Die monatliche Kolumne über das Durchfallen im Staatsexamen von Frida Fortun.
Hier geht es zu Teil 1: “Zweites Staatsexamen, zweiter Anlauf: Die Erkenntnis”
Ich wusste, dass dunkle Tagen kommen würden. Der Tag, an dem ich Einsicht in meine Examensklausuren bekam, war so einer. Da waren 16 Personen, die mir mit ihren Voten mitteilten: „Wir halten Sie für eine unfähige Juristin, Ihre Arbeitsergebnisse sind durchweg unbrauchbar.“. So stand es selbstverständlich nicht wörtlich drin. Da stand floskelartig: „Nach Abwägung aller Vorzüge und Mängel der Bearbeitung handelt es sich damit insgesamt um eine an erheblichen Mängeln leidende, im Ganzen nicht mehr brauchbare Leistung.“ Der sachlichste Schlag ins Gesicht.
Von 16 erhaltenen Korrekturen waren elf jedenfalls so ausführlich, dass ich konstruktive Kritik aus ihnen ziehen konnte und Fehler analysiert habe, welche ich rechtsgebietsübergreifend in nahezu allen Klausuren gemacht habe. Dass sich Zweitvoten den Erstvoten „nur“ anschließen werden, damit habe ich gerechnet. Das letzte Blatt war in drei Fällen ein „Ich trete dem Erstvotum bei.“. In einem Fall war das Zweivotum deutlich ausführlicher als das Erstvotum. Und in einem Fall – da wurde ich sauer – stand handschriftlich unter dem Erstvotum „einverstanden“ mit Unterschrift und Datum.
Einverstanden? Hat man sich die Klausur überhaupt selbst durchgelesen? Ich möchte nichts unterstellen, gleichwohl sind das Gedanken, die aufgekommen sind. Hat man sich nur das Erstvotum überflogen und es für schlüssig gehalten, oder hat eine eigene Auseinandersetzung stattgefunden? ICH BIN DURCHGEFALLEN, sagte ich laut, UND DAMIT SOLL ICH ARBEITEN UND BESSER WERDEN? Ich empfand es als Frechheit. Ich wollte aus jedem Wort etwas ziehen und da stand nur „einverstanden.“ Oft wurde sich auch auf Randbemerkungen bezogen; diese waren – trotz E-Examen – handschriftlich und teilweise unleserlich. Bei einer Klausur waren die Randbemerkungen, auf die Bezug genommen wurde, schlicht „Nein“.
Habt ihr so etwas schon mal erlebt? Habt ihr Randbemerkungen oder Voten dieser Art erhalten? Bitte, schreibt der Redaktion eine E-Mail, meldet euch über social media; ich kann ja kaum damit alleine sein.
Willkommen – anbei Klausursachverhalt
Mein Start in die Repetenten-AG bestand aus drei Klausuren. Zunächst war ich überrascht davon, dass es einem passieren kann, dass man sogar schon am ersten Tag des Ergänzungsvorbereitungsdienstes eine Klausur schreiben muss, rückblickend finde ich das gut. Die Repetenten-AG ist genau dazu da: Klausuren schreiben, Korrekturen erhalten, Besprechungen mitmachen, besser werden. Es geht nicht darum, den Dozent:innen zu zeigen, dass man doch gar nicht so dumm ist, oder, dass man mit Unterlagen eine gute Klausurbearbeitung einreichen kann. Selbstbetrug ist idiotisch: Es geht um die nackte Wahrheit, die tatsächliche Leistung unter Examens(ähnlichen)bedingungen – fast jede Woche.
Tatsächlich hat uns niemand für dumm gehalten. Ab der ersten Präsenzstunde wurde uns nicht das Gefühl gegeben, der „dümmliche Rest“ zu sein – wie ich das zugegebenermaßen befürchtet habe. Mehr aus Angst, als aus irgendeinem guten Grund. Nein, man machte uns klar, dass wir alle die Fähigkeit haben, gute Jurist:innen zu sein. Das erste Staatsexamen war keine „Lüge“ die nun „aufgeflogen“ ist. Aus den unterschiedlichsten Gründen hat es nur einfach nicht zum Bestehen gereicht. Wir konnten (mehr oder weniger) gut Jura, bloß die Wissenschaft des Klausurschreibens beherrschten wir noch nicht.
