Zweites Staatsexamen, zweiter Anlauf: Ende des Ergänzungsvorbereitungsdienstes (Teil 4)

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Die monatliche Kolumne über das Durchfallen im Staatsexamen von Frida Fortun.

Hier geht es zu Teil 1: “Zweites Staatsexamen, zweiter Anlauf: Die Erkenntnis”
Hier geht es zu teil 2: “Zweites Staatsexamen, zweiter Anlauf: Einsicht – kein Weg zur Besserung?!”
Hier geht es zu Teil 3: “Zweites Staatsexamen, zweiter Anlauf: Halbzeit (Teil 3)”

Mehr Wissen, mehr Übung, mehr Routine. Das war mein Plan und bisher ist er aufgegangen. Mir fällt nun aber auch deutlicher auf, warum ich im Erstversuch durchgefallen bin. Ich lass‘ jetzt für euch die Hosen runter (weil es sonst wohl niemand tut):

Generell gesprochen, habe ich im Rahmen der Vorbereitung zu selten unter Examensbedingungen geschrieben. Dadurch habe ich in den Klausuren Zeit auf Definitionen und Formulierungen verschwendet, die abrufbare Textbausteine hätten sein können. Außerdem habe ich zu wenig getan, um die Nerven zu behalten. Statt Stressmanagement zu betreiben, habe ich mich selbst unter Druck gesetzt und von der Panik anderer mitreißen lassen und dadurch Fehler gemacht, die in einem ruhigen Moment nicht passiert wären.

In den Klausuren selbst habe ich nicht nur Zeit verschwendet, sondern auch Punkte verschenkt, indem ich Normen, Voraussetzungen und Definitionen vergessen habe. Zudem habe ich Prüfungspunkte weggelassen, die aber wenigstens kurz hätten abgehandelt werden müssen.

Fehleranalyse der Klausuren

Die Fehleranalyse der einzelnen Klausuren hat außerdem folgende Fehler ergeben, wobei diese nur stichpunktartige Darstellung leider sogar nicht einmal vollständig ist:

Aufbaufehler: Falsche Zuordnung von Sachverhaltsangaben; nicht chronologisch gearbeitet; teilweise kein sauberer Aufbau (-einer Anspruchsprüfung; -eines Vertragsabschlusses …).

Inhaltliche Fehler: Unvollständige Darstellung; oberflächliche Ausführungen ohne (deutlichen) Fallbezug, Zusammenhänge sind dadurch unklar geblieben: das Ergebnis war richtig, aber die Herleitung nicht strukturiert und mit überzeugender Begründung; aufgeworfene Rechtsfragen nicht oder nur teilweise erkannt.

Stilfehler: Fehler bei eigentlich gängigen Formulierungen; keine saubere und konsequente Einhaltung von Urteilsstil/Gutachtenstil, das heißt mitunter: (auch aus zeitlichen Gründen) Rechtsbehauptungen aufgestellt und tatsächliche und rechtliche Feststellungen aneinandergereiht, statt gutachterliche Prüfung zu zeigen; Keine Zwischenergebnisse eingebaut, Ergebnisse waren dadurch teilweise „nicht greifbar“.

Rückblickend mag zu dem Durchfallen außerdem beigetragen haben, dass ich nicht ansatzweise ausreichenden und guten Schlaf hatte und keine gute Grundstimmung.  Selbst in den Examenswochen habe ich mir keine Entspannung erlaubt und statt runterzukommen noch panisch ein Skript für die nächste Klausur in die Hand genommen.

EVD – ein vorläufiges Resümee

Der EVD neigt sich dem Ende zu. Dadurch, dass wir im März schreiben, sind wir auch nur noch bis Ende Februar in der Repetenten-AG. Ich habe im EVD einiges dazugelernt und nachhaltig verbessern können. Unabhängig davon, wie das Examen nun laufen wird, kann ich eines sagen: Ich bin durch den EVD eine bessere Juristin geworden.

Im gesamten EVD habe ich mich wöchentlich mit etwa drei bis vier Klausuren befasst, davon meist zwei ausformuliert und ein bis zwei Klausuren skizziert. Ich habe viel materielles Recht wiederholen können (aber gefühlt immer noch zu wenig). Aufgrund des Zeitdrucks habe ich mit bereits erstellten Karteikarten und mit „Jurafuchs“ gelernt. Ich habe versucht, Abwechslung in das Lernen reinzubringen und in auditiver Hinsicht den „ref.pod“ und „jurref“ genutzt.

