JURios fragt: Wieso solltest du Strafverteidiger:in werden?

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Echten Menschen helfen? In Gefängnissen ein- und ausgehen? Abwechslung im Beruf? Kontakt mit Kriminalämtern, Staatsanwälten, Gerichten, Anwaltskolleginnen und mit der Presse? Und manchmal auch einfach nur in Pyjamahose ganz bequem von zuhause aus Akten lesen, die spannend und mitreißend sein können wie ein Krimi? Das willst du auch?

Dann solltest du Strafverteidiger:in werden!

„Würdest du auch einen Mörder vertreten, wenn du weißt, dass er schuldig ist?“

„Und was wenn einer kommt, der jemand vergewaltigt hat?“

Es gibt wohl kaum einen Beruf, der mit so vielen Vorurteilen behaftet und mit einem Auge belächelt, mit dem anderen argwöhnisch betrachtet wird. „Wie kannst du ohne schlechtes Gewissen, einen Mörder zu vertreten?“ ist dabei die am meisten gestellte Frage überhaupt – und eine der missverständlichsten. Denn was viele in einem Strafverteidiger bzw. dessen Job sehen, ist die weitverbreitete Annahme, dass das Verteidigen gleichbedeutend ist mit Rechtfertigen oder gar Gutheißen. Doch die Aufgabe von Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern ist es, nicht die vorgeworfene Tat zu verteidigen, sondern den Menschen dem dieser Vorwurf gemacht wird.

Als Strafverteidiger:in ist man keine Richterin, kein Ankläger, und vor allem kein Moralwächter. Mein Job ist es nicht, darüber zu urteilen, ob ein Mensch „gut“ oder „böse“ ist – das überlasse ich der Justiz und dem moralischen Kompass der Gesellschaft. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass der Rechtsstaat funktioniert. Und das bedeutet, jedem Menschen, selbst demjenigen, dem schwerste Verbrechen vorgeworfen werden, eine faire Verteidigung zu gewährleisten.

Ein Strafverfahren ist keine moralische, sondern eine juristische Klärung. Es gibt klare Spielregeln: Beweise müssen sauber erhoben, Verfahren korrekt geführt und Gesetze konsequent angewendet werden. Wenn ich als Strafverteidigerin meine Arbeit gewissenhaft mache, stelle ich sicher, dass das System nicht willkürlich handelt. Das bedeutet, dass auch der schwerste Vorwurf einer Prüfung standhalten muss. Ohne dieses Prinzip wären wir in einem System, in dem Vorverurteilungen und reine Emotionen regieren – ein Alptraum für jede rechtsstaatliche Gesellschaft.

Was viele verkennen: Es geht nicht darum, die Tat oder das vermeintlich begangene Unrecht zu verteidigen. Es geht auch nicht immer nur darum, den Angeklagten möglichst „rauszuhauen“. Ich persönlich begreife meine Aufgabe als Strafverteidigerin in erster Linie darin, dem Menschen in einer häufig stressbehafteten und komplizierten Situation so gut wie es geht, zu helfen.

Häufig geht es in meinem Beruf darum, einem juristischen Laien einen komplexen und juristisch stark verklausulierten Sachverhalt transparent zu machen. Jeder Mensch hat es verdient, genaustens zu verstehen, welches Verhalten ihm konkret zur Last gelegt wird und warum wir als Gesellschaft einen Mehrwert davon haben können, wenn ein solches Verhalten unter Strafe gestellt wird.

Um die sich aus der Anklageschrift ergebende Vorwürfe so gut wie möglich erläutern zu können und daran anknüpfend eine Verteidigungsstrategie mit den Mandanten zu besprechen, ist es in jedem Fall unerlässlich, die dem Verfahren zugrundeliegende Ermittlungsakte sorgfältig zu studieren. Welche Zeugenaussage belastet hier am meisten? Auf welchen Videoaufnahmen soll was konkret zu sehen sein? Wer und was ist auf den Videoaufnahmen tatsächlich zu sehen?

Eine weitere wichtige Aufgabe einer gewissenhaften Strafverteidigerin ist es die den Vorwürfen zugrundeliegenden Umstände kritisch zu hinterfragen. Konkret kann das bedeuten, seinem eigenen Mandanten ungemütliche Passagen aus der Akte vorzuhalten. Nicht selten kommt es auch vor, dass sich die Angaben des eigenen Mandant:innen stark mit denen des Hauptbelastungszeug:innen divergieren. In dem Fall gilt es natürlich, den Angaben des Zeugen mit dem nötigen Nachdruck in der mündlichen Hauptverhandlung auf den Zahn zu fühlen.

Schließlich ist es auch wichtig den Mandant:innen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in den besten Worten zu erklären, wenn dies sein Wunsch sein sollte. In der Verhandlung selbst werden gegebenfalls Anträge gestellt, die die Einlassung des Mandanten stärken und die Vorwürfe aus der Anklageschrift entkräften.  

