in ihrem Alter hatte. Sie wurde fast nie umarmt.
Sechzehn Bücher in fünf Jahren
Hildegart veröffentlichte bis zu ihrem Tod 1933 insgesamt sechzehn Bücher und über hundertfünfzig Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. In Spanien war sie bereits vor ihrem 18. Geburtstag als Sozialistin und Sexualreformerin bekannt. Mit 17 schrieb Hildegart mehrere Briefe an den Schriftsteller H. G. Wells, der sie zu sich nach England einlud. Das dürfte ihr Todesurteil gewesen sein.
Aurora Rodriguez unterlag der fixen Idee, alle Männer seien hinter ihrer Tochter her und verdächtigte H. G. Wells sogar, ein Geheimagent zu sein. Hinzu kam, dass Hildegart sich vermehrt von den Ideen ihrer Mutter abwendete und eigene Gedankengänge und Ziele verfolgte. Im Mai 1933 sperrte Aurora Rodriguez ihre Tochter deswegen im Haus ein und ließ sogar das Telefon abstellen. Einen Monat später erschoss sie Hildegart im Schlaf.
Vor Gericht rechtfertigte sie sich mit folgendem Vergleich: „Der Bildhauer, der den kleinsten Fehler in seinem Werk entdeckt, zerstört es.“ Für die Ermordung ihrer Tochter wurde Aurora Rodriguez zu 27 Haft verurteilt. 1948 verstarb sie in einer Nervenheilanstalt.
Spätestens mit ihrer Ermordung durch ihre eigene Mutter wurde Hildegart zu einer mythischen Figur. Ob sie wirklich ein Genie war und ob ihre Zeugung tatsächlich auf einem Experiment beruhte, ist bis heute umstritten. Über Hildegarts jungen Jahre ist relativ wenig bekannt. Behauptungen, dass sie schon als Kind sieben Sprachen beherrscht habe, stammen von ihrer Mutter und wurden erst nach Hildegarts gewaltsamen Tod getätigt. Ihre schriftstellerischen Arbeiten sind jedoch gut belegt.
Hildegarts Geschichte wurde 2024 unter dem Titel La virgen roja (The Red Virgin) mit Alba Planas als Hildegart und Najwa Nimri als Aurora verfilmt.
