Bevor man in die Examensvorbereitung geht, muss jeder für sich entscheiden, wie er oder sie sich strukturieren möchte, und eine entsprechende Lernmethodik wählen. Damit meine ich nicht nur die Wahl zwischen kommerziellem Rep, Unirep und ohne Rep, sondern vor allem die alltägliche Lernroutine. Mir fiel es in meiner eigenen Examensvorbereitung schwer, zu verstehen, wie man seine Lernzeit und die Lernthemen effektiv einteilt. Man hört natürlich immer viel über Probeklausuren, Karteikarten und 9-18 Uhr Bib-Einheiten, doch was genau macht man in diesen 8 Stunden? Wo fängt man an zu Lernen, wenn die Fülle an Lernstoff doch so groß ist?
Jetzt habe ich mein Examen hinter mir – und ich habe hier einige Punkte aufgelistet, die ich gerne am Anfang meiner Examensvorbereitung gewusst hätte. Das sind vor allem Dinge, von denen ich das Gefühl habe, sie werden nur selten angesprochen (oder zugegeben). Auch wenn ich versucht habe, allgemeingültig zu bleiben, sind einige davon wahrscheinlich subjektiv, da niemand diesen langen Zeitraum in gleicher Weise empfindet. Für den Kontext: ich habe meine Examensvorbereitung ohne Repetitorium gemacht, und war deshalb in meiner Lernmethodik und Zeiteinteilung nochmal freier. Die Auflistung ist aber nicht nur auf diesen Fall zugeschnitten, sondern passt auf alle Lernarten.
1. Zeitpläne sind überbewertet
Ganz zu Anfang möchte ich sagen, dass niemand in meinem Umfeld zu 100% einen strikten Zeitplan befolgt hat. Und damit meine ich sowohl die Einteilung des gesamten Vorbereitungszeitraums als auch den Entwurf eines Wochenstundenplans. Natürlich bekamen diejenigen, die ein Repetitorium besucht haben, Themenblöcke und Kurszeiten vorgegeben, aber außerhalb dessen haben auch sie unterschiedliche Fokusse gesetzt.
Zwar ist es sinnvoll, sich am Anfang grob zu überlegen, welche Rechtsgebiete man beherrschen muss, und welche davon man schon besser oder noch nicht so gut kann. Es sollte jedoch bei diesem groben (gegebenenfalls rein mentalen) Entwurf bleiben und nicht zu sehr ins Detail gehen. Im Netz findet man Lernpläne, die strikt jedes Rechtsgebiet abdecken und bis zur letzten Vorbereitungswoche durchgeplant sind. Dies hat mich damals sehr überfordert – wie soll man denn schon am Anfang wissen, was man in einem Jahr bereits kann und noch braucht?
An solchen Lernplänen kann man sich auch leicht aufhängen. Ich habe Kommilitoninnen und Kommilitonen, die mehrere solcher Pläne ent- und wieder verworfen haben, weil sie ihre perfekte Routine nicht gefunden haben und Puffer nicht angemessen eingeplant wurden. Viel wichtiger finde ich es, dem aktuellen Gefühl und Interesse zu folgen und das zu tun, worin man gerade Bedarf verspürt. Idealerweise schreibt man sich eine To-Do-Liste am Anfang jeden Tages und/oder jeder Woche und stellt so sicher, dass man seine kleinen Meilensteine erreicht.
2. Kenne dich selbst – bleib du selbst
Ein weiteres Problem bei der strikten Zeiteinteilung liegt meines Erachtens darin, dass einige sich während der Examensvorbereitung komplett neu erfinden wollen. Es handelt sich bei diesem Zeitraum aber um nicht selten mehr als ein Jahr – das ist viel zu lang, um eine Tagesroutine befolgen zu können, die einem eigentlich nicht liegt. In den ca. vier Jahren Studium, die man zum Zeitpunkt der Examensvorbereitung bereits gemeistert hat, hat man ja schon herausgefunden, ob man morgens oder abends besser lernt, eher mit Lehrbüchern, Karteikarten oder Skripten. Die meisten gehen in der Examensvorbereitung dennoch ab acht Uhr in die Bibliothek, auch wenn sie eigentlich Spätaufsteher sind, hören auf, auszugehen, beenden langjährige Hobbys. Das geht vielleicht kurzfristig gut, aber die Examensvorbereitung ist ein Marathon, und man sollte sich seine Reserven aufsparen.
Mir persönlich graute es davor, ein Jahr lang so früh aufzustehen, nicht zu reisen und praktisch keine Freizeit mehr zu haben, sich quasi von der Außenwelt zu verabschieden. Ich entschied mich dann einfach dafür, es nicht zu tun. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich mir in der Examensvorbereitung einen Wecker gestellt habe, um mich früh an den Schreibtisch zu setzen, oder wie viele Verabredungen mit Freunden ich abgesagt habe. Stattdessen war es mein persönlicher Kompromiss, auch am Wochenende zu lernen, und auch auf Reisen, sowie die wöchentliche Probeklausur (fast) nie auszulassen.
