An der Universität Bielefeld wurde im Rahmen eines Pilotprojekts die erste volldigitale Präsenzklausur geschrieben. Zum Einsatz kam eine Examens-Schreibsoftware sowie eine KI-Korrektur. Die Studierenden durften bei der Klausur außerdem das Online-Gesetzbuch LexMea verwenden.
An der Universität Bielefeld wurde am 16. Dezember zum ersten Mal eine volldigitale Juraklausur im Zwansgvollstreckungsrecht geschrieben. In einem Computerraum mit 30 Sitzplätzen verfassten die Jurastudierenden die Klausur mit Hilfe der Schreibsoftware Classtime. Auf einem Splitscreen daneben konnte das Online-Gesetzbuch LexMea verwendet werden. Die Studierenden konnten sich bei LexMea mit ihrem eigenen Account einloggen und so auf ihre während der Vorlesung und Klausurvorbereitung angelegten Unterstreichungen, Highlights und Verlinkungen zugreifen. Ein Zugriff auf Lehrinhalte oder eigens angelegte Notizen oder Schemata war in der Prüfungssituation dagegen nicht möglich. Nach der Probeklausur gaben rund 80 Prozent der Studierenden an, dass das digitale Gesetzbuch das Nachschlagen und Auffinden von Gesetzen erheblich erleichtert habe.
E-Examen bisher ohne digitale Gesetzestexte
Üblicherweise werden Klausuren an den juristischen Fakultäten noch von Hand mit Papier und Stift geschrieben. Daneben sind als Hilfsmittel die Gesetzestexte in Buchform zugelassen. Erst im zweiten Staatsexamen dürfen die Prüflinge darüber hinaus auf Kommentare zurückgreifen.
Mehrere Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg, haben inzwischen die Möglichkeit geschaffen, das erste und/oder zweite Staatsexamen am Computer abzulegen. Digitale Gesetze sind hingegen auch im E-Examen nicht vorgesehen. Weitere Bundesländer haben bereits angekündigt, das E-Examen einzuführen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, auch bereits an den Unis Übungsklausuren in digitaler Form anzubieten.
„Das E-Examen ist ein Fortschritt. Es muss aber medienbruchfrei gestaltet werden, also auch den Zugriff auf digitale Gesetze erlauben. Dies erproben wir hier mit LexMea. Unser Pilotprojekt zeigt, wie digitale Tools die Qualität juristischer Lehre und Prüfungen erheblich verbessern“, erklärt Professorin Dr. Marie Herberger. Auch Prof. Dr. Thomas Wischmeyer hatte in seinen Vorlesungen bereits seit einigen Monaten LexMea eingesetzt.
Eine weitere Besonderheit stellte die Korrektur der Pilot-Klausuren dar. Diese wird üblicherweise an der Universität von Professor:innen sowie Wissenschaftlichen Mitarbeitenden und im Staatsexamen darüber hinaus von erfahrenen Praktiker:innen übernommen. Im Rahmen des Pilotprojekts an der Universität Bielefeld kam jetzt aber erstmals – parallel zur menschlichen Korrektur – eine Korrektur mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zum Einsatz.
KI-Korrektur von Juraklausuren?
Bei DeepWrite handelt es sich um ein Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter der Leitung von Prof. Dr. Urs Kramer an der Universität Passau sowie KlausurenKIste, einem Jura-Start-up der Universität Köln. Die unterschiedlichen Ergebnisse von menschlicher Korrektur und KI-Korrektur werden in dem Pilotprojekt anschließend verglichen und ausgewertet.
Zwar ist eine KI-Korrektur im Staatsexamen momentan noch nicht vorgesehen, sie könnte aber ein weiteres Problem der juristischen Ausbildung lösen. Bisher findet im Staatsexamen mit wenigen Ausnahmen lediglich eine offene Zweitkorrektur statt. Der oder die Zweitkorrektor:in kennt also die in der Erstkorrektur vergebene Note und schließt sich dieser oft einfach nur an. Studierenden befürchten, dass deswegen keine faire Korrektur stattfindet. Diese Annahme beruht auch darauf, dass bei blinden Korrekturen oft Abweichungen von mehreren Noten auftreten.
Als Begründung gegen die verdeckte Zweitkorrektur wird heute noch der Kostenfaktor angeführt. Dieser würde sich bei einer KI-Korrektur enorm reduzieren. Eine menschliche (Zweit-)Korrektur könnte in (ferner) Zukunft dann nur noch bei auffälligen Abweichungen (beispielsweise zwischen menschlicher Erstkorrektur und KI-Korrektur) vorgenommen werden. Bisher befindet sich die KI-Korrektur aber noch in Kinderschuhen.
Das Online-Gesetzbuch LexMea wurde 2020 von den Brüdern Michael und Tobias Strecker gegründet. Inzwischen wird LexMea jeden Monat von ca. 16.000 Juristinnen und Juristen genutzt. Die Gesetzestexte lassen sich über die Plattform mit Lesezeichen versehen, markieren und unterstreichen sowie mit klickbaren Verweisen zu anderen Normen und Notizen versehen. An wichtigen Normen zeigt LexMea bereits jetzt frei zugänglich zahlreiche Übersichten und Schemata an. Schwere Gesetzesbücher wie der “Habersack” könnten damit bald auch im Jurastudium der Vergangenheit angehören.