Ich bin für euch nochmal alle Mitschriften, Besprechungsnotizen und Korrekturen aus dem EVD durchgegangen und kann nun gebündelt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit dem Hinweis darauf, dass es unterschiedliche vertretbare Meinungen gibt, mitteilen:

Was sind Kardinalsfehler bzw. „Todesfehler“ in einer Klausur?

Laut meinen Dozent:innen zählen dazu: Ein unvollständiger oder mit den Entscheidungsgründen inkongruenter Tenor; Ein „schlechter“ Tatbestand, meint wohl einen Tatbestand der durchblicken lässt, dass nicht verstanden wurde, worum es geht und/oder der Strukturverständnis vermissen lässt, indem zum Beispiel irrelevante Datumsangaben aufgenommen wurden; „Systemfehler“ in der rechtlichen Würdigung, beispielsweise die Prüfung falscher Tatbestandsvoraussetzungen oder der Verstoß gegen Grundsätze und Prinzipien.

Uns wurden unter anderem folgende Tipps gegeben:

Generell gesprochen ist saubere Arbeit mit dem Sachverhalt und sprachliche Präzision wichtig. Beim Lesen des Sachverhalts sollen wir offen und flexibel bleiben und uns nicht zu früh auf eine Lösung versteifen. Bei der Lösung selbst darf man aber seinem „juristischen Bauchgefühl“ vertrauen.

Die empfohlene Herangehensweise ist: drei Minuten den Sachverhalt querlesen, worum es geht, dann sorgfältig lesen und auf Details achten und einen Problemzettel anfertigen (nur ein Stichpunkt pro Problem!) während man ein zweites Mal liest. Danach sollte man die Lösungsskizze anfertigen, Probleme von dem Problemzettel zuordnen und beginnen zu schreiben – andere Herangehensweise natürlich vertretbar!

In den fünf Stunden sollte eine brauchbare, das heißt, eine praxistaugliche Leistung abgegeben werden. Das beinhaltet, dass man („irgendwie, egal wie“) fertig geworden ist „oder den Eindruck erweckt, fertig geworden zu sein“. Bei Beweisaufnahmen sollen wir „direkt loswürdigen“, auf gar keinen Fall noch nacherzählen. Insgesamt sollen wir uns an jeder erdenklichen Stelle an die jeweilige Struktur halten, sei es beim allgemeinen Aufbau eines Tatbestandes oder dem einschlägigen Prüfungsschema. Dabei sind Zusammenhänge stets vollständig abzubilden (z.B. erbt der Alleinerbe nicht wegen des Erbscheins, sondern wegen der letztwilligen Verfügung, die Grundlage für das Ausstellen des Erbscheins auf den Alleinerben war).

Kommentararbeit und Zitierung ist umstrittener als gedacht, uns wurde Folgendes geraten: Es ist besser, eine eigene juristische Argumentation zu entwickeln, anstatt durch einen Blick in den Kommentar Zeit zu verlieren. Es ist also eine Abwägung notwendig, ob es „etwas bringt, die Probleme nachzulesen“. Lieber solle man „ein Problem weniger schön lösen, dafür aber Zeit für andere Probleme“ haben. Kommentarfundstellen sollten wir nicht zitieren, schließlich sei unsere Auswahl an Kommentarliteratur festgelegt (ob man zitieren soll ist aber allgemein streitig!).

Am Ende der fünf Stunden soll eine Lösung eingereicht werden, die optisch fertig und lückenlos erscheint und inhaltlich nicht nur vertretbar, sondern durch logisch nachvollziehbare Argumentationsstränge überzeugend ist.

Dafür ist es wichtig, ein Bewusstsein für die eigenen Fehlerquellen, selbst wenn es auf den ersten Blick Kleinigkeiten sind, zu haben. Denn diese Fehler vermögen es in Summe die Stimmung der Korrektorin oder des Korrektors zu verändern: Beispielsweise werden Namen in Urteilen nicht abgekürzt; Ein Tatbestand besteht aus Stationen mit unbedingt einzuhaltenden Zeitformen; bestimmte Stellen werden eingerückt (z.B. Anträge).

Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass es viele Fehler gibt, die für sich genommen nicht zum Durchfallen führen! Aber jeder Fehler, der vermieden werden kann, sollte vermieden werden. Denn im Zweifel ist es die Menge, die in der Gesamtschau und im Zusammenspiel erkennen lässt, dass nicht mehr durchschnittlichen Anforderungen genügt wird. Durch welche Herangehensweise (z.B. zuerst Tatbestand, dann Entscheidungsgründe formulieren oder vice versa) man eine möglichst fehlerfreie Lösung einreicht, sollte in Übungsklausuren ausprobiert werden. Es empfiehlt sich, beides zu testen und zu evaluieren, was sowohl von der Arbeitsweise, als auch vom Ergebnis her am besten für einen funktioniert.

