In Deutschland gibt es bisher keinen eigenständigen Straftatbestand des Femizids. Stattdessen werden Tötungen von Frauen oft unter allgemeine Delikte wie Mord oder Totschlag gefasst. Dies verkennt jedoch die geschlechtsspezifischen Motive hinter vielen dieser Taten. Während feministische Organisationen und Menschenrechtsgruppen seit Jahren fordern, das Merkmal „Femizid“ in das deutsche Strafrecht aufzunehmen, verweigern sich viele Politiker:innen und Jurist:innen dieser Entwicklung.
Definition – Femizid, was ist das?
Der Begriff Femizid bezeichnet die gezielte (bewusste) Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Der Femizid ist die extreme Manifestation der Gewalt gegen Frauen und betrifft alle Regionen und Länder weltweit.
„Der Begriff Femizid wurde entwickelt, um bestimmte Tötungen an Frauen von anderen Formen tödlicher Gewalt abzugrenzen und als spezifisches Phänomen zu problematisieren. Femizide unterscheiden sich von anderen Arten der Tötung, da sie auf Geschlecht und Geschlechterdiskriminierung abzielen. Frauen werden allein aufgrund ihres Geschlechts zur Zielscheibe gemacht, und das geschieht oft in einem Kontext, in dem bereits Gewalt, sexueller Missbrauch, Machtungleichgewicht und Bedrohungen gegenüber den Opfern vorhanden waren“, so Amnesty International.
2023 wurden laut Pressemitteilung des BKA 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten (+1,0 Prozent, 2022: 929). Dies entspricht einem Anteil von 32,3 Prozent aller Opfer von Tötungsdelikten. Der Anteil an weiblichen Opfern, die im Zusammenhang mit partnerschaftlichen Beziehungen Opfer von Tötungsdelikten wurden, liegt bei 80,6 Prozent. Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen Opfer vollendeter Taten. Im Jahr 2023 gab es demnach beinahe jeden Tag einen Femizid in Deutschland.
Laut einer Studie des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2023 in Deutschland 155 Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet. Dies bedeutet, dass alle zwei Tage eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner ums Leben kommt.
Dennoch gibt es keine spezielle Erfassung von Femiziden, da diese als Tötungsdelikte ohne geschlechtsspezifischen Kontext behandelt werden. Auch die Istanbul-Konvention, ein völkerrechtlicher Vertrag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, wurde zwar von Deutschland ratifiziert, aber viele Experten bemängeln, dass die Umsetzung unzureichend ist.
Die aktuelle Gesetzgebung behandelt geschlechtsspezifische Tötungen nicht als eigene Kategorie, sondern als individuelle Fälle, die nach bestehenden Mordmerkmalen bewertet werden. Juristisch fallen Femizide häufig unter den Tatbestand des Mordes gemäß § 211 StGB, wenn Mordmerkmale wie Heimtücke oder niedrige Beweggründe nachgewiesen werden können. Fehlt ein solches Merkmal, kann es als Totschlag (§ 212 StGB) gewertet werden, was eine deutlich geringere Strafandrohung nach sich zieht. Kritiker:innen argumentieren, dass diese Praxis die strukturellen und systematischen Aspekte von Femiziden unsichtbar macht. Sie fordern, dass Femizide als eigenständige Kategorie erfasst werden, um den gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Kontext besser zu berücksichtigen.
Fehlendes Mordmerkmal „Femizid“ und der Widerstand in Deutschland
Eine gesetzliche Anerkennung des Femizids als eigenständiger Straftatbestand würde, erfordern, dass im deutschen Strafgesetzbuch ein neues Mordmerkmal eingeführt wird. Derzeit existieren Mordmerkmale wie Heimtücke, Grausamkeit oder niedrige Beweggründe, doch ein geschlechtsspezifisches Motiv ist bislang nicht vorgesehen. Ein solches Merkmal würde die systematische Gewalt gegen Frauen explizit anerkennen und könnte zu strengeren Strafen führen.
Allerdings stößt diese Forderung auf erheblichen Widerstand. Kritiker:innen befürchten, dass eine gesetzliche Sonderkategorie zu einer Ungleichbehandlung vor dem Gesetz führen könnte, da Mord unabhängig vom Geschlecht als schwerstes Delikt bereits mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet wird. Zudem wird argumentiert, dass bestehende Mordmerkmale wie Heimtücke oder niedrige Beweggründe bereits ausreichen, um geschlechtsspezifische Morde angemessen zu bestrafen. Dennoch sehen Befürworter:innen die Notwendigkeit, den gesellschaftlichen Hintergrund und die strukturelle Dimension von Femiziden explizit im Strafrecht abzubilden.
Italien geht einen anderen Weg
Während Deutschland noch zögert, hat Italien bereits die Notwendigkeit erkannt, Femizide als gesonderten Straftatbestand in das Gesetz aufzunehmen. Die italienische Regierung verabschiedete ein Gesetz, das härtere Strafen für geschlechtsspezifische Morde vorsieht. Dazu gehört unter anderem eine Mindesthaftstrafe für Täter sowie präventive Maßnahmen wie restriktivere Kontaktverbote für gewalttätige Partner. Mit dieser Gesetzgebung folgt Italien dem Beispiel anderer Länder wie Mexiko, Spanien oder Argentinien, die Femizid als eigenständige Straftat definieren.
Neue Gesetze ermöglichen eine frühzeitigere Intervention bei häuslicher Gewalt, indem restriktivere Anordnungen gegen potenzielle Täter verhängt werden können. Zudem wurde ein nationales Register für geschlechtsspezifische Gewalt eingerichtet, das die Fälle zentral erfasst und eine bessere Analyse der Hintergründe ermöglicht. Des Weiteren werden Schulungen für Polizei und Justizbehörden verpflichtend, um geschlechtsspezifische Gewalt besser erkennen und angemessen darauf reagieren zu können. Diese Maßnahmen sollen nicht nur die Strafverfolgung verbessern, sondern auch präventiv wirken, um Frauen besser zu schützen.
Braucht Deutschland eine ähnliche Gesetzesreform?
Die Einführung eines speziellen Straftatbestands für Femizid könnte auch in Deutschland ein wichtiges Signal setzen: Es würde nicht nur die gesellschaftliche Anerkennung des Problems stärken, sondern auch zu einer verbesserten Erfassung und Prävention dieser Verbrechen beitragen. Jurist:innen weisen jedoch darauf hin, dass eine neue gesetzliche Definition einer exakten Abgrenzung bedarf, um keine rechtlichen Unklarheiten zu schaffen. Bislang bleibt der Widerstand gegen eine gesetzliche Anerkennung des Femizids in Deutschland groß – trotz der alarmierenden Zahlen geschlechtsspezifischer Morde an Frauen.
Es bleibt abzuwarten, ob die wachsenden internationalen Entwicklungen und der Druck aus der Zivilgesellschaft Deutschland dazu bewegen wird, diesen Schritt ebenfalls zu gehen.