Neue Netflix-Serie: Adolescence – Jugendkriminalität, Internetradikalisierung und die Debatte um Strafmündigkeit

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Die britische Netflix-Miniserie Adolescence sorgt seit März 2025 für Aufsehen – nicht nur wegen ihrer Intensität, sondern auch wegen des gesellschaftlich brisanten Themas, das sie behandelt: Ein 13-jähriger Junge wird des Mordes an einer Mitschülerin verdächtigt. Die Serie berührt damit auch eine aktuelle juristische Debatte in Deutschland – nämlich die Frage: Ab welchem Alter sollen Kinder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Und reichen die bisherigen Regelungen des Jugendstrafrechts aus?

Anstieg der Jugendkriminalität in Deutschland

Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 verweist auf eine deutlich gestiegene Kinder- und Jugendkriminalität in Deutschland. So wurden ca. 104.000 tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren ermittelt – ein Zuwachs von zwölf Prozent im Vergleich zu 2022. Bei Jugendlichen von 14 Jahren bis zur Volljährigkeit liegt die Zahl mit rund 207.000 Tatverdächtigen ebenfalls deutlich über den Vorjahren. Im Jahr 2024 konnte jedoch ein leichter Rückgang, sowohl bei Kindern (101.886) als auch bei Jugendlichen (192.863) verzeichnet werden. 

Anzahl der straftatverdächtigen Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden in Deutschland von 1987 bis 2024 (statista.com)

Die Polizeiliche Kriminalstatistik bildet jedoch nur das sog. “Hellfeld” ab und bezieht sich auch nur auf angezeigte Straftaten – ob die Person dann tatsächlich (wegen der angezeigten Straftat oder überhaupt) verurteilt wird, lässt sich aus der Statistik nicht ablesen. Ein Anstieg könnte also beispielsweise auch auf ein geändertes Anzeigeverhalten der Bevölkerung zurückzuführen sein.


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Die Strafmündigkeit in Deutschland

Nach § 19 StGB sind Kinder unter 14 Jahren in Deutschland schuldunfähig. Zwischen 14 und 17 Jahren gilt für Jugendliche § 1 Abs. 2 JGG. Für Heranwachsende zwischen 18 und 20 Jahren kann entweder Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht gelten – je nach Reifegrad und Art der Tat (§ 105 JGG).

Zwar wird das Strafverfahren gegen Kinder wegen der fehlenden Strafmündigkeit in jedem Fall eingestellt, das bedeutet aber nicht, dass das Kind überhaupt keine Konsequenzen erfährt. Die Staatsanwaltschaft prüft vielmehr, ob eine Benachrichtigung des Familiengerichts oder anderer zuständiger Stellen, wie des Jugendamts, angebracht ist. Es kommen dann Jugendhilfemaßnahmen außerhalb des Strafgesetzes in Betracht. Wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen, kann das Jugendamt das Kind insbesondere vorübergehend oder dauerhaft in einer stationären Einrichtung unterbringen.

Ziel des Jugendstrafrechts ist es, „erzieherisch“ auf jugendliche Straftäter einzuwirken, anstatt sie wie Erwachsene zu bestrafen. Mögliche Sanktionen sind unter anderem:

  • Erziehungsmaßregeln (z. B. soziale Trainingskurse, Betreuungsweisung)
  • Zuchtmittel (z. B. Verwarnung, Jugendarrest, Arbeitsauflagen)
  • Jugendstrafe (Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren)

Aktuelle Debatte: Soll die Strafmündigkeit gesenkt werden?

Fälle wie in Freudenberg oder Duisburg zeigen, wie nah die Serie „Adolescence“ an der Realität ist. Angesichts solcher Gewalttaten junger Täter:innen mehren sich die Stimmen aus der Politik, die eine Senkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre verlangen. Zu einer solchen Absenkung kam es in Deutschland zuletzt unter den Nationalsozialisten 1943.