Kurz vor dem Examen – in meinem Fall also jetzt – sollen wir Struktur und Obersätze üben, insbesondere Prüfungsschema und Aufbaufragen wiederholen, Obersätze und Varianten dieser Obersätze einüben und bitte nicht, bloß nicht, unter keinen Umständen „Einzelprobleme reinprügeln“.

März – Endspurt und Stimmungsbild

Endspurt. Jetzt aber wirklich. Die letzten Wochen vor dem Examen sind angebrochen und ich wache fast täglich mit dem Gefühl auf, mein Examen verschlafen zu haben.

Ich wurde dahin geladen, wo ich auch schon meinen Erstversuch geschrieben habe. Zwar ist das der Ort, an dem ich versagt habe, aber das löst kein Störgefühl aus. Es ist eine vertraute Umgebung mit mir vertrauten Abläufen und letztendlich der Ort, an dem ich eine zweite Chance habe. Mit der Ladung habe ich auch eine neue Kennziffer erhalten. Erkennen die Korrektor:innen, dass ich im Wiederholungsversuch bin? Das beschäftigte meine Kolleg:innen und mich. Uns wurde versichert, dass dem nicht so ist. Die neue Jahreszahl und die Nummer würden nicht darauf schließen lassen. Wenn also die Statistik aufzeigt, dass Wiederholer:innen eine geringere Durchfallquote haben, liegt das allein an den verbesserten Fähigkeiten! So lag die Durchfallquote für das erstmalige Nichtbestehen in NRW bei 14,98 % (2023) bzw. 13,94 % (2022) und das erneute Nichtbestehen bei nur noch 3,20 % (2023) bzw. 3,04 % (2022).

Meine allgemeine Angst interessiert sich natürlich nicht für Statistik. Und wenn sie sich überhaupt für Statistiken interessiert, dann nur dafür, dass es auch Personen gibt, die erneut Durchfallen, sogar ein drittes Mal. Es gab Momente im Studium und Referendariat, wo ich mich noch gefragt habe wie das geht. Heute ist es nicht nur so, dass ich mir die Frage nicht mehr stelle, ich habe sogar mehr Verständnis dafür und mir würde es nicht mehr einfallen, deswegen die juristischen Fähigkeiten oder Kompetenzen einer Person in Frage zu stellen. Das kann man wahrscheinlich als sog. „hot take“ bezeichnen. Aber an etlichen Kolleg:innen im Referendariat und EVD habe ich gesehen, dass man die Klausurleistung durchaus getrennt von den allgemeinen Fähigkeiten bewerten darf – im Unterricht herausragende Jurist:innen können in ihrer Klausur entweder nicht abrufen, was sie eigentlich können, oder sie schaffen es nicht in der vorgegebenen Zeit von fünf Stunden. Selbstverständlich sehe ich ein, dass es aber genau darum geht: in fünf Stunden eine brauchbare Leistung zu erbringen. Und trotzdem fragt man sich, ob dadurch Personen herausgefiltert werden, die in der Praxis gute Volljurist:innen wären.

Atmen nicht vergessen

In meiner letzten Kolumne habe ich geschrieben, dass ich Angst habe, wegen meiner Nervosität erneut zu scheitern. Ich habe also neben weiterer Wiederholung priorisiert, möglichst entspannt zu sein und zu bleiben. Bisher ist mir das auch gelungen. Ich gehe entspannter in den Zweitversuch, als ich es vor meinem ersten war. Heute ist es ein beruhigender Gedanke, dass das in positiver Hinsicht das Ende sein kann und ich im Sommer meine mündliche Prüfung haben könnte – dass es, in negativer Hinsicht, aber auch nicht das Ende sein muss. Ich weiß schon heute, dass mir noch ein Drittversuch bleiben würde. Wie es aber tatsächlich für mich weitergeht, ist jetzt gerade egal. Jetzt steht das Examen an. Dort wird es nur die Klausur und mich geben – und Zukunftsängste dürfen nicht Teil dieses Moments sein. Alles andere als der Sachverhalt vor mir ist nämlich die Sorge von Future-Frida.

Wir lesen uns auf der anderen Seite wieder, entschuldigt mich bitte, ich habe jetzt ein Examen zu schreiben.

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Frida Fortun
Frida Fortun
Bei Frida Fortun handelt es sich um das Pseudonym unserer Kolumnistin. Die Identität der Autorin ist der JURios-Redaktion bekannt.

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