Tillmann Bartsch und Joachim Renzikowski gewinnen Opferschutzpreis des Weißen Rings

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Die Kriminologen und Strafrechtler Prof. Dr. Tillmann Bartsch von der Universität Göttingen und Prof. Dr. Joachim Renzikowski von der Universität Halle sind mit dem renommierten Wissenschaftspreis des WEISSEN RINGS und des Bundeskriminalamts ausgezeichnet worden. Die Ehrung erfolgte für eine gemeinsame Forschungsarbeit mit Nora Labarta Greven und Marco Kubicki zum Thema Menschenhandel.

Zum zweiten Mal verliehen der WEISSE RING e. V. und das Bundeskriminalamt (BKA) 2025 den „Wissenschaftspreis Opferschutz“ – eine Auszeichnung, die wissenschaftliches Engagement im Dienst der Verletzlichsten unserer Gesellschaft sichtbar macht und honoriert.

Im Zentrum der diesjährigen Preisverleihung stand das Thema Menschenhandel – ein Verbrechen, das im Verborgenen stattfindet, oft unbemerkt von der Öffentlichkeit und dennoch mit zerstörerischer Wucht auf die Betroffenen wirkt. Die diesjährigen Preisträger:innen erhielten die Auszeichnung für ihre wegweisende Studie „Straffreiheit für Straftaten von Opfern des Menschenhandels? Zur Umsetzung des Non-Punishment-Prinzips in Recht und Praxis“.

Eine Forschung, die Schutz statt Strafe fordert

Im Fokus der preisgekrönten Arbeit steht das sogenannte Non-Punishment-Prinzip: Opfer von Menschenhandel sollen für Straftaten, die sie während ihrer Ausbeutung begangen haben, unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafrechtlich verfolgt werden. Die Forschungsgruppe zeigt auf, dass dieses Prinzip zwar völkerrechtlich anerkannt ist, in der deutschen Rechtsprechung und Praxis jedoch bislang unzureichend Anwendung findet.

„Das Non-Punishment-Prinzip wird in Deutschland weder in der Praxis noch unter rechtlichen Gesichtspunkten ausreichend umgesetzt. Es gibt zu viele Einschränkungen und Hürden“, erklärt Prof. Bartsch im Interview. Die Betroffenen kämen oft aus dem Ausland, haben Angst vor den Täter:innen und wenig Vertrauen in Behörden. Hinzu komme eine enge Bindung an die Täter:innen – beispielsweise bei sexueller Ausbeutung durch die Loverboy-Masche. All das erschwere die Strafverfolgung. “Deswegen ist es wichtig, Brücken für Betroffene zu bauen.”

Die Studie vereint juristische Theorie mit der realen Anwendungspraxis und gibt damit nicht nur Denkanstöße, sondern konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Justiz.

Politischer Rückenwind für den Opferschutz

Die Preisverleihung stand unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein. In ihrer Laudatio hob Helen Albrecht, Vizepräsidentin des BKA, die Relevanz des Themas hervor: „Wir sehen in der Polizeilichen Kriminalstatistik seit einigen Jahren steigende Opferzahlen. Und das ist nur das Hellfeld: Viele Opfer zeigen eine gegen sie gerichtete Straftat nicht an – aus Angst vor der Tatperson, aus Scham oder weil sie sich gar nicht als Opfer wahrnehmen. Mit dem Wissenschaftspreis Opferschutz wollen wir all diesen Menschen symbolisch ein Gesicht geben und die Prävention von Opferwerdung ebenso wie die Verbesserung des Opferschutzes in Deutschland stärken. Die ausgezeichneten Arbeiten leisten einen bedeutenden Beitrag dazu.”

Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS, betont, wie wichtig eine Kultur des Vertrauens für Betroffene ist: “Es ist wichtig, dass sich Menschen, die Opfer von Menschenhandel werden oder geworden sind, trauen, Hilfe zu suchen und sich nicht aufgrund der Angst vor Strafe dagegen entscheiden. Genau dafür gibt es das Non-Punishment-Prinzip, das unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Strafbefreiung im Falle schwerer Delikte gewährleistet. Die Autorinnen und Autoren haben sich hier einem Thema gewidmet, das bisher in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit bekommen hat. Jetzt liegt es an der Politik und den Behörden, Lehren aus der Arbeit zu ziehen und den oftmals schwer geschädigten Betroffenen endlich den Schutz zu gewähren, der ihnen zusteht.”

Nachwuchspreis für Forschung zu Opferinteressen

Neben der Hauptauszeichnung wurde auch ein Nachwuchspreis verliehen: Dr. Marius Riebel erhielt die Ehrung für seine Dissertation „Verletzteninteressen im Kontext des staatlichen Umgangs mit Straftaten“. Seine Untersuchung analysiert, was Betroffene im Strafverfahren wirklich bewegt – und ob sie tatsächlich die härteste Bestrafung der Täter fordern, wie oft angenommen wird. Vielmehr gehe es vielen Opfern um Anerkennung, Respekt und die Möglichkeit, in einem fairen Verfahren ihre Perspektive einzubringen.

„Verfahren sollten so opfersensibel wie möglich gestaltet werden“, so Riebel. Sein Fazit: Justiz und Strafverfolgung müssen stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Opfer eingehen – ein Gedanke, der in der Praxis bislang noch zu wenig Berücksichtigung finde.

Der WEISSE RING blickt mittlerweile auf fast fünf Jahrzehnte engagierter Opferhilfe zurück. Gegründet 1976 in Mainz, ist der Verein heute Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. Mit über 3.000 ehrenamtlichen Helfer:innen in bundesweit 400 Außenstellen bietet er Betroffenen Beratung, Unterstützung und ein offenes Ohr. Finanziert wird die Arbeit ausschließlich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Bußgeldzuweisungen – staatliche Mittel erhält der Verein nicht.

Die Auszeichnung und die prämierten Arbeiten eint ein klares Ziel: Die Verbesserung des Opferschutzes in Deutschland. Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung oder Zwangsarbeit sind Realitäten, die oft im Verborgenen bleiben. Umso bedeutsamer ist es, wenn wissenschaftliche Forschung diese Schattenbereiche beleuchtet und Reformbedarf offenlegt.

Fundstelle: https://wr-magazin.de/

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