Das Bar Exam auf dem Prüfstand: Werden Prüflinge mit guten Noten auch gute Anwältinnen und Anwälte?

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In den USA müssen Jurist:innen, die als Anwält:innen tätig sein wollen, das sog. Bar Exam bestehen. Diese Prüfung soll – ähnlich wie die beiden deutschen Staatsexamina – sicherstellen, dass nur diejenigen, die auch die Kompetenz für die Anwaltschaft besitzen, zum Beruf zugelassen werden. In Deutschland erlangt man mit dem Bestehen des zweiten Staatsexamens darüber hinaus die Befähigung zum Richteramt.

Eine Studie aus den USA fragt jetzt, ob das Bar Exam seine Aufgabe wirklich erfüllt. Ein Forscherteam aus Nevada geht der Frage nach, ob Kandidat:innen, die im Bar Examn mit guten Noten abgeschnitten haben, im Beruf auch kompetente Anwält:innen sind. Das Ergebnis sollte uns allen Grund zum Nachdenken geben.

Was das Paper untersucht

Das Forscherteam untersuchte, ob die Ergebnisse der Barprüfung – insbesondere der Multiple-Choice-Teil (Multistate Bar Examination, MBE) und die Essay-Komponenten – die spätere Effektivität von Anwält:innen im Beruf vorhersagen können. Im Gegensatz zu den deutschen Examina müssen die Prüflinge in den USA keine Fälle im Gutachtenstil lösen, sondern Multiple-Choice-Fragen beantworten und (je nach Bundesstaat) mehrere Essays verfassen.

Die Kompetenz der Berufsträger:innen wurde in der Studie anhand von Bewertungen durch Vorgesetzte, Kolleg:innen und Richter:innen gemessen, sowie durch eine Selbsteinschätzung der Anwält:innen. Dabei griffen die Forscher:innen auf Daten von über 1.400 Jurist:innen zurück, die zwischen 2014 und 2020 die Barprüfung in Nevada bestanden haben.

Die zentrale Frage lautete: Sind hohe Prüfungsergebnisse tatsächlich ein Indikator dafür, dass die Person seine oder ihre Arbeit als Anwält:in kompetent ausführt?

Die ernüchternden Ergebnisse

Die Analyse ergab, dass die Ergebnisse der Barprüfung nur einen minimalen Einfluss auf die Bewertung der Effektivität der Anwält:innen haben. Obwohl es einige statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen den Prüfungsergebnissen und bestimmten Fähigkeiten gibt – etwa bei analytischen und organisatorischen Fähigkeiten – waren diese Effekte in der Praxis nahezu irrelevant. Konkret zeigte ein Anstieg der MBE-Ergebnisse um eine Standardabweichung (ca. 13 Punkte) nur eine Verbesserung von 0,07 bis 0,08 Punkten (auf einer Skala von fünf Punkten) bei der Bewertung der Effektivität. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich für die Essay-Komponenten, darunter der Ethik-Test und die für den Staat Nevada spezifischen Essays.

Das Paper betont, dass das Bar Exam stark auf das Abrufen von auswendiggelerntem Wissen setzt. Dieses spielt in der Realität der Anwaltsarbeit aber nur eine untergeordnete Rolle. Denn im Gegensatz zur Prüfungssituation können derartige Fakten im Beruf einfach recherchiert und nachgeschlagen werden.

Die Fähigkeiten, die in der Praxis entscheidend sind – wie Kommunikation, Konfliktlösung, und der Aufbau von Mandantenbeziehungen – werden vom Bar Exam hingegen kaum abgedeckt. Stattdessen misst die Prüfung vor allem die kurzfristige Wissensspeicherung der Kandidat:innen.

Ähnliche Vorwürfe muss sich das deutsche Staatsexamen seit Jahrzehnten gefallen lassen. Zwar gibt es hierzulande keine Multiple-Choice-Fragen, doch vor allem im ersten Staatsexamen wird ebenfalls viel Wert auf das Auswendiglernen von Schemata und Definitionen gelegt. Auch wenn Professor:innen regelmäßig behaupten, die Examina seien mit reinem „Verständnis“ zu bestehen, ist das Augenwischerei. Wer die Definition der „Wegnahme“ in der Strafrechtsklausur nicht auswendig abspulen kann, hat Pech gehabt. Und zum selbstständigen Herleiten dieser seit Jahrhunderten angewendeten Definition bleibt in der Prüfung keine Zeit.

Ungleichheiten und Hürden

Auch in den USA wird das Bar Exam inzwischen kritisch beleuchtet. Das Bar Exam stellt vor allem für Minderheiten eine fast unüberwindbare Barriere für den Zugang zur Anwaltschaft dar. Daten zeigen, dass schwarze, hispanische und indigene Absolvent:innen deutlich geringere Erfolgsquoten bei der Prüfung haben als ihre weißen Kolleg:innen. Ein Grund hierfür könnte der Bildungs-Background der Betroffenen und die fehlenden finanziellen Ressourcen für eine intensive Vorbereitung auf die Prüfung sein. Das Bar Exam könnte also nicht nur ein untauglicher Messgrad für den späteren Erfolg im Beruf, sondern auch noch diskriminierend sein.

Die Forscher:innen schlagen deswegen vor, das Bar Exam grundlegend zu überdenken. Es stützt sich dabei auf Erkenntnisse aus anderen Berufsfeldern, insbesondere der Medizin, wo in den USA bereits erfolgreich ein „Residency“-Modell eingesetzt wird. Dabei verbringen die Absolvent:innen einige Zeit in der Praxis und werden dabei von erfahrenen Mediziner:innen betreut, bevor sie vollständig zum Beruf zugelassen werden. Dies ähnelt unserem deutschen Rechtsreferendariat.

Dafür spricht auch, dass die Studie herausgefunden hat, dass die Effektivität von Anwält:innen mit zunehmender Berufserfahrung steigt. Dies deutet darauf hin, dass praktische Erfahrung möglicherweise ein besserer Indikator für die Kompetenz von Anwält:innen ist als das theoretische Bar Exam.

Ein weiteres Reformmodell, das von der Nevada Supreme Court Commission vorgeschlagen wurde, umfasst:

  1. Eine Prüfung der juristischen Grundlagen nach dem ersten Studienjahr.
  2. Praxisorientierte Essays, die spezifisch für die Jurisdiktion entwickelt werden.
  3. Ein verpflichtendes Praxisjahr unter Supervision.

Fazit: Dringend reformbedürftig

Die Ergebnisse des Papers legen nahe, dass das Bar Exam, wie es derzeit existiert, kein zuverlässiger Indikator für die spätere Effektivität von Anwält:innen im Beruf ist. Angesichts der geringen praktischen Aussagekraft und der möglichen Diskriminierung fordert die Studie umfassende Reformen. Ob es nun die Einführung eines praktischen Vorbereitungsdienstes, die Anpassung der Prüfungsinhalte oder eine frühere Bewertung juristischer Grundkenntnisse ist – das System muss sich verändern, um den Anforderungen der modernen Rechtspraxis gerecht zu werden.

Für angehende Anwält:innen und die Gesellschaft insgesamt ist es von entscheidender Bedeutung, dass das Bar Exam (und auch die deutschen Staatsexamina) nicht nur Mindestkompetenzen in der Theorie misst, sondern auch sicherstellt, dass Anwält:innen in der Lage sind, in ihrem Beruf effektiv und ethisch zu handeln. Die Diskussion um eine Reform hat in den USA gerade erst begonnen – und sie ist (genauso wie hierzulande) längst überfällig.

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