Der Kern meiner Arbeit beruht auf der Überzeugung, dass niemand allein auf die Summe seiner schlimmsten Taten reduziert werden darf. Ein Mensch, der etwas Unvorstellbares getan hat, ist immer noch ein Mensch – oft geprägt von Umständen, die ihn zu seiner Tat führten. Das bedeutet nicht, dass ich die Tat rechtfertige. Aber ich sehe den Menschen dahinter, und ich verstehe, dass eine gerechte Strafe nur möglich ist, wenn alle relevanten Fakten auf den Tisch kommen. Mein Gewissen bleibt ruhig, weil ich nicht die Tat verteidige, sondern das Recht auf ein faires Verfahren.

Soft skill: Lügen im Beruf

Zur nächsten vorurteilsbelasteten Frage, ob alle Anwälte gut im Lügen sein müssen, lautet die Antwort ganz klar: Nein. Es gibt keinen Platz für Lügen in einem Beruf, der so eng mit der Wahrheit verbunden ist. Es geht nicht darum, die Realität zu verdrehen, sondern darum, sicherzustellen, dass alle Facetten der Realität betrachtet werden – auch die, die der Öffentlichkeit oder der Anklage unbequem erscheinen mögen.

Eine häufige Fehlinterpretation ist, dass ein Strafverteidiger „lügt“, wenn er Ungereimtheiten in den Beweisen aufzeigt oder alternative Erklärungen präsentiert. In Wirklichkeit erfüllt er oder damit die Pflicht, das Verfahren fair und korrekt zu halten. Die Wahrheit ist oft komplexer, als es auf den ersten Blick scheint, und Verteidigen bedeutet, diese Komplexität aufzuzeigen, um sicherzustellen, dass niemand zu Unrecht verurteilt wird.

Der Beruf des Strafverteidigers wurzelt tief in der Philosophie des Rechtsstaates. Der Philosoph Voltaire sagte einst: „Es ist besser, zehn Schuldige freizusprechen, als einen Unschuldigen zu verurteilen.“ Dieser Satz beschreibt den Kern meiner Arbeit. Selbst wenn ich einen Menschen verteidige, der schuldig ist, stelle ich sicher, dass der Staat seine Macht nicht missbraucht und dass die Strafe verhältnismäßig ist.

Strafverteidigung hat nichts mit Lügen zu tun, sondern mit Ehrlichkeit gegenüber dem System, den Fakten und der Menschlichkeit. Der gute Strafverteidiger arbeitet im Dienst der Gerechtigkeit, nicht gegen sie. Und genau deshalb hat der Beruf auch kein schlechtes Gewissen nötig – denn er dient einem höheren Ziel: der Wahrung dessen, was uns als Gesellschaft ausmacht.

Vorteile des Berufs

Kaum ein Beruf bietet so markante Vorteile wie der des Strafverteidigers. Es ist ein Beruf, der Freiheit, Vielfalt und einen unvergleichlichen Einblick in die Grundlagen und Höhen der menschlichen Existenz vermittelt. Jeder Tag ist anders. Man steckt nie in einer Routine fest – es gibt immer neue Fälle, neue Menschen und neue Herausforderungen.

Als selbstständige:r Strafverteidiger:in hat man oft die Freiheit, den Arbeitsalltag selbst zu gestalten. Ob du morgens in der JVA, mittags im Gericht oder nachmittags im Homeoffice bist – du entscheidest selbst, wie du die Aufgaben priorisierst und wann du die Termine legst. Du schläfst gerne aus? Kein Problem. Du bist eine Nachteule? Kein Problem. Du möchtest dich nicht jeden Tag in enge Kleidung zwängen? Kein Problem. Auch Pyjamahosen sind im Homeoffice keine Seltenheit. Insbesondere dann nicht, wenn deine Kanzlei digitalisiert ist und du mit deinem Laptop alle Akten zugreifen kannst. In kaum einem anderen Beruf bist du so nah am echten Leben. Du erlebst Geschichten, die berühren, schockieren oder inspirieren. Es ist eine Mischung aus Drama, Krimi und Psychothriller – nur eben ohne Drehbuch.

Strafverteidiger:innen können einen entscheidenden Unterschied machen. Sie kämpfen für Rechte, Freiheit und Gerechtigkeit. Es gibt kaum ein erfüllendes Gefühl, als zu wissen, dass der eigene Einsatz das Leben eines Menschen maßgeblich verbessert hat.

Von Richtern und Staatsanwälten über Mandanten bis hin zu Sozialarbeitern und Psychologen – dieser Beruf bringt einen mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Dieses Netzwerk bereichert nicht nur den Arbeitsalltag, sondern auch die Perspektive auf die Welt.