Befürworter argumentieren:

  • Kinder würden heute durch Medien, Internet und gesellschaftliche Entwicklungen schneller reif.
  • Wer eine schwere Straftat begeht, soll auch für die Folgen einstehen.
  • Eine frühere Strafmündigkeit ermöglicht frühzeitiges Eingreifen durch Polizei und Justiz.
  • Die Absenkung des Alters könnte abschreckend wirken.

Kritiker hingegen halten dagegen:

  • Die Senkung der Strafmündigkeit sei populistisch und verstößt möglicherweise gegen internationale Kinderrechtskonventionen (z. B. UN-Kinderrechtskonvention).
  • Kinder unter 14 verfügen oft nicht über die nötige Reife, um das Unrecht ihrer Handlungen voll zu erfassen.
  • Eine strafrechtliche Verfolgung könnte bei jüngeren Kindern mehr Schaden als Nutzen anrichten und die Rückfallquote erhöhen.

Eine Lösung, wäre der Ausbau von interdisziplinären Maßnahmen wie Schulsozialarbeit, Früherkennung von Risikoverhalten, Familienhilfe und digitaler Aufklärung.

Jugendkriminalität: Härter bestrafen oder besser begleiten?

Auch innerhalb des bestehenden Jugendstrafrechts wird über eine „Verschärfung“ diskutiert, etwa durch schnellere Verfahren, strengere Auflagen oder längere Jugendarrestzeiten. Einige Jurist:innen fordern eine konsequentere Anwendung des JGG und kritisieren, dass Gerichte oft zu nachsichtig urteilen.

Demgegenüber steht die Erkenntnis aus der Kriminalwissenschaft: Härtere Strafen führen nicht automatisch zu weniger Jugendkriminalität. Effektiver sind gut betreute Resozialisierungsmaßnahmen, systematische Schulprogramme und der Ausbau von Präventionsarbeit.

In Deutschland gibt es mehrere Initiativen zur Verhinderung von Jugendkriminalität. So z.B. die Initiative „Kurve Kriegen“. „Seit 2011 vereint „Kurve kriegen“ die polizeiliche Früherkennung von Kriminalitätsgefährdung mit dem Einsatz von pädagogischen Fachkräften zur Verhinderung von Intensivtäterkarrieren.“ Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 15 Jahren, die wegen ihrer Straftaten und besonderen Problembelastung drohen, in die dauerhafte Kriminalität abzurutschen. Laut Initiative verbessert sich bei den Jugendlichen das Sozialverhalten durch die Unterstützung von pädagogischen Fachkräften, viele von den Teilnehmern des Programms werden nicht mehr rückfällig und begehen keine Straftaten mehr.

Adolescence: Zwischen Justiz, Gesellschaft und digitalem Risiko

Jamie aus der Serie Adolescence ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig frühzeitige Präventionsarbeit sein kann. Die Netflix-Serie Adolescence, ist nicht nur ein Drama über ein Verbrechen, sondern ein Spiegel aktueller gesellschaftlicher und rechtlicher Fragen. Besonders eindrucksvoll zeigt sie die Rolle des Internets: Der 13-jährige Jamie konsumiert über Monate hinweg radikale Inhalte, verliert sich in toxischen Online-Gruppen, ohne dass die Erwachsenenwelt etwas bemerkt. Die Serie verdeutlicht: Der digitale Raum ist längst ein zentraler Schauplatz von Radikalisierung und Gewalteskalation.

Adolescence ist ein Weckruf – juristisch, pädagogisch und gesellschaftlich. Die Serie zeigt, wie vielschichtig Jugendkriminalität ist und wie schwierig es ist, darauf mit einfachen Lösungen zu reagieren. Ob eine Senkung der Strafmündigkeit der richtige Weg ist, bleibt umstritten. Klar ist jedoch: Ohne frühzeitige Hilfe, digitale Bildung und gezielte Jugendförderung wird der Ruf nach härteren Strafen nur ein Pflaster auf eine viel tiefere Wunde sein.

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Jana Borochowitsch
Jana Borochowitsch
Autorin, Studentin der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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