Wer hoch stapelt… (Teil 1)

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… fällt oft tief.                   

Echte Freunde (und Freundinnen) fragen nicht jeweils nach dem sozialen Status, nach dem jeweiligen Einkommen, nach Eigentum, Automarke, dem letzten Auslandsurlaub in einem Luxushotel. So kenne ich einen Hausmeiste, der ein großes, mehrstöckiges, komfortabel eingerichtetes Haus, wertvolle Gemälde, ein perfekt eingerichtetes Musikstudio mit unzähligen Instrumenten und ein schickes Auto besitzt. Er ist im positiven Sinn ein bescheidener, liebenswerter ‚Tiefstapler‘.

Ein Hochstapler (natürlich auch die statistisch seltenere Hochstaplerin) spielt uns hingegen vor, sozial höherrangig, wohlhabender, einflussreicher zu sein, um anzugeben, seine Minderwertigkeitskomplexe zu unterdrücken oder hieraus persönliche Vorteile zu ziehen – womit er die Grenze zum Betrug überschreitet, zum Täter wird, dessen Vergehen juristisch geahndet werden.

Das „rotwelsche“, aus der Welt sozialer Randgruppen stammende Wort Hochstapler wurde einst (erstmals 1728) mit b geschrieben (Hochstabler) und bezeichnete einen „hoch“, d.h. vornehm und mit einem Stab auftretenden Bettler. In dem Buch  (Die gefährlichen Klassen Wiens, 1851) definiert sich der Hochstapler  als „gefährlicher Bettler, der mit falschen Attesten [s.o.] über erlebte Unglücksfälle oder dergleichen und, indem er gewöhnlich adlige Namen und Titel sich beilegt, vorzüglich die höheren Stände brandschatzt“ (im übertragenen Sinne von ‚sich ihnen gegenüber Vorteile verschaffen‘).

Sind Hochstapler Betrüger?

Die Grenzen zwischen Hochstapelei und ‚juristischem‘ Betrug sind fließend. Zunächst hängen sie vom Motiv der Täuschung ab. Wer nur angibt, ohne sich finanziell zu bereichern, kann nicht juristisch belangt werden, sondern ist einfach nur bemitleidenswert. Und Betrüger müssen umgekehrt nicht zwingend Hochstapler sein, sondern sind oft z.B. Ärzte, Architekten, manchmal (leider) auch Pädagogen und Juristen.

Sehr beliebt sind akademische Grade. Hier beweisen unsere Protagonisten Fantasie und verleihen sich z.B. ein ‚Diplom‘, das ja nicht nur an Hochschulen und Universitäten, sondern auch an nichtakademischen Institutionen verliehen wird, an Tanz-, Malschulen, Schreibwerkstätten. Auch Ernennungsurkunden (zum Meister) tragen oft die wohlklingende, wenn auch leicht euphemistische Bezeichnung ‚Diplom‘. So beispielsweise auch mein schöner Fantasietitel ‚Königsdiplom‘-Schachspieler, der vom Deutschen Schachbund verliehen wird. Noch beliebter sind falsche Doktor- und Professorentitel.

Die Gesellschaft, also wir alle, begünstigen die Machenschaften der Hochstapler; wir lassen uns gerne täuschen, geben womöglich aus Eitelkeit mit ihnen an, fallen zumindest auf ihre abenteuerlichen Übertreibungen herein. Vorsicht vor Pharisäertum: Wir machen uns mitschuldig, wenn wir auf Hochstapler hereinfallen – etwa, wenn sie ohne ihren Vorgesetzten und Kollegen aufzufallen als Ärzte, Ingenieure, Juristen etc. ihr riskantes, oft lebensgefährliches Unwesen treiben, ohne auch nur annähernd den einschlägige Berufsabschlüsse erlangt zu haben.

Amtsanmaßung, Missbrauch von Titeln, Betrug?

Hochstapelei an sich ist wie die Angeberei, Aufschneiderei noch nicht strafbar, kann jedoch diese Straftatbestände erfüllen:

Amtsanmaßung nach § 132 StGB

Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasst oder eine Handlung vornimmt, welche nur Kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Ein paar bezeichnende Beispiele:

  • Ein Bürger, der eine Operettenuniform und Polizeimütze trägt und den Verkehr regelt oder der amtlich erscheinende Verkehrszeichen z.B. vor seinem Haus anbringt.
  • Wer als einfacher Bundeswehrsoldat mit aufgenähten Dienstgradschlaufen eines höheren Dienstgrades anderen Soldaten Befehle erteilt, macht sich nach § 38 Wehrstrafgesetz strafbar.
  • Auch als literarische Figur ist der Hauptmann von Köpenick (Carl Zuckmayers Tragikomödie von 1931, fünfmal u.a. mit Heinz Rühmann, Rudolf Platte, Harald Juhnke verfilmt) noch heute berühmt.