Die DozentInnen fanden sehr aufbauende und motivierende Worte für uns. Auch untereinander war der Ton empathisch, sensibel und respektvoll. Es tut einfach gut, andere zu kennen, die im selben Boot sitzen. Am engsten, so empfinde ich das, ist man mit den Durchfallern desselben Durchgangs, denn jeden Monat kommen neue dazu und ein paar gehen, weil die Zeit für den Zweiversuch gekommen ist. Trotzdem tauschen wir uns mit allen untereinander aus. Sei es, wie man wieder anfängt zu lernen, oder was wem gut tut, um jetzt nicht in Panik zu verfallen. Auch über die Einzelausbildung, die in jedem Bezirk anders abläuft, haben wir uns ausgetauscht. Und nicht zuletzt: Gesetzestexte und Kommentare für den Zweitversuch gemietet.
Einzelausbildung
Irgendwie war ich dem Irrtum erlegen, man wäre in der „Einzelausbildung“ alleine, man würde sich zusammen die Examensklausuren anschauen und man würde Übungsklausuren in allen Rechtsgebieten schreiben. All das ist bei mir nicht der Fall. Damit habe ich mich mittlerweile abgefunden, auch wenn ich es nicht für den idealsten Weg halte, die Einzelausbildung im EVD zu handhaben. Zur Wahrheit gehört nämlich auch: viele Richter und Richterinnen haben keine Kapazitäten oder keine Lust, Referendar:innen zu übernehmen. Noch weniger übernehmen eine Betreuung im EVD, welche davon geprägt ist, Übungsklausuren zu schreiben und nach zu besprechen, und nicht an dem Alltag der Person teilzunehmen. Nicht nur aufgrund der überdurchschnittlich hohen Durchfallquoten in so manchen Arbeitsgemeinschaften, sondern auch aufgrund dieses Mangels, finden sich oftmals keine Personen für eine Einzelbetreuung. Von der Qualität ganz zu schweigen.
Die Wege, wie die Landgerichte als Stammdienststellen mit dieser Situation umgehen, sind selbst in meinem OLG-Bezirk sehr unterschiedlich. Was fast alle gemeinsam haben: am Ende sind die Repetent:innen selbst in der Verantwortung. Wir müssen eigenständig wieder eine starke Disziplin an den Tag legen und nicht selten nochmal Geld in die Hand nehmen, um zumindest einen Klausurenkurs bei einem kommerziellen Anbieter in Anspruch zu nehmen. Ich sehe meinen Ausbilder etwa einmal pro Woche, wir besprechen eine Examensklausur aus dem Zivilrecht und ich erhalte eine neue Klausur, die ich bis zum nächsten Termin bearbeite und einreiche. Er korrigiert „wie im Examen“ und auch hier gilt: Selbstbetrug ist idiotisch. Eine Klausurbearbeitung, die „nicht unter Examensbedingungen“ geschrieben wurde, sei „im Grunde nicht verwertbar“. Und irgendwo hat er damit auch Recht. Trotzdem: bisher habe ich jede Klausur bei ihm bestanden. Ob ich im Examen zu nervös bin, fragte er mal. Wahrscheinlich. Und so ist das Einzige, was ich der Nervosität wohl nächstes Jahr entgegen halten können werde, meine bis dahin aufgebaute Routine.
Mehr Besonnenheit wagen
Ich wusste, dass dunkle Tagen kommen würden – und habe versucht, mich mental darauf einzustellen. In der Podcastfolge „Durchgefallen – und jetzt?“ vom RefPod, welche ich noch am Tag der Nichtbestehensliste anhörte, erzählte die Rechtsanwältin Melina Pier, was sie empfand und tat – und ich erkannte mich wieder.