Mein Kompromiss mag nicht für jede und jeden funktionieren, aber es soll einen entscheidenden Punkt darlegen: traue dich, in dich hineinzuhorchen, und das zu priorisieren, was dir gut tut. Gehe deinen eigenen Weg. Denn es gibt eben keinen Verhaltenskodex, der an das Bestehen des Examens geknüpft ist.
3. Mehr ist Mehr
Am Ende ist es meiner Erfahrung nach eine simple Regel, die zum erfolgreichen Examen führt: mehr ist mehr. In den ersten vier Jahren meines Studiums habe ich mir noch eingebildet, eine „Affinität“ für Jura zu besitzen, die mir zum Bestehen des Examens verhelfen werde. Und ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass Jura zu 90% Fleißarbeit ist. Realisiert habe ich es in der Mitte der Examensvorbereitung, als meine Noten in den Probeklausuren nach anfänglich schnellen Verbesserungen auf einmal stagnierten, sogar schlechter wurden. Ich dieser Phase hinterfragte ich, ob ich wirklich für Jura gemacht war, ob ich vielleicht doch nicht juristisch denken konnte und einfach nicht das Talent für das Gebiet besaß. Ein bis zwei Monate hielten diese Gedanken an, ich hielt durch, lernte weiter – und konnte schließlich doch wieder Verbesserungen sehen.
Rückblickend hatte ich damals einen Punkt erreicht, an dem ich mehr Übung aufwenden musste, um dieselben Erfolge zu erzielen, die ich anfänglich mit wenig Aufwand erreichte. Mein „Talent“ brachte mich also nur bis zu einem gewissen Niveau, und von da an kam es schlicht auf die Wiederholung des Lernstoffs an. Also: Wer mehr lernt und wiederholt, kennt sich tiefer im Rechtsgebiet aus. Wer mehr Probeklausuren schreibt, erzielt bessere Noten im Examen – diese Korrelation bestätigte sich in meinem Umfeld bis auf eine Ausnahme jedes Mal. Und jeder noch so schwere Meinungsstreit wird dir irgendwann leicht vorkommen, wenn du ihn dir oft genug ansiehst. Das ist übrigens eine Lektion, die mir auch in andere Lebensbereichen geholfen hat.
4. Die richtige Taktik
Die wahre Herausforderung besteht somit nicht darin, den Meinungsstreit überhaupt zu verstehen, sondern vielmehr darin, genügend Zeit aufzubringen, um ihn zu lernen. Und weil es immer (zutreffenderweise) heißt, dass man nie alles lernen kann, sollte man für sich Prioritäten und Schwerpunkte setzen. Einerseits ist es wichtig, die Vorlieben des jeweiligen Justizprüfungsamtes und insbesondere die Themen aus den Vorjahren in Erfahrung bringen. Gut vernetzt sein, hilft hier, ansonsten kann man sicher bei der Fachschaft oder die Kommiliton:innen im Unirep fragen. Andererseits sollte man sich klarmachen, in welchen Themen und Rechtsgebieten man für sich persönlich die besten Chancen auf gute Klausurergebnisse sieht. Erfahrungsgemäß möchte ich an dieser Stelle einwerfen, dass das öffentliche Recht durch die Argumentationsspielräume am ehesten die Chance bietet, in den hohen zweistelligen Bereich zu gelangen.
Die zweite Herausforderung (und eine wichtige Ergänzung zum dritten Punkt „Mehr ist Mehr“) ist, eine persönliche Balance aus Lernen und Freizeit zu finden, um sich in der Examensvorbereitung nicht kaputt zu machen, und die mentale Gesundheit zu priorisieren. Denn diese braucht man unbedingt, um die zwei Wochen der Examensklausuren (sowie die Zeit danach, in der all der Druck auf einmal abfällt) glimpflich zu überstehen und idealerweise sein Bestes zu geben.
Für mich waren diese zwei Wochen die anstrengendsten meines Lebens. Meine allererste Klausur lief nicht gut, ich verbrachte den Nachmittag mit Grübeln und Verzweifeln, überlegte mir sogar einen Plan B für meinen Lebensweg. Aber am Ende dieses Tages musste ich mich selbst wieder aufbauen, die Klausur innerlich abhaken und in meinem Inneren nach Motivation und Energie für die fünf verbleibenden Klausuren kramen (und es hat sich trotz aller Zweifel gelohnt). Beim Finden dieser Balance kann es helfen, sich zu überlegen, wie viel eine bestimmte Lernweise einem bringt und den Lernerfolg in das Verhältnis zum Zeitaufwand zu setzen. Beim Lernzeittracking können bestimmte Apps helfen, mehrere meiner Kommiliton:innen hat dies sehr motiviert.
5. „Schubladendenken“
Mit Schubladen meine ich natürlich nicht das Entwickeln von Vorurteilen, sondern das Strukturieren des Lernstoffs. Zu Anfang der Vorbereitung konnte ich mir nicht einmal merken, welche Themen es überhaupt zu lernen galt. Später hatte ich den Eindruck, es habe bereits die halbe Miete ausgemacht, die große Stoffmenge mental in die Themengebiete der drei Rechtsgebiete (für Zivilrecht also BGB AT, Schuldrecht AT, Sachenrecht etc.), und darin noch einmal die Unterteilung in gängige Untergruppen (für Sachenrecht zB EBV, Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen, Besitz) vorzunehmen.