Der mit 82 Jahren noch immer aktive Investigativjournalist Günter Wallraff schlüpft seit 1969 für seine (so ein Buchtitel) „unerwünschten Reportagen“ in unzählige Rollen: eines Alkoholikers in einer psychiatrischen Klinik, eines Obdachlosen, eines Studenten auf Zimmersuche, als Türke Ali, als Reporter einer Boulevard-Zeitung, als Ministerialrat etc. Walraff war der Ansicht: „Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden.“

Das Amtsgericht Frankfurt a.M.  sprach ihn vom Vorwurf der Amtsanmaßung frei, weil er „mit seiner Berufung auf ein Informations- oder Notwehrrecht einem ‚Tatbestandsirrtum‘ unterlegen sei, der den strafbaren Vorsatz ausschließe“.

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (§ 132a StGB)

“Wer unbefugt 1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt, 2. die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter führt, 3. die Bezeichnung öffentlich bestellter Sachverständiger führt oder 4. inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen trägt,wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.”

Wer will,  darf sich jedoch Sachbearbeiter, Lehrer oder Dozent (wenn auch nicht Studienrat oder Professor!), Ingenieur (solange er den spezifizierenden Zusatz ‚Diplom‘ weglässt), Rechtsgelehrter (wenn auch keineswegs Jurist) nennen, wenn er mal eine Sache bearbeitet (einen Brief geschrieben), einem Schüler Nachhilfe erteilt, einen tropfenden Wasserhahn repariert bzw. einen Gerichtsfilm vollständig angeschaut hat.

(Hier ein heißer Tipp, nicht nur für Juristen: „Zeugin der Anklage“ von 1957 mit Marlene Dietrich und Charles Laughton.)  

Betrug (§ 263 StGB)

„Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Wissenswert ist (auch für Nicht-Juristen), dass der Straftatbestand des ‚Betrugs‘ nur im Sinne materiell-finanzieller Bereicherung bzw. Schädigung vorliegt. Wer mit stolzgeschwellter Brust behauptet, badischer Vize-Senioren-Meister im Minigolf zu sein, macht sich nur lächerlich, ist aber kein Betrüger.

Urkundenfälschung, strafbar gemäß § 267 StGB

“Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”

Wer sich nur privat eine Urkunde ausdruckt und in sein Arbeitszimmer hängt, die ihn bzw. sie als schönsten Mann Bayerns oder beliebteste Finanzbeamtin Ostfrieslands ausweist, macht sich natürlich nicht strafbar; jeder Besucher wird diese Widmung durchschauen.

Historische Beispiele für kriminelle Urkundenfälschung sind

  • die Konstantinische Schenkung: In den Jahren 315/317 angeblich vom römischen Kaiser Konstantin I. ausgestellt, um dem damaligen Papst  und seinen Nachfolgern die Weltherrschaft zu übertragen.
  • die Goldene Handfeste von Bern: die zu Beginn des 13. Jahrhunderts Bern zur Freien Reichsstadt, ja zur unabhängigen Stadtrepublik erklärte.
  • das Privilegium majus (lateinisch; dt. ‚großer Freiheitsbrief‘) um 1450, die als eine der geschicktesten Urkundenfälschungen des Mittelalters gilt, wodurch die Dynastie der Habsburger mit Privilegien gestärkt wurde.

Heute haben es Fälscher deutlich schwerer: Deren Manipulationen können relativ einfach und sicher durch kriminalwissenschaftliche (forensische) Methoden nachgewiesen werden (chemische Analysen, Schriftvergleich).

Niemand hat es nötig, anzugeben

Sollte Ihnen (wie mir) nach derart vielen juristischen Begriffserklärungen und ‚Spitzfindigkeiten‘ der Kopf rauchen, dann freuen Sie sich (wie ich) auf den 2. Teil, in dem es um echte und fiktive Hochstapler geht.

Bis dahin hüten wir uns vor Über-, aber auch Untertreibungen: Niemand hat es nötig anzugeben; er sollte aber auch sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Sicher, „Hochmut kommt vor dem Fall“; aber für deren Gegenstück, die Demut gilt: „Mache dich klein, aber nicht gemein…“

Journalisten würden vielleicht mit dem unvergessenen Hajo Friedrichs ergänzen: „… auch nicht mit einer guten Sache…“ – und Juristen wie Philosophen widersprechen: „Mit ihr dürfen, sollten wir uns gemein machen, allerdings ohne gemein und ungerecht zu sein.“

Fiat iustitia et pereat mundus, ein bekanntes lateinisches Rechtssprichwort, auf Deutsch frei nach Martin Luther: Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde. Auch wenn aktuell einige Kräfte einschlägig walten: Ob jedoch ein Weltuntergang gerecht wäre?…

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