Auslieferung von Maya T. nach Ungarn war verfassungswidrig

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„Menschenrechte gelten doch überall in der EU!“ Diesen Satz hören Jurastudierende oft zu Beginn ihrer Vorlesungen über Europarecht. Doch was, wenn das in der Realität nicht immer so klar ist? Der Fall von Maya T. wirft genau diese Frage auf.

Maya T., eine non-binäre deutsche Person und Linksaktivist:in, wurde im Dezember 2023 in Berlin verhaftet und anschließend an Ungarn ausgeliefert. Maya T. wird vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest mit anderen Aktivist:innen rechtsextreme Personen angegriffen zu haben. Das BVerfG entschied nun, dass die Auslieferung rechtswidrig war. Der Fall erregt große Aufmerksamkeit, da er Grundrechtsfragen zur Auslieferung innerhalb der EU aufwirft – insbesondere mit Blick auf die Haftbedingungen für queere Personen in Ungarn.

Warum die Auslieferung so umstritten war

Maya T. argumentierte, dass die Haftbedingungen in Ungarn gegen die Menschenwürde und europäische Grundrechte verstoßen. Ungarn steht seit Jahren wegen der Missachtung von Grundrechten in der Kritik – insbesondere, wenn es um die Rechte von queeren Personen geht. Maya T. stützte die Argumention auf Berichte verschiedener Organisationen (Committee for the Prevention of Torture, Hungarian Helsinki Committee) sowie von ehemaligen inhaftierten Personen.

Trotz dieser Bedenken erklärte das Kammergericht Berlin die Auslieferung für zulässig. Der Grund: Ungarn hatte eine sogenannte “Garantieerklärung” abgegeben. Darin sicherten die ungarischen Behörden zu, dass Ungarn als Mitglied der Europäischen Union den gemeinsamen Haftungsstandards, insbesondere mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention, nachkomme.

Das BVerfG schaltet sich ein – zu spät?

Danach geschah etwas, das für Maya T. tragische Folgen nach sich zog: am Morgen der geplanten Auslieferung, dem 28. Juni 2024, setzte sich Maya T. gegen 7:30 Uhr mittels eines Antrags auf einstweilige Anordnung zur Wehr. Zu diesem Zeitpunkt war Maya T. zwecks Durchlieferung nach Ungarn gerade an die österreichischen Behörden übergeben worden. Das BVerfG gab dem Antrag um 10:50 Uhr statt und ordnete an, die Übergabe an die ungarischen Behörden vorläufig zu stoppen (Beschluss vom 28. Juni 2024, Az. 2 BvQ 49/24). Doch die Entscheidung kam zu spät – etwa eine Stunde zuvor, um 10:00 Uhr, wurde Maya T. bereits von Österreich nach Ungarn überführt.

Obwohl Maya T. gar nicht nach Ungarn hätte ausgeliefert werden dürfen, konnte die Übergabe nicht rückgängig gemacht werden, denn die Entscheidung des BVerfG bindet nur deutsche Behörden. Ungarische Behörden müssen sich daran nicht halten. Der Fall zeigt auf dramatische Weise, wie engmaschig und gleichzeitig lückenhaft die Zusammenarbeit zwischen den Justizsystemen in der EU sein kann.

Verletzung des Verbots vor Folter oder unmenschlicher Behandlung

Maya T. legte aus Ungarn heraus Verfassungsbeschwerde ein, das BVerfG gab Maya T. nun Recht: die Auslieferung verstößt gegen Art. 4 GRCh, dem Verbot von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Beschl. v. 06.02.2025, Az. 2 BvR 1103/24). Dennoch kann Maya T. nun aus oben gegebenen Gründen nicht aus der Isolationshaft entlassen werden, in der sie derzeit sitzt. Nach § 80 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) kann Maya T. ihre Strafe aber in Deutschland absitzen, Ungarn hat dem bereits zugestimmt.

Unterschiedliche Haftungsstandards in Europa

Die Entscheidung ist insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Haftungsstandards in der EU interessant. Der Europäische Haftbefehl soll eigentlich den schnellen Austausch von Strafverfolgten innerhalb der EU erleichtern. Doch was passiert, wenn berechtigte Zweifel bestehen, ob in einem anderen Mitgliedstaat die Grundrechte gewahrt werden?

Eigentlich gilt zwischen EU-Mitgliedsstaaten der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Von anderen Staaten muss deshalb grundsätzlich angenommen werden, dass sie rechtsstaatliche Prinzipien beachten und die Menschenrechte wahren (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, Az. C-411/10, C-493/10 (N.S./Secretary of State for the Home Department), Slg. 2011, I-13905 Rn. 79). Bei tatsächlichen Anhaltspunkten für einen Verstoß ist die Verweigerung der Auslieferung aber möglich. In Deutschland konstatiert so ein Verstoß zugleich die Überschreitung der Verfassungsidentität aus Art. 79 Abs. 3 GG, die insbesondere die Beachtung der Menschenwürde schützt.

Hohe Relevanz des Urteils für die linke Szene

Es bleibt fragwürdig, warum die Auslieferung von Maya T. überhaupt so schnell erfolgte. Auch wenn rein formal alles rechtmäßig ablief, bleibt ein Beigeschmack, der gedanklich nahelegt, dass für Maya T. keine Rechtsmittel mehr möglich sein sollten – so formulierte es auch Maya T’s Anwalts Sven Richwin. Jedenfalls für andere deutsche Aktivist:innen der linken Szene hat das Urteil des BVerfG große Bedeutung, denn diese müssen nun eine Auslieferung nach Ungarn in naher Zukunft nicht befürchten.

Der Fall um Maya T. erinnert an die italienische Politikerin und linke Aktivistin Illaria Salis, die ebenfalls aufgrund der Ereignisse im Februar 2023 in Budapest verhaftet wurde. Maya T. sitzt derzeit im selben Gefängnis wie Salis. 2024 kam Salis nur deswegen aus dem Gefängnis frei, weil sie als Abgeordnete ins Europäische Parlament gewählt wurde.


BVerfG, Beschl. v. 06.02.2025, Az. 2 BvR 1103/24

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