Die siamesischen Zwillinge Abigail und Brittany Hensel werden rechtlich ganz unterschiedlich behandelt. So mussten die jungen Frauen, die ab den Schultern miteinander verwachsen sind, doppelte Studiengebühren bezahlen, während sie in ihrem ersten Job aber nur einmal bezahlt werden. Kann das fair sein?
Abby und Brittany wurden 1990 in Minnesota geboren. Die beiden siamesischen Zwillinge haben zwar zwei Köpfe, zwei Wirbelsäulen und zwei Herzen, sind aber ab dem Oberkörper miteinander verwachsene und teilen sich dementsprechend alle darunterliegenden Organe. Ihre Eltern lehnten eine Trennung ab, da nicht sicher war, ob die Zwillinge eine derartige Operation überleben würden.
Gemeinsames Lehramtsstudium
Seit 2012 war das ungewöhnliche Zwillingspaar in der Realityshow „Abby & Brittany“ zu sehen. Die beiden besuchten bis 2008 die Lutheran High School in Mayer (Minnesota) und erwarben erfolgreich ihre Fahrerlaubnis, wobei sie das Auto gemeinsam lenken. Gemeinsam studierten sie Lehramt an der Bethel University in Saint Paul und schlossen ihr Studium 2012 mit einem Bachelor of Arts ab.
Das Kuriose: Wann immer die Zwillinge in Kontakt mit der Rechtsordnung kommen, muss entschieden werden, ob es sich bei ihnen um eine oder zwei Personen handelt. Für Abby und Brittany ist die Antwort auf diese Frage klar. Sie haben eine komplett unterschiedliche Persönlichkeit und leben diese beispielsweise dadurch aus, dass sie verschiedenfarbige Socken und Schuhe tragen. Abby heiratete im November 2021 den Krankenpfleger und Kriegsveteranen Josh Bowling.
Deswegen wurden Abby und Brittany auch als zwei Personen eingeschult, erhielten zwei Zeugnisse und mussten an der Bethel University doppelte Studiengebühren zahlen, um zwei Abschlüsse zu erhalten.
Siamesische Zwillinge teilen sich ein Gehalt
In ihrem Job als Lehrerinnen erhalten die Zwillinge jedoch nur ein Gehalt. Die Begründung: Sie unterrichten zeitgleich immer nur eine Klasse. “Obviously, right away, we understand that we are going to get one salary because we’re doing the job of one person”, gab Abby gegenüber BBC an.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn strenggenommen werden die Schüler:innen von zwei Gehirnen unterrichtet. Abby und Brittany sind in der einmaligen Lage, ihren Schüler:innen zwei unterschiedliche Perspektiven zu bieten oder sogar zwei Sachen gleichzeitig zu tun. Brittany: “One can be teaching and one can be monitoring and answering questions.”
Deswegen möchten die Zwillinge ihr Gehalt auch nachverhandeln: “As maybe experience comes in, we’d like to negotiate a little bit, considering we have two degrees and because we are able to give two different perspectives or teach in two different ways“, erläutert Abby.
Rechtslage muss individuell angepasst werden
Rein physikalisch kontrolliert Abby die rechte Seite des gemeinsamen Körpers und Brittany die linke Seite. Bei alltäglichen Aufgaben teilen die beiden Zwillinge die Arbeit also gleichmäßig untereinander auf.
Auch auf Reisen gibt es Besonderheiten für die Zwillinge. Sie haben zwei Ausweise, werden vom Staat also als zwei Personen anerkannt. Da sie in Zug und Flugzeug aber nur einen Platz benötigen, reisen sie gemeinsam mit nur einem Ticket. Auch die praktische Fahrprüfung haben die Zwillinge gemeinsam abgelegt, während jede von ihnen in Schule und Studium individuell zu Klausuren antreten musste (dazu wurde eine Trennscheibe zwischen ihren Oberkörpern aufgestellt).
Zumindest dort, wo ihr Körper nur einen Platz wegnimmt, können Abby und Brittany also Geld sparen. Bisher hatten die Zwillinge meistens das Glück, dass das Recht ihren besonderen Umständen entsprechend für sie angepasst wurde.