Nachteile des Berufs

Der Beruf ist sicherlich nichts für Menschen, die sich nach Routine und Komfort sehnen. Klar, man ist auch irgendwann vor Gericht oder bei Mandantengesprächen in seiner Routine. Doch kein Fall, kein:e Mandant:in und kein Termin gleicht dem anderen – höchste Individualität steht in diesem Beruf an der Tagesordnung. Genauso vielfältig wie die Arbeit sind auch die Klientel. Jede Alters- und Gesellschaftsklasse marschiert in das Büro rein und wieder raus.

Überall, wo Sonne scheint, existiert auch Schatten. So auch im Beruf des Strafverteidigers. Mit der Freiheit und Flexibilität gehen aber auch Arbeit außerhalb der gewöhnlichen Arbeitszeiten und -stunden einher. Mal hat der Arbeitstag 4 Stunden, mal 14. Dringende Angelegenheiten, die sich nicht verschieben lassen, müssen teilweise noch zu später Stunde, am Wochenende oder gar an Krankheitstagen erledigt werden. Als Strafverteidiger:in ist man sich stets bewusst, dass man in einem äußerst sensiblen Bereich tätig ist und hinter jedem Schriftstück oder jeder Akte ein Mensch steht, der sich einem anvertraut und meistens in einer Lage befindet, aus der er nicht mehr allein herauskommt. Verantwortungsbewusstsein, Präzision und Verpflichtung haben keinen Platz für Ausreden. Man versucht als Strafverteidiger:in sein Bestes zu geben. Zu jeder Uhr- und Tageszeit und in jeder Lage.

Ich würde behaupten, dass aber genau hier der Reiz darin liegt, Strafverteidiger:in zu sein. Kein Mandant, kein Fall prallt an einem einfach ab. Man nimmt von jeder Akte ein Stück mit auf seinen eigenen (Lebens-)weg. Bewusst, oder unbewusst. Man bekommt die Gelegenheit aus jedem Fall etwas (positives) für sich mitzunehmen und sich selbst zu reflektieren. Ob man diese Möglichkeit nutzt, bleibt jedem selbst überlassen. Aber sie ist da. Am Ende des Tages sind auch Strafverteidiger:innen Menschen und können sich nicht von jedem Umstand komplett abschirmen. Auch wir denken noch manchmal Tage oder gar Jahre an einen Fall zurück. Auch in uns brodeln manchmal die Emotionen, obwohl wir es uns nicht anmerken lassen. Auch wir empfinden manchmal etwas als ungerecht. Und trotzdem stehen wir Tag für Tag auf, bereit zu kämpfen und zu verteidigen.

Mehr als nur ein Job

Strafverteidigerin zu sein ist mehr als nur ein Beruf. Es wird irgendwann ein Teil von dir. Was mich dieses Berufsfeld bisher gelehrt hat ist, dass ich für mich – egal, in welcher Situation ich mich befinde – einstehen kann. Dass ich eine Kämpfernatur bin. Ich habe es immer in der Hand, ob und wie ich auf äußere Umstände reagiere. Ich bin einer Lage nie hilflos oder hoffnungslos ausgeliefert. Es gibt immer einen Weg, auch wenn ich ihn vielleicht jetzt noch nicht kenne. Und vor allem: Ich bin nicht allein.

Genau das geben wir unseren Mandanten mit auf den Weg. Und es ist ein schönes Gefühl, sich für diejenigen stark zu machen, die es aus eigener Kraft gerade nicht können. Zu helfen. Einen guten Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und trotz starkem Gegenwind standhaft zu bleiben. Und genau dadurch die Welt vielleicht ein bisschen zu einem schöneren Ort zu machen.

Der Name „Sandra“ ist die Kurzform von „Alexandra“ und hat seinen Ursprung wohl aus dem altgriechischen. Übersetzt bedeutet der Name „die Beschützerin“, „die Wehrfrau“, die Verteidigerin“. Ich kann nicht sagen, ob mein Name mich oder ich ihn geprägt habe. Was ich heute aber definitiv sagen kann ist, dass Strafverteidigerin zu sein bedeutet, mit Herz und Blut für die Rechte anderer einzustehen, sich für die Schwächeren einzusetzen und denjenigen zu helfen, die sich aktuell nicht selbst helfen können. Es ist mehr als nur ein Beruf. Es ist eine Lebensweise. Ja, fast schon eine Lebensphilosophie.

Das Leben schreibt die spannendsten Geschichten. Als Strafverteidiger:in ist man mittendrin.


Zur Kanzleiwebsite: https://mk-strafverteidigung.de/

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Sandra Kralj
Sandra Kraljhttps://sandrakralj.de/
Aktualisierung meiner Beschreibung: Sandra M Kralj ist Autorin, Weltenbummlerin und Rechtsanwältin sowie Strafverteidigerin im Herzen Stuttgarts. Kanzleiwebsite: https://mk-strafverteidigung.de/

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