Hat jede Information ihren festen Platz in dieser mentalen Schublade, hilft das dem Erinnerungsvermögen enorm, und die Stoffmenge erscheint auch gleich viel überschaubarer. Im Examen wird es dann bereits gewürdigt, überhaupt zu wissen, dass es einen Meinungsstreit (zB hinsichtlich der Definition des Verwenders beim Verwendungsersatz in der EBV) gibt. Es ist schwerer, sich den Meinungsstreit zu merken, als den „Pfad“, der zu diesem Meinungsstreit führt. Man kann diese „Pfade“ auch verschriftlichen, ich habe während meiner Vorbereitung immer eigene Skripte geführt und stetig entsprechend der Gliederung erweitert.
6. Hintergrundwissen zählt
Letztlich kann man sich notfalls selbst verschiedene Ansichten zu einem strittigen Fall herleiten und Argumente dafür sammeln. Voraussetzung dafür ist aber, das Problem an sich zu verstehen. Ein weiterer Punkt, den ich deshalb jeder und jedem gern ans Herz legen möchte, ist es, sich auch in seiner Freizeit mit juristischen Themen zu beschäftigen. Das Studium ist nun mal eine Lebensentscheidung. Sicherlich werdet ihr, wenn ihr bis hierhin bereits das Studium erfolgreich geschafft habt, also ein juristisch-politisches Themengebiet haben, das euch besonders interessiert. Das können die Bücher von Ferdinand von Schirach sein, die Podcasts von F.A.Z. Einspruch oder Dokumentationen über den Zerfall der Weimarer Republik.
Dieses Hintergrundwissen, die Frage nach dem Warum und nach den Zusammenhängen, hat immer meine Erinnerungsfähigkeit gestärkt, und das Lesen von gerichtlichen Entscheidungen hat mir nicht zuletzt in der mündlichen Prüfung viel genützt. Die Stoffmenge ist einfach zu groß, um alles auswendig zu lernen, und das Verständnis der Themen hilft dabei, Relevantes im Kopf zu behalten.
7. Dein Gehirn merkt sich mehr, als du denkst
Es stellt sich noch die Frage, wie oft der Lernstoff wiederholt werden muss, damit er sitzt. In den Vorlesungen in meinem Grund- & Hauptstudium dachte ich oft mit Ehrfurcht daran, wie detailliert wohl später gelernt werden müsse, um sich all diese Schemata und Rechtsprobleme gleichzeitig zu merken. Schnell ist mir dann in der Examensvorbereitung glücklicherweise aufgefallen, dass Wissen aus einem Teilgebiet oft auch für ein anderes nützlich ist und man schnell Muster erkennt, die sich wiederholen. Dazu kommt, dass bei ausführlicher Nacharbeitung von Fällen die Aha-Momente auch Monate später noch im Kopf bleiben.
Später ist es mir und meiner Lernpartnerin oft passiert, dass wir einen Meinungsstreit abstrakt zwar nicht wiedergeben konnten, er uns in der jeweiligen Falleinbettung jedoch plötzlich eingefallen ist. Oder dass ich eine Definition nicht auf Abruf konnte, aber wusste, im Examen kann ich kurz darüber nachdenken und sie dann auf mein Notizpapier notieren. Sei dir also sicher, dass dein Gedächtnis dich in der Vorbereitung noch einige Male positiv überraschen wird, und du viele Informationen im Hintergrund abspeichern wirst, die im entscheidenden Moment dann wieder hervorkommen.
8. Das Examen ist mehr als ein Vollzeitjob
Mein letzter Punkt klingt vielleicht etwas ernüchternd, aber so ist er nicht gemeint. Natürlich hat man Pausen vom Lernen, und 40 Stunden Lernen habe ich nie geschafft, man kann acht Stunden Büroarbeit mit Kaffeepausen und acht Stunden konzentriertes Lernen schließlich nicht gleichsetzen. Was ich meine, ist, dass das, was du tagsüber lernst, noch abends im Hintergrund verarbeitet wird, während du Feierabend machst, vielleicht sogar der ein oder andere Meinungsstreit in deinen Träumen auftauchen wird. Die Examensvorbereitung wird einen Großteil deiner Kapazitäten beanspruchen.
Um dich selbst zu schützen und diesen wichtigen Prozess auch zuzulassen, solltest du dir sonst für das Jahr nicht viel vornehmen. Löse dich von Beziehungen, die dich zu viel Energie kosten, und sei dir bewusst, dass persönliche Entwicklungen erstmal in den Hintergrund rücken werden. Sei nicht zu hart zu dir selbst, sei rücksichtsvoll mit dir, wenn du vergesslicher wirst als sonst. Es ist okay, wenn du in diesem Jahr in deiner Komfortzone bleibst – wenn die Examensvorbereitung vorbei ist, wirst du umso stärker strahlen.
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