Rezension: „Machtübernahme“ von Arne Semsrott

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Bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar 2025 erhielt die rechtsradikale AfD rund 20 Prozent der Stimmen. In Arne Semsrotts Buch „Machtübernahme – Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren | Eine Anleitung zum Widerstand“ beschreibt der Journalist und Aktivist ein Szenario, in dem die AfD sogar 31 Prozent der Stimmen erhält. Das klingt im Buch dann so: „Es ist Sonntag, 18:03 Uhr. Wahlnacht. In Erfurt, Dresden und Berlin knallen die Sektkorken. Die AfD hat bei den Wahlen so viele Stimmen wie noch nie geholt. 31 Prozent, stärkte Kraft.“

Das im Juni 2024 bei Droemer erschienene Werk nach der realen Bundestagswahl im Februar 2025 zu lesen, bei der die AfD zum Glück nicht die meisten Stimmen geholt hat, ist surreal. Zwar fragt der Autor: „Was tun, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt?“ Viele der im Buch beschriebenen Szenarien werden in den kommenden Wochen und Monaten aber auch mit einer starken AfD ohne Regierungsbeteiligung real werden.

Semsrott fordert in seinem Buch die Zivilgesellschaft auf, sich auf das Szenario einer rechten Machtübernahme vorzubereiten. Der Autor spielt dabei kleinteilig durch, was Deutschland unter einer AfD-Regierung erwartet. Für das Buch interviewte Semsrott rund 70 Expert:innen aus verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft. Darunter auch Verwaltungsbeamt:innen und Jurist:innen.

Die Brandmauer ist gefallen

Gewerkschaften, Ämter, Justiz, Unternehmen und Medien sowie die Bürgerinnen und Bürger sind laut Semsrott gefragt, gemeinsam eine Brandmauer gegen rechts zu bilden. In der Realität ist diese Brandmauer bereits gefallen. Konservative (CDU) und liberale (FDP) Parteien haben gezeigt, dass sie bereit dazu sind, mit rechten Parteien eine Mehrheit zu bilden. Friedrich Merz hat mit den Stimmen der AfD einen Antrag zu schärferer Asylpolitik durchgebracht. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Abstimmungsverhalten ein Einzelfall bleiben wird. Um die Brandmauer geht es auch im neunten Kapitel des Buches.

In „Machtübernahme“ schafft der Autor ein Szenario, dass so nah an der Realität ist, dass man teils Probleme hat, Fiktion von Realität zu unterschieden. Dieses Problem ist Semsrott bewusst. Alle realen Ereignisse seien mit einer Fußnote belegt, schreibt er.

Das Buch gliedert sich dabei in elf Kapitel. In den ersten beiden Kapiteln entwirft Semsrott das erschreckende Szenario einer Machtübernahme durch die Neue Rechte. In den weiteren Kapiteln werden jeweils einzelne Akteure herausgegriffen und beleuchtet. Die Zivilgesellschaft, Beamt:innen, Gewerkschaften, die Justiz, Unternehmen und die Medien. Kapitel zehn lautet „Preparing for the future“, Kapitel elf trägt den Titel „Widerstand beginnt jetzt“.

Nie wieder war gestern

Im Szenario mit dem Titel „Nie wieder war gestern“ beschreibt Semsrott zehn Schritte zur Machtübernahme. Liest man das Buch Anfang 2025 scheinen diese Schritte direkt aus dem Playbook von US-Präsident Donald Trump zu stammen. Semsrott beschreibt im ersten Schritt, wie die AfD großflächig Personal auswechseln und wichtige Schlüsselpositionen mit linientreuen Personen besetzen wird. Genau dieser personale Umbau passiert gerade – nicht nur direkt im Weißen Haus – sondern im gesamten öffentlichen Sektor der USA. Das Personal wird sodann im zweiten Schritt angewiesen, Beurteilungsspielräume im Sinne der Parteilinie auszunutzen und diese gezielt nach rechts zu verschieben. Sodann wird Bildungsprojekten und NGOs der Geldhahn abgedreht. Das kommt uns im Februar 2025 ebenfalls erschrecken bekannt vor, wendete sich Friedrich Merz doch zunächst gegen die (angebliche) Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Projekten wie den „Omas gegen Rechts“.

Für Jurist:innen ist vor allem das sechste Kapitel „Im Namen des Deutschen Volkes“ über die Justiz interessant. Semsrott schreibt: „Die Institution des Rechts ist vulnerabel. Wenn rechte Regierungen die Justiz nicht unmittelbar in ihrem Sinne verändern können, tendieren sie dazu, sie zu ignorieren und zu untermieren“ – auch das passiert gerade in den USA, wo Präsident Trump mit Hilfe von „exekutive orders“ den Rechtsstaat aushebelt und eine Theorie der einheitlichen Exekutive („unitary executive theory“) ausgerufen hat.

Der Widerstand beginnt jetzt

Am Ende des Kapitels über die Justiz präsentiert Semsrott vier Vorschläge, wie man die AfD im Bereich der Justiz stellen kann. Nummer eins: Klagen, klagen, klagen – alle Entscheidungen einer AfD-geführten Regierung sollten auf dem Rechtsweg angegriffen werden. Semsrott fordert zudem eine „Taskforce Resilienz“, die sich damit befasst, wie Verfassungsgerichte und Parlamente vor einer Einflussnahme geschützt werden können. Außerdem fordert er, Transparenz zu schaffen und z. B. Gerichtsentscheidungen für alle zugänglich zu veröffentlichen. Auch die Justiz sei zudem gefragt, sich zu vernetzen und Widerstand zu leisten.

Das Fazit seines Buches: „Der Widerstand beginnt jetzt”.

Der Autor schreibt aber auch selbst: „Eigentlich kommt dieses Buch zu spät. Denn die Gefahren von rechts sind schon lange bekannt. Die Mehrheitsgesellschaft hat nur nicht zugehört.“ Die Ampel-Regierung hätte sogar die Möglichkeit gehabt, ein lang überfälliges AfD-Verbotsverfahren einzuleiten. Stattdessen kam es zum durch die FDP orchestrierten Ampelbruch. Eine ernüchternde Einstellung, die aber gerade aufzeigt, wie wichtig Bücher wie “Machtübernahme” sind, um die Allgemeinheit wachzurütteln.

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