Auch ich war beispielsweise nicht überrascht, durchgefallen zu sein. Auch ich habe überlegt, was ich abseits vom Lernen in den nächsten Monaten ändern werde. Mein Umfeld hat mich dazu bestärkt, mich täglich mindestens eine halbe Stunde an der frischen Luft zu bewegen und mir wieder einen Sport zu suchen, als körperlichen Ausgleich. Ich habe angefangen Tagebuch zu schreiben. Ich verzichte nun auf Alkohol, weil ich mich damit besser fühle. Ich kann nicht behaupten, zu wissen, was jetzt der richtige Weg für mich ist, ich möchte mir aber erlauben, das zu testen und für mich herauszufinden.
Für mich. Dieser Egoismus ist gerade dringend notwendig. Nicht auf eine ungesunde Art, sondern auf eine rücksichtsvolle – denn meine dunklen Tage waren auch solche, an denen ich Vergleiche zu Mitstreiter:innen aus meinem Klausurendurchgang gezogen habe.
Betrachte ich meinen Weg, dann weiß ich, dass das noch nicht das Ende ist. Ich weiß, dass ich nächstes Jahr wieder Examen schreiben werde. Durchfallen war für mich zu keinem Zeitpunkt ein Weltuntergang. Ich war nicht die erste, ich war nicht die einzige in meinem Durchgang und ich werde auch nicht die letzte sein. Auch wenn die Mehrheit besteht, war ich kein Sonderfall. Nicht zu bestehen ist alles andere als schön, aber es war okay. Ich habe eine Vorstellung davon, wie die nächsten Monate für mich aussehen werden. Weder Mut, noch Hoffnung, habe ich bisher verloren!
Und dann sehe ich ein Reel, wie sich jemand freut, nicht auf der Nichtbestehensliste zu stehen. Freudentränen. Fotos, wie Personen am Schreibtisch sitzen und sich auf ihre mündliche Prüfung vorbereiten. In meinem Kopf ist dann wieder präsent, dass das der „eigentliche“ Weg ist. Das ist der Weg, von dem ich dachte, ich würde ihn auch beschreiten. Letztes Jahr feierten wir Weihnachten und redeten darüber, dass das mein letztes Weihnachten sein könnte, an dem ich keine Volljuristin bin. Dieses Weihnachten werde ich mich nicht trauen, so etwas laut auszusprechen. Ich weiß, dass ich mich sehr freuen werde zu sehen, dass aus Jurist:innen, mit denen ich die letzten zwei Jahre verbracht habe, Volljurist:innen geworden sind. Ich gönne jedem und jeder einzelnen von ihnen eine erfolgreiche mündliche Prüfung und den wohlverdienten Abschluss. Ich wünschte nur, dass auch ich das hätte nun erleben können. Und die Gedanken schmerzen.
Mentale Flexibilität
Eigentlich war mein Berufswunsch klar. Eigentlich war mir auch klar, dass ich 2025 wieder Examen schreiben werde – allerdings bin ich von einem Verbesserungsversuch ausgegangen, um meine Wunschnote zu erreichen. Man könnte sagen, ich war relativ versteift darauf, was ich werden wollte. Die Dipl-Psych. und Volljuristin Alica Mohnert postete am 10.11.2024 auf X: „Wenn es um die eigene Zukunftsplanung geht, ist es hilfreich, psychisch flexibel zu bleiben.[…]“ und, dass es wichtig sei, im Auge zu behalten, dass wir nicht alles kontrollieren können. Danke. Das ist es. Das ist, was ich lernen und mir beibehalten muss: Ich kann nicht alles kontrollieren. Ich kann natürlich Jura lernen, Klausuren schreiben, Klausuren analysieren, versuchen, die Klausuren im zweiten Anlauf zu bestehen. Während ich all das tue, kann ich aber auch flexibel bleiben: Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, es auch ein zweites Mal nicht zu schaffen. Überhaupt, bis zum zweiten Anlauf und während der Klausurenwochen kann viel passieren. Egal, was passiert: Ich werde meinen Weg gehen. Darauf versteife ich mich: es gibt einen Weg für mich.
Herzlichen Glückwunsch an all meine Durchgangs-Kollegen und Kolleginnen: Ich bin stolz auf euch. Feiert und lasst euch feiern. Ihr habt das mehr als verdient. Alles Gute für euren weiteren Weg!